Quelle Nummer 001
Rubrik 33 : BELLETRISTIK Unterrubrik 33.01 : HEFTROMANE
MUTTI, KOMM DOCH WIEDER! WIRD IHRE KLEINE WELT ZERSTOERT
RENATE JAEGER
MARTIN KELTER VERLAG HAMBURG 1970, S.3-7
SERIE: KELTER: MAMI, NR. 341
001 Als es zu schneien aufgehört hatte, verließ Johanna von
002 Rotenhoff, ohne ein rechtes Ziel zu haben, das Gutshaus.
003 Mechanisch einen Fuß vor den anderen setzend, schlug sie den Weg
004 zum verschneiten Park ein. Johanna von Rotenhoff schritt wie eine
005 Marionette, die keinen eigenen Willen hat. Ihr Gesicht war
006 ungewöhnlich bleich, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet.
007 So war es in letzter Zeit öfter. Ihre bisher glückliche Ehe
008 war ins Wanken geraten. Niemals hätte Johanna an der Treue
009 Viktors zu zweifeln gewagt. Und jetzt? Seitdem die
010 Schauspielerin Melanie Nowara in der nahe gelegenen Kreisstadt am
011 Stadttheater verpflichtet war, gab es kaum einen Abend, an dem
012 Viktor zu Hause war. Johanna saß dann am Fenster und blickte
013 hinaus in die dunkle Nacht. Erst wenn die Lichter von Viktors
014 Wagen in der Birkenallee aufblitzten, ging sie zu Bett. Aber
015 auch dann konnte sie nicht einschlafen. Manchmal kam es sogar vor,
016 daß Viktor die ganze Nacht über nicht nach Hause kam (...). Die
017 blutjunge Johanna von Römer hatte Viktor von Rotenhoff
018 geheiratet, als sie durch einen tragischen Unfall die Eltern
019 verloren hatte. Sie war eine entfernte Verwandte der Rotenhoffs
020 und kam nach dem Tod der Eltern in deren Haus. Es war den
021 Rotenhoffs gar nicht so besonders recht gewesen, daß Viktor die
022 nicht gerade vermögende Johanna heiratete. Doch das störte den
023 jungen Baron wenig. Er setzte seinen Willen den Eltern
024 gegenüber durch, und man fand sich schließlich damit ab, daß die
025 sanfte goldblonde Johanna Römer Viktors Frau wurde. Johannas
026 Mutter entstammte einer Seitenlinie des Geschlechtes Rotenhoff.
027 Sie hatte ihre Hand einem begabten Dirigenten gereicht und aus
028 diesem Grund als schwarzes Schaf der Familie gegolten. Nachdem
029 Johanna und Viktor ein Jahr verheiratet waren, schenkte sie
030 Viktor einen Erben. Der kleine Wolfgang hatte die Großeltern
031 versöhnt. Wolfgang war ein Rotenhoff, und die Familie war
032 ungeheuer stolz auf ihn. Später hatte Johanna noch ein kleines
033 Töchterchen geboren. Von da an hatte nichts mehr das Glück auf
034 Rotenhoff stören können. Wolfgang und Nanni, das war der Name
035 des kleinen Baroneßchens, wurden nach allen Regeln der Kunst
036 verwöhnt. Es gab kaum einen Wunsch, der den Kindern nicht
037 erfüllt wurde. Trotzdem waren sie bescheiden und brav. Dafür
038 sorgte schon Johanna, die von ihren Kindern abgöttisch geliebt
039 wurde. So waren die Rotenhoffs eine sehr glückliche Familie
040 gewesen. Seitdem die Schauspielerin Melanie Nowara in Viktors
041 Leben getreten war, hatte es den Anschein, als wäre das
042 Familienglück der Rotenhoffs zerstört. Während Johanna auf
043 den verschneiten Wegen dahinging, erschien vor ihrem geistigen
044 Auge das Bild der Schauspielerin. Sie war zweifellos eine sehr
045 schöne Frau. Ihre Haut war zart und weiß, und das glänzende
046 rote Haar umgab das schmale Gesicht in weichen Wellen. Viktor
