Georg Friedrich Meier, Auszug aus der Vernunftlehre, Halle 1752. [vollständig abgedruckt in AA XVI, 1-872]


 
 

 


 

George Friedrich Meiers
ordentlichen Lehrers der Weltweisheit und der berlinischen Akademie
der Wissenschaften Mitgliedes
Auszug
aus der
Vernunftlehre.
Mit Königl. Poln. und Kurfürstl. Sächs. allergnädigsten Freiheiten.
HALLE,
bei Johann Justinus Gebauer. 1752.
Vorrede.


Da diese gegenwärtige Schrift ein blosser Auszug aus meiner grössern
Vernunftlehre ist, welche zu gleicher Zeit mit dieser ans Licht tritt; so habe
ich nichts weiter zu erinnern, als dass ich diesen Auszug zum Gebrauch in
meinen Lesestunden verfertiget habe, und dass ich ein paar Materien in dem
Auszuge abgehandelt habe, welche ich in dem grössern Werke ausgelassen. Da
ich schon seit geraumer Zeit an meiner grössern Vernunftlehre gearbeitet habe,
so darf niemand glauben, als wenn ich zu eilfertig in der Verfertigung dieser
beiden Schriften gewesen wäre. Wenn mich jemand deswegen tadeln will,
dass ich mit zwei Vernunftlehren zu gleicher Zeit ans Licht trete, so muss ich
abwarten, was er für eine vernünftige Ursach seines Tadels anzugeben im Stande
sein wird. Von ohngefähr habe ich §. 63 einen Druckfehler in der zweiten
Zeile gefunden, wo an statt in einem reichen Grade, gelesen werden muss
in einem gleichen Grade. Die übrigen etwa eingeschlichenen Druckfehler wird
der geneigte Leser gütigst entschuldigen. Ich wünsche, dass ich, mit dieser
Schrift, vielen Leuten einen angenehmen Dienst leisten möge.

 
[1]
 

Einleitung in die Vernunftlehre.


§. 1.

Die Vernunftlehre oder die Vernunftkunst (logica, philosophia instrumentalis,
philosophia rationalis) ist eine Wissenschaft, welche die Regeln
der gelehrten Erkenntniss und des gelehrten Vortrages abhandelt.

§. 2.

Damit die Vernunftlehre keine ganz willkürlichen, gekünstelten und
unnatürlichen Gesetze enthalte, so müssen die Regeln derselben hergeleitet werden,
1) aus den Erfahrungen von den Würkungen der menschlichen Vernunft, 2) aus
der Natur der menschlichen Vernunft, 3) aus den allgemeinen Grundwahrheiten,
auf welchen die gesammte menschliche Erkenntniss beruhet.

§. 3.

Die Absicht der Vernunftlehre ist entweder die Vollkommenheit einer
gelehrten Erkenntniss und eines gelehrten Vortrages, welche sich bloss für
Gelehrte von Profession schicken, oder welche auch andern Gelehrten
anständig und brauchbar sind.

 
[2]
 

§. 4.

Die Vernunftlehre ist ein Mittel, ohne welchem man keine gelehrte
Erkenntniss und Wissenschaft erlangen kann, und durch dessen gehörigen
Gebrauch eine gelehrte Erkenntniss und Wissenschaft erlangt wird §. 1.

§. 5.

Die Weltweisheit (philosophia) ist eine Wissenschaft der allgemeinern
Beschaffenheiten der Dinge, in so ferne sie ohne Glauben erkannt werden.
Da nun die gelehrte Erkenntniss und der gelehrte Vortrag viele Arten unter sich
begreifen, so sind ihre Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten allgemeinere
Beschaffenheiten der Dinge, welche in der Vernunftlehre völlig bewiesen werden,
ohne ihre Wahrheit aus Zeugnissen herzuleiten. Es ist demnach die Vernunftlehre
ein Theil der Weltweisheit.

§. 6.

Die Vernunftlehre handelt entweder von einer völlig gewissen gelehrten
Erkenntniss und dem Vortrage derselben, oder von der wahrscheinlichen gelehrten
Erkenntniss und dem Vortrage derselben §. 1. Jene ist die Vernunftlehre der
ganz gewissen gelehrten Erkenntniss (analytica), und diese die Vernunftlehre
der wahrscheinlichen gelehrten Erkenntniss (dialectica, logica probabilium).
Wir handeln die erste Vernunftlehre ab.

§. 7.

In der Vernunftlehre werden, die Regeln der gelehrten Erkenntniss
und des gelehrten Vortrages, entweder auf die besondern Arten derselben angewendet
oder nicht. Jene ist die ausübende Vernunftlehre (logica practica,
utens) und diese die lehrende Vernunftlehre (logica theoretica, docens).

§. 8.

Wenn die Vernunftlehre so beschaffen ist, wie sie vermöge ihrer
Natur beschaffen sein kann und muss, so hat sie unter andern einen dreifachen
Nutzen. 1) Sie befördert die Erlernung und Ausbreitung aller Wissenschaften,
und der gesammten Gelehrsamkeit. Von der Erlernung der Vernunftlehre sollte
also billig, ein jeder Studirender, den Anfang machen. 2) Sie verbessert den
Verstand und die Vernunft, und zeigt wie man diese Erkenntnisskräfte
 
[3]
  brauchen
muss, um die Wahrheit auf eine gehörige Art zu erkennen. 3) Sie befördert
die gesammte Tugend, indem sie den freien Willen verbessert; diejenige Erkenntniss
verschafft, worauf die Tugend beruhet; und in die Verbesserung des
Gewissens einen unentbehrlichen Einfluss hat.

§. 9.

Die Vernunftlehre handelt
I. Von der gelehrten Erkenntniss.
1. Von der gelehrten Erkenntniss überhaupt.
2. Von der Weitläuftigkeit der gelehrten Erkenntniss.
3. Von der Grösse der gelehrten Erkenntniss.
4. Von der Wahrheit der gelehrten Erkenntniss.
5. Von der Klarheit der gelehrten Erkenntniss.
6. Von der Gewissheit der gelehrten Erkenntniss.
7. Von der praktischen gelehrten Erkenntniss.
8. Von gelehrten Begriffen.
9. Von gelehrten Urtheilen.
10. Von gelehrten Vernunftschlüssen.
II. Von der Lehrart der gelehrten Erkenntniss.
III. Von dem gelehrten Vortrage.
1. Von dem Gebrauche der Worte.
2. Von der gelehrten Schreibeart.
3. Von einer gelehrten Rede.
4. Von gelehrten Schriften.
IV. Von dem Charakter eines Gelehrten.

 
[4]
 

Die Vernunftlehre.
Der erste Haupttheil,
von der gelehrten Erkenntniss.
Der erste Abschnitt,
von der gelehrten Erkenntniss überhaupt.


§. 10.

Die Erfahrung lehret, dass wir uns unendlich viele Dinge vorstellen.
Eine Vorstellung (repraesentatio, perceptio), verhält sich als ein Bild,
welches, die malerische Geschicklichkeit der Seele, in ihrem Inwendigen zeichnet.

§. 11.

Die Erkenntniss (cognitio) ist entweder ein Inbegriff vieler Vorstellungen,
oder diejenige Handlung, wodurch eine Vorstellung einer Sache
gewürkt wird. Man kann auch, ohne einen merklichen Irrthum zu besorgen,
Vorstellungen und Erkenntniss für einerlei halten.

§. 12.

Von der Vorstellung und der Erkenntniss ist dasjenige unterschieden,
was wir uns vorstellen, und was wir erkennen. Das letzte wird der Gegenstand
der Erkenntniss und der Vorstellung genannt (obiectum cognitionis et
repraesentationis).

§. 13.

Wir sind uns unserer Vorstellungen und unserer Erkenntniss
bewusst (conscium esse, adpercipere) in so ferne wir sie und ihren Gegenstand
von andern Vorstellungen und Sachen unterscheiden. Das Bewusstsein ist eine
doppelte Vorstellung: eine Vorstellung des Gegenstandes, und eine Vorstellung
seines Unterschiedes von andern. Das Bewusstsein verhält sich wie das Licht
in der Körperwelt, welches uns den Unterschied der Körper entdeckt.

 
[5]
 

§. 14.

Wenn wir uns einer Vorstellung bewusst sind, so sind wir uns
derselben entweder bloss im Ganzen betrachtet bewusst, so dass wir in derselben
selbst nichts von einander unterscheiden; oder wir sind uns auch des Mannigfaltigen
in derselben bewusst. In dem ersten Falle haben wir eine undeutliche
oder eine verworrene Erkenntniss (cognitio indistincta et confusa), in dem
andern aber eine deutliche (cognitio distincta); zum Exempel, wenn wir einen
Menschen von ferne sehen, so haben wir so lange eine undeutliche Erkenntniss
von seinem Gesichte, so lange wir die Theile und Züge des Gesichts nicht erblicken.
Kommt er uns aber näher, und wir fangen an, seine Augen, seine
Nase und die Züge seines Gesichts gewahr zu werden, so erlangen wir eine
deutliche Erkenntniss von seinem Gesichte.

§. 15.

Dasjenige, woraus eine Sache, es mag nun dieselbe entweder eine
Erkenntniss oder der Gegenstand derselben sein, erkannt werden kann, ist der
Grund derselben (ratio), und was aus dem Grunde erkannt werden kann, ist
die Folge desselben (rationatum). Das Licht ist der Grund der Sichtbarkeit
der Körper, und diese Sichtbarkeit ist eine Folge des Lichts. Der Zusammenhang
der Sachen (nexus, consequentia) besteht darin, wenn das eine der Grund
von dem andern ist, oder denselben in sich enthält. Der Grund einer Sache
ist entweder so beschaffen, dass wir unsere ganze Erkenntniss von derselben
aus ihm herleiten können, dergestalt dass ausser demselben nichts weiter erfodert
wird, um alles zu erkennen, was in der Sache angetroffen wird; oder er
ist nicht so beschaffen. Jener ist der hinreichende Grund (ratio sufficiens),
und dieser der unzureichende Grund (ratio insufficiens).

§. 16.

Alles was möglich und würklich ist, hat einen Grund, und es hat
auch alles einen hinreichenden Grund.

 
[6]
 

§. 17.

Wenn wir etwas erkennen, so erkennen wir es entweder auf
eine deutliche Art aus Gründen, oder nicht. Wenn das erste ist, so haben wir
eine vernünftige Erkenntniss (cognitio rationalis). Zu einer solchen Erkenntniss
wird dreierlei erfodert: 1) eine Erkenntniss einer Sache, 2) eine Erkenntniss
ihres Grundes, und 3) eine deutliche Erkenntniss des Zusammenhangs der Sache
mit ihrem Grunde. Zum Exempel: wenn ich erkenne, dass alle Menschen irren
können, weil sie einen eingeschränkten Verstand haben, und ich denke: wer
einen eingeschränkten Verstand hat, der kann irren; nun haben alle Menschen
einen eingeschränkten Verstand, also können sie insgesammt irren: so habe ich
eine vernünftige Erkenntniss von der Wahrheit, dass alle Menschen irren können.

§. 18.

Eine jedwede Erkenntniss, in so ferne sie nicht vernünftig ist, wird
eine gemeine oder eine historische Erkenntniss genannt (cognitio vulgaris,
historica). Alle Dinge können historisch erkannt werden, und man mag sogar
die Gründe derselben erkennen; so lange man den Zusammenhang der Folgen
mit ihren Gründen nicht deutlich einsieht, so lange hat man nur eine bloss
historische Erkenntniss.

§. 19.

Eine vollkommenere historische Erkenntniss ist eine schöne Erkenntniss
(cognitio pulcra, aesthetica), und die schönen Wissenschaften
beschäftigen sich mit den Regeln, durch deren Beobachtung die historische
Erkenntniss verschönert wird.

§. 20.

Obgleich die historische Erkenntniss von der vernünftigen sehr
unterschieden ist §. 17. 18, dergestalt, dass die allerschönste historische Erkenntniss
nicht einmal eine vernünftige Erkenntniss genennet zu werden verdient
§. 19; so ist doch jene zu dieser unentbehrlich, indem ein Mensch keine
vernünftige Erkenntniss von einer Sache erlangen kann, wenn er nicht vorher
eine historische Erkenntniss von derselben besitzt.