047 sieht nur die Schönheit der Schauspielerin, dachte Johanna
048 bitter. Daß ihr Gesicht kalt und seelenlos ist, bemerkt er in
049 seiner Verliebtheit nicht. Johanna hatte an jenem Abend, als sie
050 mit Viktor das Theater besuchte, gemerkt, daß sein Herz für
051 Melanie Nowara entflammt war. Mit leuchtenden Augen hatte er sie
052 betrachtet. " Eine tolle Frau, diese Nowara ", hatte er
053 geäußert. Seit diesem Tag war mit Viktor eine Veränderung vor
054 sich gegangen. Er war merklich kühler geworden. Seine
055 Umarmungen waren flüchtig, seine Küsse ohne Wärme und
056 Leidenschaft. Drei Monate dauerte das Verhältnis, das Viktor
057 zu der Schauspielerin unterhielt. Er machte nicht einmal ein Hehl
058 daraus. Die Nowara schien ihn vollkommen verhext zu haben. Es
059 war schon in die Öffentlichkeit gedrungen, daß der junge Baron
060 Rotenhoff eine Geliebte hatte und daß diese Geliebte Melanie
061 Nowara hieß. Wo Johanna ging und stand, glaubte sie die Blicke
062 der Menschen auf sich gerichtet zu sehen. Sie fühlte, daß man
063 hinter ihrem Rücken tuschelte. Johanna ging gedankenverloren
064 über Felder und Wiesen. Sie hatte den Mantelkragen
065 hochgeschlagen und die Hände tief in den Taschen vergraben. Wenn
066 ich doch nur einen Ausweg wüßte, dachte sie verzweifelt. So
067 ging es auf keinen Fall weiter. Sie war nicht stark genug, um
068 diesen Zustand länger ertragen zu können. Mittlerweile hatte es
069 wieder zu schneien begonnen. Johannas Gang war schleppend, ihre
070 Schultern waren nach vorn gebeugt, als hätte sie eine schwere
071 Last zu tragen. Nachdem sie ein paar Minuten durch den fußhohen
072 Schnee gestapft war, lag vor ihr das verschneite Dörfchen. Ihr
073 Blick weilte einen Augenblick auf einer Reihe stattlicher Giebel,
074 die sich auf einer Anhöhe erhoben. Dann schritt sie ziellos
075 über die Dorfstraße. Ich fühle mich zum Sterben elend, dachte
076 sie und blickte verloren in die Winterlandschaft. Zu ihrer
077 Rechten lag das schmucke Dorfkirchlein. Johanna warf einen Blick
078 auf die große Turmuhr. Gleich vier, dachte sie. In einer
079 Stunde würde man sich auf Rotenhoff zum Tee versammeln. Man
080 würde sich wundern, daß sie nicht zu Hause war. Johanna hatte
081 keine Nachricht hinterlassen. Kopflos war sie aus dem stillen
082 Haus gestürmt, nachdem Viktor bereits am frühen Nachmittag in
083 einem dunklen Gesellschaftsanzug das Haus verlassen hatte.
084 Johanna hatte gewußt, wohin er nun fuhr. Neuerdings genügte es
085 ihm nicht mehr, daß er der Nowara die Abende und die halben
086 Nächte widmete. Nein, auch am Tag zog es ihn in die Nähe der
087 schönen Frau. Johannas Augen brannten von ungeweinten Tränen.
088 Was sollte werden, wenn Viktor nicht bald zur Vernunft kam?
089 Schließlich mußte er doch an die Kinder denken. Was sollte
090 werden, wenn ihre Ehe zerbrach? Sie war so in ihre Gedanken
091 vertieft, daß sie erschrocken aufblickte, als ein
092 entgegenkommender Wagen dicht neben ihr stoppte und jemand ihren
093 Namen rief. Gleich darauf öffnete sich der Schlag und ein
094 älterer Herr verließ das Auto. Erstaunt blickte er auf die
095 völlig aufgelöste Frau, deren Augen ihn leidvoll anblickten.