 
[7]
 

§. 21.

Die gelehrte und philosophische Erkenntniss (cognitio erudita
et philosophica) ist eine vernünftige Erkenntniss, welche in einem höhern oder
merklichern Grade vollkommen ist.

§. 22.

Wenn das Mannigfaltige in einer Erkenntniss zu einer Absicht
übereinstimmt, oder den hinreichenden Grund von derselben enthält: so besteht
darin die Vollkommenheit der Erkenntniss (perfectio cognitionis). Die Vollkommenheiten
der Erkenntniss finden entweder in ihr statt, in so ferne sie
deutlich oder in so ferne sie undeutlich ist §. 14. Jene werden die logischen
Vollkommenheiten der Erkenntniss (perfectio cognitionis logica), und diese die
Schönheiten derselben genannt (pulcritudo et perfectio aesthetica cognitionis).
Z.E. die mathematische Gewissheit ist eine logische Vollkommenheit, und die
malerische Lebhaftigkeit eine Schönheit der Erkenntniss.

§. 23.

In so ferne eine Erkenntniss nicht vollkommen ist, in so ferne ist
sie eine unvollkommene Erkenntniss (imperfectio cognitionis). Die Unvollkommenheiten
der Erkenntniss finden entweder in ihr statt, in so ferne sie
deutlich, oder in so ferne sie undeutlich ist §. 14. Jene werden die logischen
Unvollkommenheiten der Erkenntniss (imperfectio cognitionis logica), und
diese die Hässlichkeiten derselben genannt (deformitas, imperfectio cognitionis
aesthetica). Z.E. das Säuische und Zotenmässige in den Alltagsscherzen ist
eine Hässlichkeit der Erkenntniss; ein falscher Vernunftschluss aber ist eine
logische Unvollkommenheit derselben.

§. 24.

Die gelehrte Erkenntniss muss mit den Vollkommenheiten der
Erkenntniss ausgeschmückt sein §. 21. 22. Folglich besitzt sie entweder bloss
die logischen Vollkommenheiten der Erkenntniss, indem sie entweder gar nicht
schön oder zugleich wohl gar hässlich ist; oder sie besitzt ausser den logischen
Vollkommenheiten die Schönheiten der Erkenntniss §. 22. 23. Jene ist eine
bloss gelehrte Erkenntniss (cognitio
 
[8]
  mere erudita), und diese eine Erkenntniss,
die schön und gelehrt zu gleicher Zeit ist (cognitio aesthetico-logica).
Die letzte ist vollkommener als die erste, und die erste muss nicht
allein gesucht werden.

§. 25.

Je mehr wir erkennen, desto vollkommener ist unsere Erkenntniss
§. 22. Die erste Vollkommenheit der gelehrten Erkenntniss besteht also in ihrer
Weitläuftigkeit (vastitas, ubertas cognitionis eruditae), welche einer Erkenntniss
zugeschrieben wird, in so ferne sie uns viele Gegenstände vorstellt.

§. 26.

Je grösser und wichtiger unsere Erkenntniss ist, desto vollkommener
ist sie, weil eine grosse Sache vieles in sich begreift §. 22. Die andere Vollkommenheit
der gelehrten Erkenntniss besteht demnach in ihrer Grösse und
Wichtigkeit (dignitas, magnitudo et maiestas cognitionis eruditae), welche einer
Erkenntniss zukommt, in so ferne sie gross und wichtig ist. Z.E. die Erkenntniss
GOttes ist wichtiger, als die Erkenntniss von den Kleidern der Römer.

§. 27.

Weil eine falsche Erkenntniss gar keine Erkenntniss ist, so ist
die Wahrheit der Erkenntniss (veritas cognitionis eruditae) die dritte Vollkommenheit
derselben. Dieselbe kann die Grundvollkommenheit der Erkenntniss
genennet werden, weil ohne sie die Erkenntniss gar keine Erkenntniss, und
also auch keiner Vollkommenheit fähig ist.

§. 28.

Da wir uns in einer deutlichen Vorstellung mehr vorstellen als
in einer undeutlichen §. 14, so ist die Deutlichkeit der gelehrten Erkenntniss
die vierte Vollkommenheit derselben §. 25.

§. 29.

Das Bewusstsein der Wahrheit einer Erkenntniss ist ihre Gewissheit
(certitudo subiective spectata). Da nun sowohl die Wahrheit der Erkenntniss,
als auch das Bewusstsein derselben eine Vollkommenheit ist §. 13. 17, so ist
die Gewissheit der gelehrten Erkenntniss die fünfte Vollkommenheit derselben.

 
[9]
 

§. 30.

Eine gelehrte Erkenntniss ist praktisch, in so ferne sie zu der
Einrichtung unserer freien Handlungen das practica), und darin besteht die sechste Vollkommenheit derselben §. 22.

§. 31.

Je weitläuftiger, wichtiger, richtiger, deutlicher, gewisser und
praktischer eine gelehrte Erkenntniss ist, desto vollkommener ist sie §. 25-30.
Da nun ein jeder vernünftiger Mensch allerwegen nach der grössten Vollkommenheit,
die ihm möglich ist, streben muss; so muss er, wenn er eine gelehrte
Erkenntniss zu erlangen trachtet, 1) alle logische Vollkommenheiten derselben
zu erreichen suchen, 2) eine jede derselben in dem möglichsten Grade, und
ausserdem noch 3) die Schönheiten der Erkenntniss §. 22.

§. 32.

Wer demnach die allervollkommenste gelehrte Erkenntniss erlangen
will, der muss nicht mit einer bloss gelehrten Erkenntniss zufrieden sein §. 24.
31. Sondern ob gleich nicht alle seine gelehrten Vorstellungen zu gleicher Zeit
schön sein können, so muss doch seine gelehrte Erkenntniss, im Ganzen
betrachtet, zugleich eine schöne Erkenntniss sein, wenn sie anders in einem
so hohen Grade verbessert werden soll, als möglich ist.

§. 33.

Eine gelehrte Erkenntniss kann 1) logisch vollkommen und unvollkommen
zugleich sein. Z.E. eine richtige deutliche und gewisse Erkenntniss
kann den Fehler haben, dass sie nicht praktisch ist; 2) in einem höhern Grade
logisch vollkommen als unvollkommen, oder mehr unvollkommen als vollkommen
sein; 3) logisch vollkommen und schön oder hässlich zu gleicher Zeit sein;
4) logisch vollkommen und weder schön noch hässlich; 5) logisch unvollkommen
und zu gleicher Zeit schön oder hässlich §. 22. 23.

§. 34.

Wer eine gelehrte Erkenntniss erlangen will, die zugleich schön
ist §. 32, der muss 1) dieselbe nicht auf die Art und in dem Grade logisch
vollkommen machen, dass dadurch alle Schönheit derselben verhindert werde;
2) er muss sie nicht dergestalt und in dem Grade verschönern, dass
 
[10]
  dadurch
die erfoderte logische Vollkommenheit derselben unmöglich gemacht werde; 3) er
muss die logischen Vollkommenheiten vornehmlich zu erhalten suchen, und er
muss die Schönheiten nur sparsamer, als eine Verzierung, anbringen.

§. 35.

Wenn einige Vollkommenheiten in der gelehrten Erkenntniss nicht
zugleich erlangt werden können, so muss man die kleinern und unnöthigern
Vollkommenheiten fahren lassen, um die grössern und nöthigern zu erhalten.
Man muss demnach in einer gelehrten Erkenntniss, die nicht bloss gelehrt werden
soll, ofte von der logischen Strenge in Kleinigkeiten nachlassen, um die grössere
Schönheit der Erkenntniss zu erlangen.

§. 36.

Die Unvollkommenheiten der gelehrten Erkenntniss sind entweder
Mängel oder Fehler. Ein Mangel der gelehrten Erkenntniss (defectus cognitionis
eruditae) entsteht daher, wenn gewisse Regeln ihrer Vollkommenheit nicht
beobachtet und auch nicht übertreten werden. Z.E. wenn ein Hauptbegriff gar
nicht erklärt wird, so werden die Regeln der Erklärungen weder beobachtet
noch übertreten. Ein Fehler der gelehrten Erkenntniss (vitium cognitionis
eruditae) entsteht daher, wenn die Regeln ihrer Vollkommenheit übertreten
werden. Z.E. wenn man einen Begriff falsch erklärt. Ob man gleich alle
Mängel und Fehler vermeiden muss, so muss man sich doch mehr vor den
letztern hüten, weil man sagen kann, dass ein jeder Fehler mit einem Mangel
verknüpft ist, und ein Fehler ist demnach eine grössere Unvollkommenheit als
ein blosser Mangel.

§. 37.

Die gemeine und historische Erkenntniss kann viel vollkommener
sein, als die bloss gelehrte, wenn sie nämlich sehr schön ist §. 22. 23. Z.E. ein
ungelehrter General und Minister kann eine viel vollkommenere Erkenntniss
besitzen, als ein gelehrter und pedantischer Bücherwurm. Dieser Vorzug kommt
der gemeinen Erkenntniss nur zufälliger Weise
 
[11]
  zu, wenn die gelehrte Erkenntniss
nicht so vollkommen ist, als sie sein könnte und sollte.

§. 38.

Die gelehrte Erkenntniss ist allemal nothwendiger Weise vollkommener
als die gemeine, wenn sie in den übrigen Stücken einander gleich
sind §. 18. 21.

§. 39.

Obgleich die gemeine Erkenntniss sehr nützlich, und in unendlich
vielen Fällen zureichend ist, unsere Wohlfahrt zu befördern, ja obgleich manche
gemeine Erkenntniss zufälliger Weise nützlicher sein kann, als manche gelehrte:
so ist doch die gelehrte nothwendiger Weise nützlicher als die gemeine, wenn
sie in den übrigen Stücken einander gleich sind. Denn 1) da sie vollkommener
ist §. 38, so verbessert sie auch die Erkenntnisskraft in einem höhern Grade
als die gemeine; 2) um eben der Ursach willen schafft sie ein grösseres Vergnügen
als die gemeine; 3) sie ist dem Charakter der Menschheit gemässer und
anständiger als die gemeine; 4) sie befördert die Erfindung neuer Wahrheiten
mehr als die gemeine; und 5) kann sie viel geschickter und besser angewendet
und ausgeübt werden, als die gemeine Erkenntniss.

§. 40.

Eine gelehrte Erkenntniss, welche zugleich schön ist, verschafft
alle Nutzen der gelehrten §. 39, und alle Nutzen der schönen Erkenntniss. Und
da sie zugleich allen Schaden der bloss gelehrten und der bloss schönen Erkenntniss
verhütet: so ist sie unter allen Arten der menschlichen Erkenntniss
die nützlichste und brauchbarste Erkenntniss.

Der andere Abschnitt,
von der Weitläuftigkeit der gelehrten Erkenntniss.


§. 41.

Die Unvollkommenheit der gelehrten Erkenntniss, welche der Weitläuftigkeit
derselben entgegengesetzt ist §. 25, ist die Armseligkeit der gelehrten
Erkenntniss (angustia eruditae cognitionis), und es entsteht dieselbe allemal
aus der Unwissenheit (ignorantia) oder aus dem gänzlichen
 
[12]
  Mangel der
Erkenntniss der Dinge und ihrer Gründe. In dem Maasse, als die Weitläuftigkeit
der gelehrten Erkenntniss eines Menschen zunimmt, nimmt seine Unwissenheit
ab, und je grösser die Unwissenheit eines Menschen ist, desto armseliger ist
seine gelehrte Erkenntniss.

§. 42.

Der Weitläuftigkeit der gelehrten Erkenntniss ist eine doppelte
Unwissenheit entgegengesetzt: 1) eine gänzliche Unwissenheit (ignorantia
totalis), wenn wir nicht einmal eine historische Erkenntniss von einer Sache
haben; und 2) eine Unwissenheit der Gründe der Dinge (ignorantia rationum),
bei welcher eine vortreffliche historische Erkenntniss derselben noch statt finden
kann.

§. 43.

Die Unwissenheit eines Menschen ist 1) eine schlechterdings
nothwendige und unvermeidliche Unwissenheit (ignorantia absolute necessaria
et invincibilis), welche er um der Schranken seiner Erkenntnisskraft willen nicht
vermeiden kann; und 2) eine freiwillige (ignorantia arbitraria et vincibilis),
deren entgegengesetzte Erkenntniss er erlangen könnte, wenn er wollte.

§. 44.

Der Inbegriff aller derjenigen Dinge, welche ein Mensch, ohne
Nachtheil seiner übrigen gesammten Vollkommenheit, auf eine gelehrte Art erkennen
kann, ist der Horizont, oder der Gesichtskreis seiner gelehrten Erkenntniss
(horizon seu sphaera cognitionis eruditae). Es werden also von demselben
alle Dinge ausgeschlossen, in deren Absicht ein Mensch nothwendiger
oder freiwilliger Weise unwissend bleiben muss §. 43.

§. 45.

Eine Sache ist über den Horizont der menschlichen gelehrten
Erkenntniss erhöhet (res supra horizontem eruditae cognitionis humanae posita),
wenn die Unwissenheit derselben in einem Menschen schlechterdings nothwendig
ist, ob sie gleich einer gelehrten Erkenntniss nicht unwürdig ist. Der menschliche
Verstand ist zu schwach, als dass er diese wichtigen Sachen sollte gelehrt
zu erkennen im Stande sein. Ob man nun gleich solche Sachen nicht
 
[13]
  verachten
muss, die über unsern Horizont gehen, und ob man gleich ohne hinreichenden
Grund nichts für eine Sache ausgeben muss, die über den Horizont
unserer Erkenntniss erhöhet ist; so muss man doch das vergebliche und schädliche
Bestreben nach einer gelehrten Erkenntniss solcher Sachen, die über unsern
Horizont gehen, aufs möglichste zu vermeiden suchen.

§. 46.

Eine Sache ist unter den Horizont der menschlichen gelehrten
Erkenntniss erniedriget (res infra horizontem eruditae cognitionis humanae
posita), welche von einem Menschen zwar gelehrt erkannt werden könnte, die
aber nicht gross genung ist, um einer solchen Erkenntniss werth zu sein.
Gleichwie man nun nicht ohne genugsamen Grund eine Sache für etwas ausgeben
muss, welches unter den Horizont der menschlichen gelehrten Erkenntniss
erniedriget ist, also muss man sich auch nicht bemühen, solche Dinge gelehrt
zu erkennen, welche würklich unter den Horizont der menschlichen gelehrten
Erkenntniss erniedriget sind. Widrigenfalls macht man sich lächerlich und verächtlich,
und man versäumt darüber die gelehrte Erkenntniss wichtigerer und
nöthigerer Sachen.

§. 47.

Eine Sache ist ausser dem Horizonte der gelehrten menschlichen
Erkenntniss (res extra horizontem cognitionis humanae eruditae posita),
welche zwar von einem Menschen auf eine gelehrte Art erkannt werden könnte,
welche auch einer menschlichen gelehrten Erkenntniss nicht unwürdig ist, deren
gelehrte Erkenntniss aber einen Menschen an seinen übrigen nöthigen Beschäftigungen
verhindern würde. Niemand muss ohne genugsamen Grund eine Sache für
etwas ausgeben, welches ausser dem Horizonte seiner gelehrten Erkenntniss angetroffen
wird; es muss aber auch niemand nach einer gelehrten Erkenntniss
solcher Sachen streben, die ausser dem Horizonte seiner gelehrten Erkenntniss
befindlich sind, weil er sich widrigenfalls in fremde Händel mischen, und darüber
sein Werk versäumen würde.

 
[14]
 

§. 48.

Alle diejenigen Sachen, welche weder über den Horizont der
menschlichen gelehrten Erkenntniss erhöhet sind, noch unter denselben erniedriget
sind, noch ausser demselben angetroffen werden, sind innerhalb dem
Umfange des Horizonts der menschlichen gelehrten Erkenntniss befindlich
(res intra horizontem cognitionis humanae eruditae posita), und sie machen den
gelehrten Horizont aus §. 44.

§. 49.

Die allerweitläuftigste gelehrte Erkenntniss eines Menschen besteht
in der gelehrten Erkenntniss aller Dinge, die innerhalb dem Umfange seines
Horizonts befindlich sind §. 48. 25. Da nun ein jeder Gelehrter die weitläuftigste
gelehrte Erkenntniss, die ihm möglich ist, erlangen muss; so muss er die Grenzen
und den Umfang seines Horizonts so genau auszumessen suchen, als es die
Schwachheit der Menschen erlaubt §. 44.

§. 50.

Und wenn ein Mensch auch die allerweitläuftigste gelehrte Erkenntniss
erlangt haben sollte, so bleibt doch noch viele nothwendige Unwissenheit übrig,
die ihm weder zur Ehre noch zur Schande gereicht §. 43. Was aber die freiwillige
Unwissenheit betrifft, so ist sie entweder lobenswürdig oder tadelnswürdig.
Die lobenswürdige Unwissenheit (ignorantia laudabilis), ist die
Unwissenheit solcher Dinge, die unter und ausser dem Horizonte der gelehrten
Erkenntniss angetroffen werden §. 46. 47.

§. 51.

Die tadelnswürdige Unwissenheit (ignorantia illaudabilis), ist
die Unwissenheit solcher Dinge, die innerhalb dem Horizonte der gelehrten Erkenntniss
angetroffen werden §. 48. Wer also die allerweitläuftigste gelehrte
Erkenntniss erlangen will, der muss alle tadelnswürdige Unwissenheit, und sonst
keine andere Unwissenheit zu vermeiden suchen §. 49.

§. 52.

Es ist eine lächerliche Thorheit mancher armseligen Köpfe unter
den Gelehrten, wenn sie sich ihre tadelnswürdige Unwissenheit als ein Verdienst
anrechnen,
 
[15]
  und mit dem Sokrates, der eine sehr weitläuftige Gelehrsamkeit
besass, von sich vorgeben: dass sie nichts wissen, ausser dass sie nichts wissen.

§. 53.

Je mehr Sachen jemand auf eine gelehrte Art erkennet, desto
weitläuftiger ist seine gelehrte Erkenntniss. Ein höherer oder merklicher, und
folglich seltener Grad der Weitläuftigkeit der gelehrten Erkenntniss, wird die
Vielwisserei (polyhistoria) genennet. Es ist dieselbe unleugbar eine grosse
Vollkommenheit der gelehrten Erkenntniss, wenn man nur durch den Geiz nach
der Polyhistorie nicht verleitet wird, 1) die Schranken seines gelehrten Horizonts
zu überschreiten, und 2) die übrigen Vollkommenheiten der gelehrten Erkenntniss
gar zu merklich zu verabsäumen.

§. 54.

Wer seine gelehrte Erkenntniss weitläuftig genung machen will,
der muss 1) viele Haupttheile der Gelehrsamkeit lernen. Z.E. die Weltweisheit,
Gottesgelahrtheit, Historie, Philologie u.s.w. 2) Aus einem jedweden Haupttheile
viele Theile, z.E. aus der Weltweisheit die Vernunftlehre, Metaphysik,
Physik, Recht der Natur u.s.w. 3) Einen jeden dieser Theile muss er wiederum
weitläuftig lernen, z.E. die Vernunftlehre, und 4) von einer jeden einzeln
Wahrheit muss er wiederum eine weitläuftige gelehrte Erkenntniss zu erlangen
suchen, z.E. von der Allwissenheit GOttes.

§. 55.

Eine weitläuftige gelehrte Erkenntniss ist ausführlich und vollständig
(completa cognitio erudita), wenn sie zu ihren Absichten zureicht, oder
wenn wir so viel gelehrt erkennen, als die ganze Absicht unserer gelehrten
Erkenntniss erfodert. Die Weitläuftigkeit ohne Ausführlichkeit ist nicht vollkommen
genung, und man muss demnach die vornehmsten Wahrheiten von den
Nebensachen in einem jedweden Gegenstande der gelehrten Erkenntniss unterscheiden
lernen, damit man durch die gelehrte Erkenntniss der erstern eine
vollständige Gelehrsamkeit erlange.

 
[16]
 

§. 56.

Wer bloss auf eine cavaliermässige Art studirt, indem er bloss
einen weitläuftigen Entwurf aller Theile der Gelehrsamkeit flüchtig durchläuft;
einige wenige Theile der Gelehrsamkeit zwar etwas weitläuftiger, aber doch
ganz kurz durchgeht; und etwa hie und da einige besondere Materien untersucht,
weil sie ihm irgends um einer Ursach willen vorzüglich gefallen: dessen
gelehrte Erkenntniss ist ein schlechtes Gerippe der Gelehrsamkeit, und verdient
eine sehr geringe Achtung §. 55.

§. 57.

Weil es unmöglich ist, dass ein Mensch eine ausführlich weitläuftige
gelehrte Erkenntniss mit einem Male erlange; so muss man beständig
die gelehrte Erkenntniss zu erweitern suchen: damit man in derselben nicht
rückwärts gehe, indem man weiter vorwärts zu gehen unterlässt.

§. 58.

Weil, durch die Erweiterung der gelehrten Erkenntniss, die Erkenntnisskräfte
zu gleicher Zeit fähiger gemacht werden; so hat man nicht zu
besorgen, dass man durch die beständige Erweiterung der gelehrten Erkenntniss
seinen Kopf überladen werde, wenn man nur bei dieser Beschäftigung die
Grenzen des gelehrten Horizonts nicht überschreitet.

§. 59.

Ob gleich die Kunst lang und das menschliche Leben kurz ist, so
muss uns diese Betrachtung vielmehr anreizen, mit der gehörigen Eilfertigkeit
so viel zu erlernen als möglich ist, als dass sie uns eine Zaghaftigkeit und
Muthlosigkeit einflössen sollte, die uns an der Erweiterung der gelehrten Erkenntniss
verhindert.

§. 60.

Damit man die Erweiterung der gelehrten Erkenntniss nicht für
unnöthig und unnütz ansehe, muss man sich keinen zu kleinen, geringen und
niederträchtigen Zweck vorsetzen, den man durch seine gelehrte Erkenntniss zu
erreichen trachtet.

§. 61.

Da es natürlich nothwendig ist, dass wir Menschen vieles vergessen;
so muss man eben deswegen die gelehrte Erkenntniss sehr erweitern, damit man
viel vergessen
 
[17]
  und dem ohnerachtet noch viel behalten könne. Die Wahrheiten,
die wir vergessen, sind ohnedem nicht ganz unnütz gewesen, weil sie
den Grad unserer Erkenntnisskräfte vermehrt haben.

§. 62.

Die Weitläuftigkeit der gelehrten Erkenntniss entsteht aus einer
doppelten Quelle, welche beide beisammen sein müssen: 1) aus der Weitläuftigkeit
und dem reichen Inhalte des Gegenstandes, wenn derselbe vieles
in sich enthält, so von einem Menschen auf eine gelehrte Art erkannt werden
kann (vastitas obiectiva); und 2) aus der Ausdehnung der Erkenntnisskräfte
(vastitas subiectiva), vermöge welcher man im Stande ist, viel auf eine gelehrte
Art von einer Sache zu erkennen.

§. 63.

Weil es unmöglich ist, dass ein Mensch alle Theile der Gelehrsamkeit
in einem gleichen Grade der Vollkommenheit erlerne; so muss sich ein
jeder einen derselben aussuchen, mit welchem er sich am meisten beschäftiget,
und von welchem er die vollkommenste gelehrte Erkenntniss zu erlangen trachtet.
Derselbe ist seine Hauptwissenschaft (scientia eruditi principalis). Ein jeder
muss sich zu seiner Hauptwissenschaft denjenigen Theil der Gelehrsamkeit erwählen,
1) welcher von den Menschen in einem sehr hohen Grade der Vollkommenheit
erkannt werden kann, und 2) zu welchem er die meiste Geschicklichkeit,
vernünftige Lust, und andere Beförderungsmittel besitzt.

§. 64.

Ein jeder muss 1) seine Hauptwissenschaft am weitläuftigsten und
ausführlichsten lernen, und 2) alle andere Theile der Gelehrsamkeit in Beziehung
auf seine Hauptwissenschaft untersuchen. Je näher ein anderer Theil der
Gelehrsamkeit mit der Hauptwissenschaft verbunden ist, desto vollkommener und
weitläuftiger muss man denselben gelehrt zu erkennen suchen §. 63.

§. 65.