096 " Onkel Martin! " Johannas Mund umspielte ein schwaches
097 Lächeln. Professor Martin Oberländer war ein Freund ihres
098 verstorbenen Vaters gewesen. Er kannte Johanna schon, seit sie
099 das Licht der Welt erblickt hatte. Er liebte sie, da er selbst
100 keine Kinder besaß, wie eine Tochter, und wenn es seine Zeit
101 erlaubte, besuchte er sie auf Rotenhoff. Auch die Kinder,
102 Wolfgang und Nanni, waren ihm ans Herz gewachsen, und da er
103 keine Angehörigen hatte, würde Johanna einmal sein großes
104 Vermögen erben. Professor Oberländer sah auf den ersten Blick,
105 daß etwas geschehen war, was Johanna aus der Fassung gebracht
106 hatte. " Mein Gott, Kindchen, steig ein! Bei einem solchen
107 Wetter jagt man ja keinen Hund vor die Tür. " Johanna ließ
108 sich willenlos in den Wagen verfrachten. " Bitte, Onkel Martin,
109 fahr mich, wohin du willst, nur nicht nach Rotenhoff ", flehte
110 sie. Oberländer warf einen kurzen Blick zur Seite, dann wendete
111 er kurz und lenkte seinen Wagen der nahen Kreisstadt zu. " Ich
112 weiß zwar nicht, weshalb du nun nicht nach Rotenhoff willst, doch
113 ich bin überzeugt, daß du deine Gründe haben wirst. " " Frag
114 mich jetzt nicht, später werde ich dir alles erzählen. " Über
115 die Wangen der jungen Frau flossen Tränen. " Wenn du eine
116 Zigarette für mich hättest, wäre ich dir sehr dankbar ", bat
117 sie mit leiser Stimme. Martin Oberländer reichte Johanna sein
118 Zigarettenetui. Heimlich machte er sich Gedanken, was wohl
119 geschehen sein könnte. Professor Oberländer bewohnte im
120 Atlantic-Hotel ein Appartement. Wenn er Johanna besuchte,
121 stieg er dort immer ab. Aber diesmal galt sein Kommen nicht
122 Johanna allein, er hatte in der Stadt ein Konzert zu geben. Es
123 sollte das letzte sein. Nach diesem Konzert wollte der
124 Zweiundsechzigjährige sich ins Privatleben zurückziehen. Er war
125 des Herumreisens müde. Er hatte der Welt mit seiner Kunst viel
126 gegeben. In der Nähe von Rotenhoff wollte er sich niederlassen,
127 damit er, wenn er Lust verspürte, Johanna und die Kinder sehen
128 konnte. Professor Oberländer parkte seinen Wagen vor dem Hotel
129 und war Johanna beim Aussteigen behilflich. Niemand hätte dem
130 stattlichen Mann seine zweiundsechzig Jahre angesehen. Im
131 Gegenteil, als er jetzt an Johannas Seite die mit dicken,
132 schrittdämpfenden Läufern belegte Treppe hinaufstieg, hätte man
133 sie für ein Ehepaar halten können. Martin Oberländer nahm
134 Johanna den Mantel ab und drückte sie in einen bequemen Sessel.
135 " Sag jetzt gar nichts, Johanna. Erst wenn du dich ein wenig
136 gestärkt und aufgewärmt hast, kannst du mir erzählen, weshalb du
137 wie ein herrenloses Hündchen durch die Winterlandschaft geirrt
138 bist. " Mit sanftem Druck umschloß er ihre eiskalten Hände.
139 Kurz darauf brachte der Ober Tee und kleine Kuchen. Johanna
140 umklammerte mit beiden Händen die Tasse mit dem dampfenden
141 Getränk. Langsam trank sie Schluck um Schluck. Ihr Blick war
142 ins Wesenlose gerichtet. Professor Oberländer brach das lange
143 Schweigen mit keinem Wort. Er konnte warten, warten, bis
144 Johanna den Mut fand, sich alles vom Herzen zu reden. Nach
145 einer Weile stellte Johanna die Teetasse auf den Tisch. Sie sah
146 den Professor an. Mein Gott, dachte Oberländer, wie vergrämt
147 sie aussieht. Es muß etwas Entsetzliches geschehen sein. " Wie
148 gut, daß ich dir begegnet bin, Onkel Martin ", kam es leise
149 von ihren Lippen. " Ich weiß, du brennst darauf, zu erfahren,
150 was geschehen ist. " " Nun, ich kann es nicht leugnen ",
151 gestand der Mann offen. " Schließlich kenne ich dich als
152 glückliche junge Frau und bin erstaunt, dich so verändert
153 vorzufinden. " " Eine glückliche junge Frau, wie nett das
154 klingt. " Johanna hielt einen Augenblick inne, dann lächelte
155 sie bitter. " Das ist vorbei, Onkel Martin. Ich bin sehr
156 unglücklich. Ja, ich weiß nicht einmal, wie es weitergehen soll ",
157 seufzte sie. " Aber was ist denn nur geschehen, Kindchen? "
158 " Victor liebt eine andere Frau ", kam es stockend von
159 Johannas Lippen. " Victor? Unmöglich, Johanna, dazu liebt
160 er dich viel zu sehr. Er würde dich niemals betrügen. Gewiß
161 bildest du dir da etwas ein. " " Es wäre zu schön, um wahr zu
162 sein, Onkel Martin. Leider sind meine Worte bittere Wahrheit.