Die Armseligkeit der gelehrten Erkenntniss verursacht unter andern
einen dreifachen Schaden: 1) Die gelehrte
 
[18]
  Pedanterei und Charlatanerie
(pedantismus et charlataneria eruditorum), vermöge welcher man das wenige,
was man versteht, gar zu hoch schätzt, und alles übrige ganz verachtet; 2) eine
lächerliche Einbildung und einen eiteln Hochmuth; und 3) wenige Gelehrsamkeit
kann einen Menschen Zeit Lebens unglücklich machen, indem er just in solche
Umstände gerathen kann, in welchen dasjenige, was er gelernt hat, nicht von ihm
verlanget wird, und dasjenige, was er nicht gelernt hat, von ihm erwartet wird.

Der dritte Abschnitt,
von der Grösse der gelehrten Erkenntniss.


§. 66.

Die Grösse der gelehrten Erkenntniss erfodert nicht nur einen
grossen Gegenstand, sondern die Erkenntniss muss auch für den Gegenstand
gross genung sein §. 26. Je grösser der Gegenstand, und je proportionirter
die Erkenntniss ist, desto grösser ist die gelehrte Erkenntniss.

§. 67.

Der Gegenstand der gelehrten Erkenntniss ist vor sich betrachtet
gross (magnitudo eruditae cognitionis obiectiva absoluta), wenn er viel Mannigfaltiges
in sich enthält, welches auf eine gelehrte Art erkannt werden kann.
Zum Exempel: GOtt, die Weltweisheit, die Historie u.s.w.

§. 68.

Der Gegenstand der gelehrten Erkenntniss ist in Absicht auf
seine Folgen gross (magnitudo eruditae cognitionis obiectiva respectiva), 1) wenn
er wichtig ist (res digna, gravis), das ist, wenn er grosse Folgen hat, z.E.
wenn auf ihm die Glückseligkeit der Menschen, das Wohl des Vaterlandes u.s.w.
beruhet; 2) wenn er fruchtbar ist (res foecunda), das ist, wenn viele Folgen
aus ihm herfliessen. Z.E. die Gottseligkeit, denn sie ist zu allen Dingen nütze.

 
[19]
 

§. 69.

Wer seine gelehrte Erkenntniss recht gross machen will, der
muss lauter schlechterdings grosse, wichtige und fruchtbare Sachen zu erkennen
suchen. Je mehr der Gegenstand in sich enthält, je grösser seine Folgen sind,
und je mehr Folgen er hat, desto grösser, wichtiger und fruchtbarer ist er; und
desto grösser, wichtiger und fruchtbarer ist die gelehrte Erkenntniss desselben,
in so ferne man sie nämlich in Absicht auf ihren Gegenstand betrachtet.

§. 70.

Die Grösse der gelehrten Erkenntniss, welche ihr selbst zukommt
(magnitudo cognitionis eruditae subiectiva), besteht darin, wenn sie der
Grösse ihres Gegenstandes proportionirt ist §. 66. Je grösser der Gegenstand
ist, desto weitläuftiger, richtiger, deutlicher, gewisser und praktischer muss die
gelehrte Erkenntniss desselben sein, und desto mehr Zeit und Fleiss muss auf
die Erlangung derselben gewendet werden. Je weniger gross der Gegenstand
ist, desto weniger vollkommen muss die gelehrte Erkenntniss sein, und desto
weniger Zeit und Fleiss muss auf die Erlangung derselben gewendet werden.

§. 71.

Die Unvollkommenheit der gelehrten Erkenntniss, welche ihrer
Grösse entgegengesetzt ist, wird die Kleinigkeit derselben genennet (parvitas,
vilitas cognitionis eruditae); und sie entsteht entweder aus der Kleinigkeit des
Gegenstandes, oder daher, wenn die gelehrte Erkenntniss dem Gegenstande nicht
proportionirt ist §. 66.

§. 72.

Der Gegenstand der gelehrten Erkenntniss ist, vor sich betrachtet,
klein (parvitas cognitionis eruditae obiectiva absoluta), wenn er wenig in sich
enthält, welches auf eine gelehrte Art erkannt werden kann. Z.E. die Haarnadeln
des römischen Frauenzimmers.

§. 73.

Der Gegenstand der gelehrten Erkenntniss ist, in Absicht auf
seine Folgen, klein (parvitas cognitionis eruditae obiectiva respectiva), 1) wenn
er nicht wichtig ist (res$f leviores), das ist, wenn er keine grossen Folgen hat,
z.E. die Lehre von der Zusammensetzung der
 
[20]
  Körper aus Monaden;
2) wenn er unfruchtbar ist (res infoecunda, sterilis), das ist, wenn er nicht
viele Folgen hat, z.E. die Lehre von der Unkörperlichkeit der Seele.

§. 74.

Wenn eine Sache in allen Absichten klein ist §. 72. 73, so ist sie
keiner gelehrten Erkenntniss werth: denn sie ist unter den Horizont derselben
erniedriget §. 46. Je weniger eine Sache in sich enthält, je wenigere und
kleinere Folgen sie hat, desto kleiner ist sie. Zu diesen Kleinigkeiten muss
man auch die pöbelhaften und niederträchtigen Dinge rechnen (res plebeiae,
abiectae), deren gelehrte Untersuchung den ehrbaren Sitten sogar zuwider sein
würde, z.E. die Ausbrüche der Laster unter dem Pöbel.

§. 75.

Die Kleinigkeit der gelehrten Erkenntniss, welche ihr selbst
zukommt (parvitas cognitionis eruditae subiectiva), besteht darin, wenn sie den
Gegenständen nicht proportionirt ist §. 71. Folglich 1) wenn man eine vollkommenere
gelehrte Erkenntniss mit mehrerer Mühe sucht, und mehr Zeit darauf
wendet, als der Gegenstand verdient; und 2) wenn man einen Gegenstand nicht
so vollkommen erkennet, nicht mit so vieler Mühe untersucht, und nicht so viel
Zeit drauf wendet, als er verdient. Z.E. wer die Irrthümer gelehrter und
fleissiger bestürmt, als die Laster, dessen gelehrte Erkenntniss ist nicht proportionirt
genung.

§. 76.

Wer seine gelehrte Erkenntniss recht vollkommen machen will, der
muss 1) wenn es ihm möglich ist, zu seiner Hauptwissenschaft den grössten
§. 67. 68 Theil der Gelehrsamkeit erwählen §. 63; 2) je grösser ein Theil der
Gelehrsamkeit ist, desto mehr Mühe und Fleiss muss er auf denselben wenden,
und desto vollkommener muss die gelehrte Erkenntniss desselben sein; 3) je
grösser die Wahrheiten sind, desto mehr Mühe und Zeit muss er auf dieselbe
wenden, und desto vollkommener muss seine gelehrte Erkenntniss derselben sein.

 
[21]
 

§. 77.

Wer keine reife und männliche Beurtheilung besitzt, der kann
unmöglich von dem wahren Werthe der Dinge urtheilen, und es ist ihm also
unmöglich, die Grösse der gelehrten Erkenntniss zu erreichen.

§. 78.

Weil alle Gegenstände der gelehrten Erkenntniss in einer allgemeinen
Verbindung stehen, so sind sie alle unendlich gross, wichtig und
fruchtbar §. 67. 68. Ein Gegenstand wird also nur eine Kleinigkeit in Beziehung
auf uns genannt, weil es uns unmöglich ist, seine Grösse, Wichtigkeit und
Fruchtbarkeit gelehrt zu erkennen.

§. 79.

Gleichwie eine gelehrte Erkenntniss sammt ihrem Gegenstande nicht
deswegen für gross zu achten ist, weil dieser oder jener kleiner Geist ein grosses
Aufheben von derselben macht; also muss man sie auch nicht für klein halten,
weil sie von eben demselben für eine geringschätzige Sache ausgegeben wird.

§. 80.

Eine gelehrte Erkenntniss ist deswegen keine geringschätzige und
unfruchtbare Kleinigkeit, weil dieser oder jener trockener und unfruchtbarer
Kopf nicht vermögend ist, aus derselben viele und wichtige Folgen herzuleiten.
Der Pflanze ist die Unfruchtbarkeit des Erdbodens nicht zuzurechnen.

§. 81.

Die Anwendung einer grossen gelehrten Erkenntniss auf kleine,
lächerliche, pöbelhafte und verächtliche Fälle, kann dieselbe zwar zufälliger Weise
lächerlich, verächtlich und pöbelhaft machen; allein sie muss deswegen
nicht zu den geringschätzigen Kleinigkeiten gerechnet werden.

§. 82.

Wenn die grossen Gegenstände der gelehrten Erkenntniss, auf
eine verachtenswürdige und lächerliche Art, von diesem oder jenem vorgestellt
und vorgetragen werden; so müssen sie deswegen nicht zu den verachtungswürdigen
Kleinigkeiten gerechnet werden.

§. 83.

Ein Gelehrter muss nicht durch seine eigene Schuld, durch die
elende Anwendung, und durch lächerliche
 
[22]
  Vorstellungen und Ausdrücke,
die gelehrte Erkenntniss lächerlich und verächtlich machen §. 81. 82.

§. 84.

Wenn eine gelehrte Erkenntniss in unsern dermaligen Umständen
nicht wichtig und fruchtbar sein sollte, weil wir ihre Folgen noch nicht einsehen;
so kann sie doch künftig wichtig und fruchtbar werden, und sie ist also
deswegen keine Kleinigkeit. Wir müssen auch für unsere Nachkommen Bäume
pflanzen, deren Früchte wir nicht geniessen.

§. 85.

Man beschimpft sich selbst, wenn man die abstracte Erkenntniss,
die Subtilitäten und die tiefsinnigen Unterscheidungen nicht für grosse und
wichtige Sachen hält, weil sie viel mühsames Nachdenken erfodern.

§. 86.

Die Zwischenwahrheiten in einem weitläuftigen Lehrgebäude haben
zwar an sich nicht viel zu bedeuten; allein weil man ohne denenselben die
Hauptwahrheiten nicht recht gelehrt erkennen kann, so sind sie deswegen grosse
und würdige Gegenstände unserer gelehrten Erkenntniss.

§. 87.

Eine gelehrte Untersuchung ist deswegen nicht wichtig, weil sie
viel Mühe, Fleiss und Zeit erfodert, und weil sie nicht ohne grosse Gelehrsamkeit
angestellt werden kann: denn es giebt auch sehr schwere Possen.

§. 88.

Ein Theil der Gelehrsamkeit ist deswegen nicht unter die Kleinigkeiten
zu rechnen, weil er mit vielen Kleinigkeiten angefüllt ist.

§. 89.

Eine gelehrte Erkenntniss, welche in einer Absicht nicht gross ist,
die kann in einer andern Absicht gross sein, und sie muss also nicht für eine
Kleinigkeit gehalten werden §. 67. 68. Z.E. eine Erkenntniss kann nicht wichtig,
aber doch fruchtbar sein.

§. 90.

Weil verschiedene Gelehrte verschiedene Hauptwissenschaften sich
erwählt haben können §. 63, so kann eine gelehrte Untersuchung in Absicht
auf den einen gross, und in Absicht auf den andern klein sein.

 
[23]
 

§. 91.

Ein grosser Geist besitzt die Fertigkeit, nur eine grosse
gelehrte Erkenntniss zu haben. Seine Neigung zu derselben und sein Abscheu
vor allen Kleinigkeiten nöthigen ihn, allemal erst die Grösse der Sache zu untersuchen,
ehe er sich bemüht, dieselbe auf eine gelehrte Art zu erkennen, damit
er wisse, ob sie einer gelehrten Erkenntniss, und welches Grades der Vollkommenheit
derselben sie werth sei.

Der vierte Abschnitt,
von der Wahrheit der gelehrten Erkenntniss.


§. 92.

Eine falsche oder unrichtige Erkenntniss (cognitio falsa), ist
eine Erkenntniss, welche keine Erkenntniss ist, und doch eine Erkenntniss zu
sein scheint. Eine falsche gelehrte Erkenntniss (cognitio erudita falsa), scheint
nur eine gelehrte Erkenntniss zu sein, und sie ist entweder gar keine Erkenntniss,
oder doch wenigstens keine gelehrte Erkenntniss. Z.E. diejenigen, welche die
wachsthümliche Seele der Pflanzen annehmen, und den Wachsthum der Pflanzen
aus derselben herleiten, haben eine falsche gelehrte Erkenntniss.

§. 93.

Eine wahre oder richtige Erkenntniss (cognitio vera), scheint
nicht nur eine Erkenntniss zu sein, sondern sie ist es auch in der That. Eine
wahre gelehrte Erkenntniss (cognitio erudita vera), scheint nicht nur eine
gelehrte Erkenntniss zu sein, sondern sie verdient auch diesen Namen in der
That. Z.E. wer die Würklichkeit GOttes aus der Zufälligkeit dieser Welt überzeugend
darthut, hat eine wahre gelehrte Erkenntniss.

§. 94.

Die Kennzeichen der Richtigkeit und Unrichtigkeit der Erkenntniss
(criteria veritatis et falsitatis cognitionis), sind die Gründe, aus denen
erkannt werden kann, dass eine Erkenntniss wahr, oder dass sie falsch sei.
Und sie sind entweder in der Erkenntniss selbst vorhanden,
 
[24]
  oder nicht. Jene
sind die innerlichen, und diese die äusserlichen Kennzeichen der Richtigkeit
und Unrichtigkeit (criteria interna et externa veritatis et falsitatis cognitionis).

§. 95.

Das erste innerliche Kennzeichen der Wahrheit einer Erkenntniss
besteht in der innern Möglichkeit derselben (possibilitas cognitionis interna),
in so ferne sie etwas Mögliches vorstellt, und nichts enthält, welches einander
zuwider ist, und wenn man sie auch ganz allein betrachtet. Die innerliche
Unmöglichkeit der Erkenntniss (impossibilitas cognitionis interna), wenn sie
nichts vorstellt, und wenn das Mannigfaltige in ihr wider einander streitet, ist
also das erste innerliche Kennzeichen, dass sie falsch ist §. 94. 93. 92.

§. 96.

Das andere innerliche Kennzeichen der Wahrheit einer Erkenntniss
besteht darin, wenn sie in einem Zusammenhange möglich ist (possibilitas
cognitionis hypothetica). Folglich 1) wenn sie eine Folge richtiger Gründe, und
2) ein Grund richtiger Folgen ist, §. 94. 93. Es ist demnach eine Erkenntniss
wahr, wenn sie nicht unmöglich ist, und dem Satze des zureichenden Grundes
gemäss ist §. 16.

§. 97.

Eine Erkenntniss ist falsch, wenn sie im Zusammenhange unmöglich
ist (impossibilitas in nexu); folglich wenn sie keine oder falsche Gründe,
und keine oder falsche Folgen hat §. 96. Und dieses ist das andere innerliche
Kennzeichen ihrer Unrichtigkeit §. 94.

§. 98.

Wir müssen nicht annehmen: 1) dass eine Erkenntniss wahr sei,
weil wir keine innerliche Unmöglichkeit in ihr gewahr werden; 2) dass sie
falsch sei, weil wir keine innerliche Möglichkeit in derselben gewahr werden;
3) dass eine Erkenntniss wahr sei, deren Ungrund und falsche Gründe und
Folgen wir nicht gewahr werden; 4) dass eine Erkenntniss falsch sei, von der
wir keine richtigen
 
[25]
  Gründe und Folgen erkennen. Denn wir Menschen
sind nicht allwissend.

§. 99.

Wenn wir uns eine Sache anders vorstellen als sie ist, so glauben
wir sie zu erkennen, und erkennen sie doch nicht. Es ist demnach unsere
Erkenntniss falsch §. 92. Überdies haben alle mögliche Dinge eine innerliche
Möglichkeit, Gründe und Folgen §. 15. 16. Es besteht demnach die logische
Wahrheit der Erkenntniss (veritas cognitionis logica), in der Übereinstimmung
derselben mit ihrem Gegenstande, und die logische Unrichtigkeit derselben
(falsitas cognitionis logica) darin, wenn sie mit ihrem Gegenstande nicht
übereinstimmt §. 95. 96. 97.

§. 100.

Wenn eine Erkenntniss nichts Wahres enthält, so ist sie ganz
falsch (falsitas totalis), und wenn sie nichts Falsches enthält, so ist sie ganz
wahr (veritas totalis). Sie kann aber wahr und falsch zugleich, aber in verschiedener
Absicht, sein, (veritas et falsitas partialis). Man muss demnach eine
weitläuftige Erkenntniss nicht ganz annehmen, weil vielleicht wohl gar das
Meiste und Wichtigste in derselben wahr ist; und nicht ganz verwerfen, weil
vielleicht wohl gar das Meiste und Wichtigste in derselben falsch ist. Zum
Exempel, die Lehrgebäude verschiedener Religionen.

§. 101.

Je mehrere und mannigfaltigere Stücke eine Erkenntniss
in sich enthält, die beisammen möglich sind, je grösser diese Stücke sind: und je
mehrere und grössere richtige Gründe und Folgen sie hat, desto richtiger ist die
Erkenntniss §. 95. 96. Wer also seine gelehrte Erkenntniss aufs möglichste
verbessern will, der muss in ihr den möglichsten Grad der Wahrheit zu erreichen
suchen.

§. 102.

Eine Erkenntniss, welche in einem höhern Grade richtig ist, wird
eine genaue Erkenntniss (cognitio exacta, exasciata) genennet; welche aber in
einem kleinern Grade wahr ist, heisst eine grobe (cognitio crassa). Alle grobe
Erkenntniss muss vermieden werden, und zwar
 
[26]
  um so viel mehr, je gröber
sie ist, oder je mehreres und wichtigeres Falsche sie enthält. Im Gegentheil
muss die vollkommene gelehrte Erkenntniss so genau sein als möglich §. 101,
und je grösser die Gegenstände sind, desto genauer muss man sie zu erkennen
suchen §. 70. Je kleiner sie aber sind, desto weniger richtig darf ihre Erkenntniss
sein §. 70.

§. 103.

Die gelehrte Erkenntniss kann auf eine dreifache Weise falsch
sein: 1) wenn die Erkenntniss der Sachen falsch ist, obgleich die Erkenntniss
der Gründe richtig ist; 2) wenn die Erkenntniss der Gründe falsch, ob gleich
die Erkenntniss der Sachen richtig ist; 3) wenn die Vorstellung des Zusammenhangs
zwischen wahren Gründen und Folgen unrichtig ist §. 100. Eine wahre
gelehrte Erkenntniss muss also eine richtige Erkenntniss der Sachen, der Gründe,
und ihres Zusammenhanges zu gleicher Zeit sein §. 21.

§. 104.

Durch Wahrheiten (veritates) versteht man auch die wahre Erkenntniss
selbst, und alsdenn sind alle Wahrheiten entweder dogmatische
(veritates dogmaticae), oder historische (veritates historicae). Jene können und
müssen aus den innerlichen Kennzeichen der Wahrheit erkannt werden, diese
aber nur aus den äusserlichen. Z.E. dass ein GOtt sei, ist eine dogmatische
Wahrheit; dass aber David der zweite König der Israeliten sei, ist eine
historische. Ein Lehrgebäude (systema) ist eine Menge dogmatischer Wahrheiten,
welche dergestalt mit einander verbunden werden, dass sie zusammengenommen
eine Erkenntniss ausmachen, welche man als ein Ganzes betrachten
kann.

§. 105.

Je mehr Wahrheiten in einem Lehrgebäude vorkommen, je grösser
und richtiger dieselben sind, desto vollkommener ist dasselbe §. 104. Zu der
genauesten Wahrheit eines Lehrgebäudes wird erfodert: 1) dass alle Theile
desselben aufs genaueste richtig sind; 2) dass keiner
 
[27]
  dem andern widerspricht;
und 3) dass sie alle verbunden sind, indem ein jedweder entweder ein
Grund der übrigen, oder eine Folge, oder beides zu gleicher Zeit ist §. 95. 96.
Weil es keine Wahrheit ausser den Lehrgebäuden giebt §. 96. 104, so muss
die gelehrte Erkenntniss systematisch sein, wenn sie anders vollkommen richtig
sein soll.

§. 106.

Alle Wahrheiten sind entweder bloss ästhetische Wahrheiten
(veritates mere aestheticae), welche bloss schön erkannt werden müssen, und
mit denen muss sich die gelehrte Erkenntniss niemals beschäftigen; oder bloss
gelehrte (veritates mere eruditae), die nur auf eine gelehrte Art erkannt werden
können, und mit denen allein muss sich die gelehrte Erkenntniss nicht beschäftigen,
denn sie würde sonst bloss gelehrt sein §. 32; oder beides zugleich
(veritates aesthetico-eruditae), und die sind der vornehmste Gegenstand einer
recht vollkommenen gelehrten Erkenntniss.

§. 107.

Weil die Wahrheit nicht die einzige Vollkommenheit der gelehrten
Erkenntniss ist, so kann ein Gelehrter niemals entschuldiget werden, wenn er
sich bloss deswegen mit einer gelehrten Untersuchung beschäftiget, weil sie
wahr ist. Es ist nicht gut, alle Wahrheiten zu denken und zu sagen.

§. 108.

Ein jeder muss seine Hauptwissenschaft am genauesten §. 102,
und im möglichsten Grade systematisch §. 105 zu erkennen suchen §. 63.

§. 109.

Der Irrthum (cognitio erronea, error) besteht darin, wenn wir die
falsche Erkenntniss für wahr, und die wahre für falsch halten. Folglich 1) ist
eine jede irrige Erkenntniss falsch §. 99; 2) ist nicht eine jede falsche Erkenntniss
irrig, wenn wir nämlich erkennen, dass sie falsch sei §. 99; 3) aus
der falschen Erkenntniss entsteht der Irrthum. Hätten wir gar keine falsche
Erkenntniss, so könnten wir auch keine Irrthümer haben. Der Irrthum ist
schlimmer als die bloss falsche Erkenntniss, denn er ist ein
 
[28]
  verborgenes
Gift. Die gelehrte Erkenntniss kann also, auf eine dreifache Weise, irrig sein
§. 103.

§. 110.

Wenn wir die Regeln des 98sten Absatzes übertreten, so entsteht
der Irrthum §. 109. Die erste Quelle aller Irrthümer ist demnach die Unwissenheit
§. 41, wenn sich damit die Übereilung vereinbaret, vermöge welcher wir
dasjenige leugnen, wovon wir keine Erkenntniss haben.

§. 111.

Der Irrthum ist entweder ein vermeidlicher (error vincibilis), oder
ein unvermeidlicher (error invincibilis). Jener entsteht aus einer vermeidlichen,
und dieser aus einer unvermeidlichen Unwissenheit §. 43. Jener ist
nur ein tadelnswürdiger Schandfleck der gelehrten Erkenntniss, dieser aber kann
und darf nicht vermieden werden.

§. 112.

Je weitläuftiger, wichtiger und fruchtbarer der Irrthum ist, und
je leichter er hätte verhütet werden können, desto grösser ist er. Je grösser
der Irrthum ist, desto mehr beschimpft er die gelehrte Erkenntniss, und desto
sorgfältiger muss er verhütet werden. Folglich muss ein jeder sonderlich die
Irrthümer in seiner Hauptwissenschaft zu verhüten suchen §. 108.

§. 113.

Eine Erkenntniss ist offenbar falsch (cognitio aperte falsa),
wenn ihre Unrichtigkeit bloss daher entdeckt wird, wenn man sie betrachtet,
z.E. ein viereckichtes Dreieck. Muss man aber, um ihre Unrichtigkeit zu entdecken,
eine weitläuftigere Untersuchung anstellen, so ist sie versteckter Weise
falsch (cognitio cuius falsitas latet), z.E. die Materie kann denken. Ein Irrthum,
durch welchen eine offenbar falsche Erkenntniss für wahr angenommen wird,
ist ein abgeschmackter, ungereimter und dummer Irrthum (cognitio absurda,
absona). Nicht alle Irrthümer sind Ungereimtheiten.

§. 114.

Alle Wahrheiten sind entweder schlechterdings nothwendige
(veritates absolute necessariae),
 
[29]
  oder zufällige Wahrheiten (veritates
contingentes). Bei jenen ist es ganz unmöglich, dass sie falsch sein sollten,
z.E. es ist ein GOtt. Diese aber könnten auch falsch sein, z.E. diese Welt
ist würklich. Weil der Irrthum bei jenen leichter zu vermeiden ist, so ist er
grösser als der Irrthum in den zufälligen Wahrheiten §. 112.