163 Es gab eine Zeit, da hätte ich meine Hand dafür ins Feuer
164 gelegt, daß Victor mich niemals betrügen würde, doch heute ist
165 das leider anders. Es ist längst kein Geheimnis mehr. Alle
166 Welt spricht bereits darüber. Viktor hat ein Verhältnis mit
167 einer Schauspielerin vom hiesigen Theater, einer gewissen Melanie
168 Nowara. Drei Monate zappelt er schon in ihren Netzen. Sie ist
169 jung, zweiundzwanzig, Onkel. Ich bin fast zehn Jahre älter als
170 sie. Außerdem bin ich Mutter von zwei Kindern. Es ist
171 entsetzlich ", stöhnte sie verzweifelt. " Selbst die Kinder
172 haben längst gemerkt, daß in unserer Ehe etwas nicht stimmt.
173 Wenn ihr Vater zu Hause ist, dann gehen sie ihm scheu aus dem
174 Weg. Doch ich habe fast den Eindruck, er bemerkt es nicht einmal,
175 so gleichgültig sind wir ihm geworden. Die Nächte verbringt er
176 bei der schönen Nowara, wie man die Dame nennt. " " Dame,
177 Johanna, sagtest du wirklich Dame? Eine unverschämte Person
178 ist diese Nowara. Wie kann sie es wagen, einer verheirateten
179 Frau den Mann abspenstig zu machen? Ich werde mit ihr einmal ein
180 offenes Wort reden, darauf kannst du dich verlassen! "
181 Professor Oberländer schlug mit der Faust auf den Tisch. " Um
182 Gottes Willen, Onkel, tu nur das nicht! Du hast ja keine
183 Ahnung, wie fest Viktor und sie verbunden sind. Er ist so
184 vernarrt, daß er Melanie Nowara heiraten will. " " Zum
185 Donnerwetter, Johanna, und das nimmst du so geduldig hin? "
186 " Verrate mir, was ich tun soll, Onkel Martin. " Johanna rang
187 flehend die Hände. " Erst einmal fortgehen, damit er nun sieht,
188 was er an dir hatte. Glaube nicht, daß diese Nowara ihm die
189 Treue hält. Ich kenne diese Art von Dämchen. Es müßte mit
190 sonst etwas zugehen, wenn wir Viktor nicht von dieser Person
191 loseisen würden. Vertraue dich nur deinem alten Onkel Martin an! "
192 " Ich weiß, du meinst es gut, aber dein Optimismus ist
193 hier fehl am Platz. " Johanna sah warm in das gutmütige Gesicht
194 des alten Herrn. " Nun, es kommt auf einen Versuch an. Auf
195 keinen Fall darfst du tatenlos zusehen, wenn eine andere deine Ehe
196 skrupellos zerstört. " " Du meinst, ich soll mit ihr sprechen?
197 Nein, Onkel Martin, das bringe ich nun doch nicht fertig! "
198 stieß Johanna leidenschaftlich hervor. " Du sollst es deiner
199 Kinder wegen tun, Johanna. Es kommt nicht ausschließlich auf
200 dich an. Letzten Endes sind es stets die Kinder, die unter einer
201 zerbrochenen Ehe zu leiden haben. " Stöhnend schlug Johanna die
202 Hände vor das Gesicht. " Wenn du wüßtest, wie schwer mir ums
203 Herz ist, Onkel Martin ", kamen leise die Worte von ihren
204 Lippen. Professor Oberländer stand auf und trat an Johannas
205 Seite. " Nicht gleich so verzweifelt sein, liebe Johanna, "
206 sprach er tröstend auf sie ein. " Es wird nichts so heiß
207 gegessen, wie es gekocht wird. " Trostlos sah Johanna in die
208 gütigen Augen des alten Herrn.
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