Der fünfte Abschnitt,
von der Klarheit der gelehrten Erkenntniss.


§. 115.

Ein Merkmal, ein Kennzeichen der Erkenntniss und der Sachen
(nota, character cognitionis et rei) ist dasjenige in der Erkenntniss oder den
Sachen, welches, wenn es erkannt wird, der Grund ist, weswegen wir uns ihrer
bewusst sind; oder sie sind die Unterscheidungsstücke der Erkenntniss und
ihrer Gegenstände. Wo also ein Bewusstsein ist, da werden Merkmale erkannt
§. 13. Z.E. die Vernunft ist ein Merkmal des Menschen, und der Erkenntniss.
die wir von demselben haben.

§. 116.

Die Merkmale haben wiederum ihre Merkmale §. 115. Folglich
sind alle Merkmale einer Sache entweder unmittelbare Merkmale (notae
immediatae, proximae), oder mittelbare (notae mediatae, remotae). Diese sind
Merkmale der Merkmale, jene aber nur Merkmale des Dinges, ob sie gleich
keine Merkmale seiner Merkmale sind. Z.E. die Vernunft ist ein unmittelbares
Merkmal des Menschen, weil aber die Vernunft ein Vermögen ist, den Zusammenhang
der Dinge deutlich einzusehen, so ist das Vermögen ein mittelbares
Merkmal des Menschen. Auf den unmittelbaren Merkmalen beruhet das Bewusstsein
§. 13.

§. 117.

Die Merkmale sind entweder verneinende (notae negativae) oder
bejahende (notae affirmativae, positivae). Durch jene stellen wir uns etwas
als
 
[30]
  abwesend in der Sache vor, und wir erkennen dadurch nur was sie
nicht sei; z.E. die Unvernunft der unvernünftigen Thiere. Durch diese stellen
wir uns etwas als gegenwärtig in der Sache vor, und wir erkennen durch sie
was die Sache sei, z.E. die Vernunft der Menschen. Obgleich beide Arten ein
Bewusstsein verursachen können, so sind doch die bejahenden bessere
Merkmale als die verneinenden.

§. 118.

Die Merkmale sind entweder wichtigere (notae graviores), oder
geringere Merkmale (notae leviores). Jene entdecken einen grösseren, und
diese einen geringern Unterschied der Sache. Entweder fruchtbare (notae
foecundae), oder unfruchtbare Merkmale (notae infoecundae). Jene entdecken
einen vielfältigen Unterschied von vielen Dingen, diese aber nicht.
Die Vernunft ist ein wichtiges und fruchtbares Merkmal eines Menschen; dass
er aber ein Ding ist, ein geringeres und unfruchtbareres. Je wichtiger und fruchtbarer
demnach die Merkmale sind, desto mehr befördern sie das Bewusstsein.

§. 119.

Da die Merkmale Gründe sind §. 115, so sind sie entweder zureichende
Gründe des Bewusstseins, oder unzureichende Gründe §. 15. Jene
sind zureichende (notae sufficientes), und diese unzureichende Merkmale
(notae insufficientes). Jene sind bessere Merkmale als diese. Das Vermögen
zu denken ist ein unzureichendes Merkmal eines Geistes, dass er aber Verstand
hat, ein zureichendes.

§. 120.

Die Merkmale sind entweder schlechterdings nothwendige und
unveränderliche (notae absolute necessariae et invariabiles), oder zufällige und
veränderliche Merkmale (notae contingentes et variabiles). Jene sind so beschaffen,
dass ohne denselben die Sache nicht vorgestellt werden kann, z.E. die
Vernunft des Menschen; diese aber sind so beschaffen, dass ohne ihnen
 
[31]
 
die Sache doch vorgestellt werden kann, z.E. das würkliche Denken des
Menschen. Jene sind bessere Merkmale als diese.

§. 121.

Die Merkmale können in einer Sache entweder vorgestellt werden,
ohne sie im Zusammenhange mit andern Sachen ausser ihr zu betrachten, oder
nicht. Diese sind äusserliche Merkmale oder Verhältnisse (notae externae,
relationes), z.E. die Herrschaft eines Menschen. Jene sind innerliche Merkmale
(notae internae). Die letztern sind entweder nothwendig oder zufällig §. 120.
Diese heissen zufällige Beschaffenheiten (modi), z.E. die Gelehrsamkeit eines
Menschen. Jene sind entweder die Gründe aller übrigen Bestimmungen, oder
nicht. Diese sind die Eigenschaften (attributa), z.E. das Vermögen zu denken
bei einem Menschen. Jene heissen die wesentlichen Stücke (essentialia), z.E.
die Vernunft des Menschen. Der Inbegriff aller wesentlichen Stücke ist das
Wesen (essentia).

§. 122.

Je mehr Merkmale wir von einer Sache erkennen, je grösser diese
Merkmale sind, und je vollkommener wir die Merkmale erkennen, desto grösser
und besser ist das Bewusstsein §. 13. Folglich verursachen die bejahenden,
wichtigen, fruchtbaren, innerlichen, nothwendigen und zureichenden Merkmale
ein grösseres und bessers Bewusstsein, als die ihnen entgegengesetzten §. 117-121.

§. 123.

Eine Vorstellung, in so ferne wir uns derselben bewusst sind,
wird ein Gedanke genennet (cogitatio). Folglich ist nicht eine jede Vorstellung
und Erkenntniss ein Gedanke. Und was von dem Bewusstsein erwiesen worden,
gilt auch vom Denken §. 115. 116. 122.

§. 124.

Eine Erkenntniss enthält entweder so viele Merkmale, als zum
Bewusstsein erfodert werden, oder nicht. Jene ist eine klare Erkenntniss
(cognitio clara), welche mit dem Gedanken, und der Erkenntniss, welcher wir
uns bewusst sind, einerlei ist §. 123. Diese ist eine dunkele
 
[32]
  Erkenntniss
(cognitio obscura), welche also weder ein Gedanke, noch mit dem Bewusstsein
verknüpft ist §. 123. Jene ist vollkommener als diese. Wenn wir uns auf ein
Wort nicht besinnen können, und es scheint doch, als ob es uns vor dem Munde
herumliefe; so haben wir alsdenn eine dunkele Vorstellung von demselben.

§. 125.

Die dunkele Erkenntniss ist entweder schlechterdings dunkel
(cognitio absolute obscura), oder beziehungsweise (cognitio relative obscura).
Jene müsste so dunkel sein, dass es schlechterdings unmöglich wäre, sie klar zu machen.
Keine wahre Erkenntniss ist schlechterdings dunkel, und man muss
demnach nichts für schlechterdings dunkel halten. Alle wahre dunkele Erkenntniss
ist nur beziehungsweise dunkel, das ist, die Kräfte dieses oder jenes
denkenden Wesens sind nicht zureichend, dieselbe klar zu machen. Und alsdenn
ist entweder der Gegenstand vornehmlich an dieser Dunkelheit schuld,
oder der Mensch, dem die Erkenntniss dunkel ist. Jene ist die Dunkelheit der
Sachen (cognitio obiective obscura), und diese die Dunkelheit in dem Kopfe
desjenigen, dem die Erkenntniss so dunkel ist (cognitio subiective obscura).
Z.E. die Sachen die zu weit von uns entfernet sind, oder zu klein sind, sind
schuld, dass wir sie dunkel empfinden. Wem aber die Vernunftlehre dunkel
ist, der ist selbst daran schuld. Endlich ist eine dunkele Erkenntniss entweder
ganz dunkel (cognitio totaliter obscura), wenn wir uns ihrer gar nicht bewusst
sind, oder nur eines Theils (cognitio partialiter obscura), wenn wir uns ihrer
bewusst und auch nicht bewusst sind zu gleicher Zeit. Alle unsere klare Erkenntniss
ist uns allemal eines Theils dunkel, weil wir keine einzige Sache
völlig zu durchdenken vermögend sind.

§. 126.

Ein Mensch kann erkennen, was der andere nicht erkennt, und
es kann demnach der eine Merkmale erkennen, die dem andern unbekannt sind
§. 115. Folglich kann
 
[33]
  der eine klar erkennen, was der andere nur dunkel
erkennet §. 124. Man muss demnach nicht schliessen: 1) was mir klar ist, das
ist auch andern klar; 2) was mir dunkel ist, das ist auch andern dunkel;
3) was mir jetzo klar ist, das wird mir auch künftig klar sein; 4) was mir jetzo
dunkel ist, das wird mir auch künftig dunkel bleiben.

§. 127.

Je mehr Merkmale uns unbekannt sind, die zum Bewusstsein erfodert
werden, und je grössere Merkmale uns unbekannt sind, und je mehr Kraft dazu
erfodert wird, eine Erkenntniss klar zu machen, desto grösser ist ihre Dunkelheit.
Ehe also eine Erkenntniss klar werden kann, muss man ofte viele Zeit
und Mühe anwenden, ihre Dunkelheit zu vermindern.

§. 128.

Weil wir viele klare Erkenntniss haben, deren Merkmale wir
zwar erkennen §. 115, aber nicht klar; so sind würklich in unserer Seele dunkele
Vorstellungen vorhanden, welche die Materialien ausmachen, aus denen die
Seele nach und nach ihre klare Erkenntniss zusammensetzt.

§. 129.

Die Dunkelheit der Erkenntniss entsteht aus einer dreifachen
Quelle: 1) wenn ein Mensch nicht Kräfte genung besitzt, um dieselbe klar zu machen.
Dieser Mangel der Kräfte ist entweder nothwendig oder nicht, und in
dem letzten Falle hätte der Mensch die Kräfte entweder erlangen sollen oder
nicht; 2) aus dem Mangel der Aufmerksamkeit, welcher entweder aus einem
nothwendigen Mangel der Kräfte entsteht, oder weil wir auf eine gewisse Erkenntniss
nicht Achtung geben dürfen, oder weil wir auf dieselbe nicht Achtung
geben, ob wir gleich sollten; 3) aus der Unwissenheit solcher Sachen, ohne
denen eine gewisse Erkenntniss nicht klar werden kann, es mag nun diese
Unwissenheit nothwendig oder zufällig, lobenswürdig oder tadelnswürdig sein
§. 43. 50. 51. Alle Dunkelheit der Erkenntniss ist demnach entweder nothwendig
oder zufällig, lobenswürdig oder tadelnswürdig. Folglich muss man bei
 
[34]
  der
Verbesserung der Erkenntniss nur die zufällige und tadelnswürdige Dunkelheit
zu vermeiden suchen; und die Dunkelheit, die bei dem einen nothwendig und
lobenswürdig ist, die kann bei dem andern zufällig und tadelnswürdig sein.

§. 130.

Die dunkele Erkenntniss 1) kann wahr sein, sie kann aber auch
falsch sein §. 92. 93. Es ist demnach nicht eine jede dunkele Erkenntniss
falsch; 2) ist keine gelehrte Erkenntniss, in so fern sie dunkel ist. Sie ist in
der gelehrten Erkenntniss der Menschen ein unvermeidliches Übel.

§. 131.

Diejenige Handlung, wodurch die Dunkelheit der Erkenntniss
vermindert, und die Klarheit der Erkenntniss hervorgebracht und vermehrt wird,
heisst die Auswickelung oder Entwickelung der Erkenntniss (evolutio,
explanatio cognitionis), gleichwie die entgegengesetzte Handlung die Einwickelung
derselben (cognitionis involutio) genennet wird. Zu der erstern
wird a) vorläufig dreierlei erfodert: 1) man untersuche aufs möglichste, ob die
Dunkelheit der Erkenntniss, die man entwickeln will, nothwendig oder zufällig,
unverschuldet oder verschuldet sei. In dem letzten Falle dürfen wir nur die
Entwickelung wagen. 2) Man untersuche, ob die Entwickelung derselben zu
dem Horizonte unserer klaren Erkenntniss gehöre oder nicht. In dem ersten
Falle ist diese Arbeit uns nur erlaubt. 3) Man untersuche, ob nicht diese Entwickelung
eine anderweitige klare Erkenntniss voraussetze, ohne welche sie
nicht geschehen kann. Und befindet sich diese Sache in der That also, so
muss man diese Arbeit nicht eher unternehmen, bis wir nicht diese anderweitige
klare Erkenntniss erlangt haben §. 129. b) Zur Auswickelung selbst wird
dreierlei erfodert: 1) man richte seine Aufmerksamkeit auf die Sache, die man
klar erkennen will; 2) man vergleiche sie mit andern von ihr verschiedenen
Sachen, damit man ihre Merkmale erkenne §. 115; 3) man abstrahire von
allen übrigen Dingen, oder man verdunkele dieselben, indem
 
[35]
  man auf
den Gegenstand Achtung giebt. Je öfter, stärker und länger man auf eine
Sache Achtung giebt, mit je mehrern Dingen man sie vergleicht, je stärker man
von andern Dingen abstrahirt, desto besser und eher entwickelt sich die Erkenntniss
derselben, und sollte man auch gleich*2 im Anfange einigemal diese
Arbeit vergeblich verrichten.

§. 132.

Durch eine klare Erkenntniss sind wir entweder vermögend, den
Gegenstand beständig und in allen Umständen, von allen möglichen übrigen
Dingen, zu unterscheiden oder nicht. In dem ersten Falle ist unsere Erkenntniss
ausführlich klar (cognitio complete clara), z.E. die Vorstellung der rothen
Farbe; in dem andern aber unausführlich klar (cognitio incomplete clara),
z.E. wenn wir zwar schmecken, dass ein Wein Rheinwein sei, wir können aber
nicht schmecken, von was für einer Sorte er sei. Jene ist vollkommener als
diese, weil diese mehr Dunkelheit enthält als jene §. 124, und wir erlangen sie
durch die Erkenntniss der nothwendigen, unveränderlichen und zureichenden
Merkmale §. 119. 120. 121.

§. 133.

Wenn wir eine klare Erkenntniss haben, so sind wir uns entweder
alles dessen bewusst, was in dem Gegenstande angetroffen wird, oder
nicht. Ist das erste, so ist die Erkenntniss ganz klar (cognitio totaliter clara).
Ist das letzte, so ist sie nur eines Theils klar (cognitio partialiter clara). Keine
menschliche klare Erkenntniss ist ganz klar §. 125, und eine Erkenntniss kann
ausführlich klar sein, ob sie gleich nicht ganz klar ist §. 132. Unterdessen ist
eine Erkenntniss um so viel vollkommener, je mehr sich ihre Klarheit der
gänzlichen Klarheit nähert §. 124.

§. 134.

Je mehrere Merkmale wir erkennen, folglich von je mehrern und
übereinstimmendern Dingen wir eine Sache unterscheiden können; je grössere
Merkmale, und je besser wir alle Merkmale erkennen; je leichter wir uns einer
Erkenntniss und ihres Gegenstandes bewusst sein können: desto klärer ist
unsere Erkenntniss §. 124, und also
 
[36]
  auch desto vollkommener. Man muss
also, bei der Verbesserung einer Erkenntniss, den möglichsten Grad ihrer
Klarheit zu erreichen suchen.

§. 135.

Eine Erkenntniss, welche durch die Menge der Merkmale klärer
ist, wird eine lebhafte Erkenntniss (cognitio extensive clarior, vivida) genannt;
z.E. der melodiereiche Gesang der Nachtigall läuft tönend durch die Thäler.
Welche aber durch die Grösse der Merkmale und ihre klärere Vorstellung klärer
ist, die ist der Stärke nach klärer (cognitio intensive clarior). Mit dem
letztern Grade der Klarheit beschäftiget sich nur die Vernunftlehre §. 1. 17. 21.

§. 136.

Wenn wir Merkmale der klaren Erkenntniss vergessen, so kann
eine klärere Erkenntniss in eine weniger klare, und endlich in eine ganz
dunkele Erkenntniss verwandelt werden §. 124. Wer also der Einwickelung der
klaren Erkenntniss vorbeugen will §. 131, der muss der Vergessenheit vorbeugen.

§. 137.

Eine Erkenntniss, welche in Absicht auf die Stärke der Klarheit
betrachtet wird, ist entweder deutlich, oder verworren §. 14. 135. In jener sind
auch die Merkmale klar, in dieser aber dunkel §. 14. 115. 124. Weil also die
Deutlichkeit eine vielfache Klarheit ist, so ist die deutliche Erkenntniss vollkommener
als die verworrene §. 124.

§. 138.

Weil alle gelehrte Erkenntniss deutlich ist §. 21. 17, so ist die
verworrene Erkenntniss, in so ferne sie verworren ist, nicht gelehrt §. 137.
Gleichwie also die schönen Wissenschaften sich mit der Verbesserung der verworrenen
Hälfte der menschlichen Erkenntniss beschäftigen, also muss ein
Gelehrter durch die Vernunftlehre die deutliche Hälfte derselben verbessern.
Die Dunkelheit und Verwirrung ist in der gelehrten Erkenntniss ein nothwendiges
Übel, welches man entweder auch nebenbei zu verbessern sucht oder
nicht. In dem letzten Falle entsteht eine bloss
 
[37]
  gelehrte Erkenntniss, und
in dem ersten eine gelehrte Erkenntniss, die zugleich schön ist §. 24.

§. 139.

Die Handlung, wodurch ein gewisser Grad der Deutlichkeit in
unserer Erkenntniss hervorgebracht wird, heisst die Zergliederung der Erkenntniss
(resolutio, analysis, anatomia cognitionis). Eine Erkenntniss kann
zergliedert werden, wenn sie von irgends einem denkenden Wesen kann
deutlich gemacht werden (cognitio resolubilis). In so ferne sie aber nicht
deutlich werden kann, in so ferne ist sie eine Erkenntniss, die nicht zergliedert
werden kann (cognitio irresolubilis). Und alsdenn ist es entweder ganz und
gar unmöglich, dass sie deutlich werde, oder sie kann nur durch die Kräfte
dieses oder jenen denkenden Wesens nicht deutlich werden. Ist das erste, so
kann sie schlechterdings nicht zergliedert werden (cognitio absolute irresolubilis).
Ist das letzte, so kann sie nur beziehungsweise nicht zergliedert
werden (cognitio respective irresolubilis). Wenn eine wahre Erkenntniss
schlechterdings nicht zergliedert werden könnte, so müssten ihre Merkmale
schlechterdings dunkel sein §. 137. Da nun dieses unmöglich ist §. 120, so ist
alle wahre Erkenntniss, welche nicht zergliedert werden kann, nur beziehungsweise
so beschaffen.

§. 140.

In so ferne wir von einer Sache eine deutliche Erkenntniss haben,
in so ferne begreifen wir sie (concipere). Was deutlich erkannt werden kann,
ist begreiflich (conceptibile). Was nicht deutlich erkannt werden kann, ist
unbegreiflich (inconceptibile), entweder schlechterdings (absolute inconceptibile),
wenn es schlechterdings nicht zergliedert werden kann; oder nur beziehungsweise
(relative inconceptibile), wenn es beziehungsweise nicht zergliedert werden
kann. Alle mögliche Dinge sind nur beziehungsweise unbegreiflich §. 139, und
was wir gelehrt erkennen, das begreifen wir in so ferne allemal §. 21. 17.
 
[38]
 

§. 141.

Was wir nicht begreifen, ist deswegen keine ungereimte Sache
§. 140. Und da dem einen Menschen eine Erkenntniss deutlich sein kann, die
dem andern verworren oder wohl gar dunkel ist §. 126; so muss man nicht
schliessen: was wir nicht begreifen, das begreifen auch andere nicht; was wir
begreifen, das begreifen auch andere; was ich jetzo begreife, werde ich auch
künftig begreifen; was ich jetzo nicht begreife, werde ich auch künftig nicht
begreifen. Diese Schlüsse gelten auch, wenn von der blossen Möglichkeit oder
Unmöglichkeit die Rede ist.

§. 142.

Wenn man eine Erkenntniss zergliedern will, so muss man 1) sie
entwickeln §. 131, wenn sie nicht vorher schon in uns klar sein sollte. 2) Man
muss die klare Erkenntniss durchdenken, oder ihre Merkmale nach und nach
entwickeln, nach §. 131. Je mehr Merkmale, und je bessere Merkmale §. 116-121
man entwickelt, desto besser ist es. 3) Man überlege die entwickelten Merkmale,
oder man stelle sie sich zusammen als Eine Erkenntniss vor; sonst würden
wir den Gegenstand nur stückweise denken, und das ist noch keine deutliche
Erkenntniss von dem ganzen Gegenstande. 4) Man stelle +W stelle vor -W sich die entwickelten
Merkmale in eben dem Zusammenhange und in eben der Ordnung vor, als sie
in dem Gegenstande sich befinden. Sonst stimmt +W stimmt überein -W die deutliche Erkenntniss
nicht mit dem Gegenstande überein, und alle Unordnung setzt uns in Verwirrung.
5) Man muss alle übrige Sachen und Vorstellungen, die nicht mit
in Überlegung gezogen worden, verdunkeln, oder von ihnen abstrahiren; damit
nicht die Erkenntniss alsbald wieder verworren werde.

§. 143.

Je mehrere und grössere klare Merkmale wir von einer Sache
erkennen, je besser wir die Merkmale erkennen, folglich je weitläuftiger, proportionirter,
richtiger, klärer, gewisser und praktischer: desto deutlicher ist
die Erkenntniss §. 137. 25-30.

 
[39]
 

§. 144.

Eine deutliche Erkenntniss ist entweder ganz deutlich
(cognitio totaliter distincta), oder nur eines Theils (cognitio partialiter distincta).
Jene enthält gar keine Dunkelheit und Verwirrung, diese aber enthält dergleichen.
Keine menschliche deutliche Erkenntniss ist ganz deutlich §. 133. Sie ist aber
um so viel deutlicher, je näher ihre Deutlichkeit der gänzlichen Deutlichkeit
kommt §. 142.

§. 145.

Die Verwirrung der Erkenntniss entsteht, 1) aus den Quellen der
Dunkelheit, denn sie besteht in der Dunkelheit der Merkmale §. 137. 129.
2) Aus dem nothwendigen oder zufälligen, lobenswürdigen oder tadelnswürdigen
Mangel des Nachdenkens; desgleichen 3) der Überlegung; 4) aus dem Mangel
der Ordnung im Denken, und 5) aus einem nothwendigen oder zufälligen,
lobenswürdigen oder tadelnswürdigen Mangel der Abstraction §. 142.

§. 146.

Es giebt also nicht nur eine Verwirrung in aller unserer Erkenntniss,
die wir schlechterdings nicht verhüten können; sondern es
giebt auch eine Verwirrung, die wir verhüten könnten, allein wir dürfen nicht, weil
sie unter oder ausser unserm Horizonte angetroffen wird §. 146. Ehe wir uns
also an die Zergliederung einer Erkenntniss wagen, müssen wir aufs möglichste
vorher untersuchen, ob wir sie verrichten können oder dürfen.

§. 147.

Die Merkmale einer deutlichen Erkenntniss sind klar §. 137.
Also sind sie entweder deutlich oder verworren §. 137. In dem ersten Falle
haben wir eine vollständige Erkenntniss (cognitio adaequata), in dem andern
aber eine unvollständige (cognitio inadaequata), z.E. das Laster ist eine erlangte
Fertigkeit zu sündigen. Eine erlangte Fertigkeit ist eine Leichtigkeit
zu handeln, welche wir durch Übung erhalten haben, und wir sündigen, wenn
wir böse freie Handlungen vornehmen. Dieses ist eine vollständige Erkenntniss
des Lasters, sie würde aber
 
[40]
  unvollständig sein, wenn ich keine deutliche
Erkenntniss von der Fertigkeit und der Sünde hätte. Die Vollständigkeit ist
eine vielfache Deutlichkeit, und also eine Vollkommenheit der Erkenntniss
§. 137. Die Unvollständigkeit besteht in der Verwirrung der Erkenntniss der
Merkmale, und also aus den Quellen der Verwirrung überhaupt §. 145. Je
mehr deutliche Merkmale eine Erkenntniss enthält, und je deutlicher sie sind,
desto vollständiger ist die Erkenntniss. Und die vollkommenste gelehrte Erkenntniss
muss so vollständig sein als möglich §. 21.

§. 148.

Die Vollständigkeit entsteht aus der Zergliederung der Merkmale
§. 147. 142. Je entfernter die Merkmale sind, die wir wieder zergliedern, desto
vollständiger wird die Erkenntniss §. 116. 147. Ein höherer Grad der Vollständigkeit
ist eine tiefsinnige Erkenntniss (cognitio profunda, purior). Und
indem wir eine Erkenntniss zergliedern, so bringen wir dieses Geschäfte zu
Ende, wenn wir die Merkmale entdecken, die wir nicht weiter zergliedern
können. Wir bleiben aber in der Zergliederung stehen, wenn wir Merkmale
nicht weiter zergliedern, die wir doch zergliedern könnten. Da es nun eine
ekelhafte Arbeit sein würde, wenn wir die Zergliederung aller unserer deutlichen
Erkenntniss allemal zu Ende bringen wollten; so müssen wir allemal einen
vernünftigen Zweck haben, warum wir eine Erkenntniss zergliedern, und so bald
wir denselben erreicht haben, so müssen wir vor diesmal diese Arbeit
unterbrechen. Es ist ohne dem unmöglich, dass ein Mensch alle Unvollständigkeit
in seiner Erkenntniss vermeide §. 144.

§. 149.

Die deutliche Erkenntniss ist entweder ausführlich deutlich
(cognitio complete distincta) oder unausführlich (cognitio incomplete distincta)
§. 132. Jene ist vollkommener als diese §. 132. Z.E. wenn ich mir einen
Geist als ein Wesen vorstelle, welches denken kann, so habe ich eine deutliche
aber unausführliche Erkenntniss von
 
[41]
  demselben. Stelle ich mir denselben
aber als ein Ding vor, welches Verstand hat, so ist meine deutliche Erkenntniss
von einem Geiste zugleich ausführlich.

§. 150.

Wenn man eine deutliche Erkenntniss von einer Sache ausführlich
machen will, so muss man 1) diejenigen Merkmale zu entdecken suchen,
die ausser ihr in keinem andern Dinge angetroffen werden; oder 2) man muss
so viele Merkmale entdecken, als zusammengenommen keinem andern Dinge
zukommen. Z.E. die Tugend ist eine Fertigkeit freier rechtmässiger Handlungen.
Ob gleich ein jedes dieser Merkmale auch in Dingen angetroffen wird,
die keine Tugenden sind; so sind sie doch zusammengenommen in keiner
andern Sache befindlich. Und es macht demnach der Inbegriff dieser vier
Merkmale die deutliche Vorstellung der Tugend zu einer ausführlichen deutlichen
Vorstellung.

§. 151.

Eine deutliche Erkenntniss ist entweder eine bestimmte (cognitio
determinata), oder eine unbestimmte Erkenntniss (cognitio indeterminata).
Jene ist ausführlich deutlich, und enthält nicht ein einziges Merkmal mehr,
als zur Ausführlichkeit schlechterdings nöthig ist. Z.E. ein Geist ist ein
Wesen, welches Verstand hat. Diese enthält entweder zu wenig Merkmale, und
das ist die unausführlich deutliche Erkenntniss §. 149; oder sie enthält mehr
klare Merkmale, als zur Ausführlichkeit nöthig sind, und das ist eine gar zu
weitläuftige Erkenntniss (cognitio nimis prolixa). Z.E. ein Geist ist ein
denkendes Wesen, welches Verstand und freien Willen besitzt. Wenn man
also von einer ausführlich deutlichen Erkenntniss diejenigen Merkmale absondert,
die entweder zur Ausführlichkeit nicht nöthig sind, oder die aus andern Merkmalen
derselben Erkenntniss folgen, so wird sie bestimmt. Die Bestimmung
ist nur eine Vollkommenheit der bloss gelehrten Erkenntniss §. 24, wenn man
dem schwachen tiefsinnigen Verstande des Menschen das Begreifen einer Sache
erleichtern will.

 
[42]
 

§. 152.

Die allervollständigste Erkenntniss kann nach und nach
weniger vollständig, unvollständig, verworren, und endlich ganz dunkel werden,
wenn um der Vergessenheit willen die klare Erkenntniss dunkel wird §. 136.
Wer also diesem Verluste der Vollkommenheiten vorbeugen will, der muss die
Vergessenheit zu verhüten suchen. Wir Menschen sind niemals in dem Besitze
unserer Vollkommenheiten ganz sicher, und wir müssen also überall fleissig auf
unserer Hut stehen.

§. 153.

Wer die gelehrte Erkenntniss in Absicht auf ihre Klarheit recht
vollkommen machen will, der muss den Grad der Klarheit, der Grösse der
Gegenstände, proportioniren §. 70. Folglich je weitläuftiger und grösser der
Gegenstand ist, durch je mehrere, bessere und grössere Arten und Grade der
Klarheit muss die gelehrte Erkenntniss desselben erleuchtet werden. In dem
gegenseitigen Falle muss man sich, in dieser Sache, auch gegenseitig verhalten.

§. 154.

Ein jeder Gelehrter muss, wenn es ihm sonst möglich ist, zu
seiner Hauptwissenschaft denjenigen Theil der Gelehrsamkeit erwählen, welcher
der mannigfaltigsten und grössten Klarheit fähig ist; und ein jeder muss in
seiner Hauptwissenschaft die allerklärste Erkenntniss zu erlangen suchen §. 63.
64. Er muss also ein heller Kopf sein, oder die klärsten Wahrheiten vorzüglich
lieben, und beständig so klar denken als möglich. Ein finsterer Kopf
verdient kaum den Namen eines Gelehrten.

Der sechste Abschnitt,
von der Gewissheit der gelehrten Erkenntniss.


§. 155.

Die Gewissheit (certitudo subiective spectata) ist das Bewusstsein
der Wahrheit, oder die klare Erkenntniss der Wahrheit §. 29. Will man also
eine gewisse gelehrte Erkenntniss besitzen, so muss sie nach den Regeln des
vierten
 
[43]
  Abschnitts wahr, und nach den Regeln des fünften Abschnitts auf
die gehörige Art klar sein.

§. 156.

Wenn wir weder klar erkennen, dass etwas wahr, noch dass es
falsch sei, so ist unsere Erkenntniss von demselben ungewiss (incertitudo).
Die Ungewissheit ist also nur als eine Unvollkommenheit in unserer Erkenntniss
anzutreffen. Eine Erkenntniss, die uns nicht ungewiss ist, ist entweder gewiss
wahr (certo vera cognitio), wenn wir uns ihrer Wahrheit bewusst sind, oder
gewiss falsch (certo falsa cognitio), wenn wir uns ihrer Unrichtigkeit bewusst
sind §. 155.

§. 157.

Alle Gewissheit ist entweder eine deutliche oder eine verworrene
Erkenntniss der Wahrheit §. 155. 137. Diese ist die sinnliche Gewissheit
(certitudo sensitiva), und wenn sie in einem höhern Grade vollkommen ist, die
ästhetische (certitudo aesthetica). Jene ist die vernünftige Gewissheit (certitudo
rationalis), und wenn sie in einem höhern Grade vollkommen ist, heisst
sie die logische oder gelehrte (certitudo logica, erudita). Keine menschliche
gewisse Erkenntniss kann bloss vernünftig und gelehrt sein §. 144.

§. 158.

. Die vernünftige Gewissheit ist entweder eine vollständige Gewissheit
(certitudo adaequata), wenn wir von den Kennzeichen der Wahrheit
wiederum vernünftig gewiss sind; oder eine unvollständige (certitudo inadaequata),
wenn wir von den Kennzeichen der Wahrheit nur sinnlich gewiss sind
§. 157. 147. Z.E. was denkt, ist würklich, ich denke, also bin ich würklich.
Weil ich von dem ersten Satze eine deutliche Gewissheit habe, so bin ich in so ferne
von dem letzten Satze vollständig gewiss. Weil mir der andere Satz
aber nur sinnlich gewiss ist, so ist mir der letzte Satz in so ferne nur unvollständig
gewiss.

§. 159.

Die Gewissheit ist entweder eine ausführliche (completa certitudo),
oder eine unausführliche
 
[44]
  Gewissheit (incompleta certitudo) §. 132. 149.
Die bestimmte Gewissheit (certitudo determinata) ist eine ausführliche Gewissheit,
die nicht mehr Kennzeichen der Wahrheit enthält, als zur ausführlichen
Gewissheit unentbehrlich sind §. 151.

§. 160.

Durch die ausführliche Gewissheit wird das Gemüth allemal dergestalt
beruhiget, dass es über alle vernünftige Furcht des Gegentheils erhöhet
wird; die unausführliche Gewissheit aber kann diese vernünftige Furcht nicht
ganz vertreiben §. 159. Unterdessen kann ein Mensch ofte von aller Furcht
des Gegentheils befreiet, und dem ohnerachtet nicht einmal überhaupt gewiss
sein.

§. 161.

Die bestimmte Gewissheit, wenn sie überdies so vollständig ist,
als möglich, ist die mathematische Gewissheit (certitudo mathematica).

§. 162.

Wir haben von einer Sache eine gänzliche Gewissheit (certitudo
totalis), wenn uns alles gewiss ist, was wir von derselben erkennen; ist uns
aber nicht alles dieses gewiss, so ist uns die Sache nur eines Theils gewiss
(certitudo partialis).

§. 163.

Eine gewisse Erkenntniss wird genannt, 1) überzeugend (cognitio
convincens), in so ferne sie ausführlich gewiss ist, und die Hervorbringung
einer solchen gewissen Erkenntniss heisst die Überzeugung (convictio);
2) unleugbar (cognitio evidens, indubitata), in so ferne wir klar erkennen, dass
dasjenige, wovon wir überzeugt sind, unmöglich falsch sein könne; 3) gründlich
(cognitio solida), in so ferne die Gewissheit vollständig ist; oder auch wenn sie
so gross und von der Art ist, als erfodert wird.

§. 164.

Je mehr Sachen wir gewiss erkennen, und je mehr wir von einem
jedweden Gegenstande gewiss erkennen; je grösser die Sachen sind, die wir
gewiss erkennen, und je klärer wir die Wahrheit erkennen: desto grösser ist
die Gewissheit §. 155. Wer also die gelehrte Erkenntniss
 
[45]
  recht verbessern
will, der muss sie so gewiss machen als es möglich ist, indem er die Gewissheit
von allen Arten, und in einer jedweden Art den grössten Grad der Gewissheit
hervorbringt, so viel als es nämlich die übrigen Regeln der Vollkommenheit
der gelehrten Erkenntniss verstatten.

§. 165.

Wir müssen nicht schliessen: 1) Was mir gewiss ist, das ist
auch andern Leuten gewiss, und umgekehrt §. 126. 2) Was mir ungewiss ist,
das ist, an sich betrachtet, ungewiss, oder wohl gar falsch §. 156. 3) Was mir
ungewiss ist, das ist auch andern Leuten ungewiss, und umgekehrt §. 126.
4) Was mir jetzo gewiss ist, das wird mir künftig allemal auch gewiss bleiben
§. 126. 5) Was mir jetzo ungewiss ist, das wird mir auch künftighin allemal
ungewiss bleiben §. 126. 6) Wenn nicht alles in einem Gegenstande gewiss
ist, so hat derselbe gar keine Gewissheit §. 162.

§. 166.

Weil wir einige Arten, sonderlich der logischen Gewissheit, nur
nach und nach erlangen, so muss man theils nicht verdriesslich werden, wenn
die Gewissheit nicht so geschwinde erfolgen will, als wir manchmal wünschen;
theils muss man misstrauisch sein, wenn wir etwa in einem Falle gar zu geschwinde
gewiss geworden sind, ob man etwa nicht etwas versehen habe. Man
muss, in der Erlangung der Gewissheit, langsam eilen.

§. 167.

Wenn eine Erkenntniss nicht von der Art und in dem Grade
gewiss ist, als sie sein könnte und sollte, so wird sie eine seichte Erkenntniss
genannt (cognitio superficiaria).

§. 168.

Wir geben einer Erkenntniss unsern Beifall, oder wir nehmen
sie an (assentiri, ponere aliquid) wenn wir sie für wahr halten; wir verwerfen
sie (tollere aliquid), wenn wir sie für falsch halten; und wir halten unsern
Beifall zurück (suspendere iudicium), wenn wir keins von beiden thun. Wenn
wir eine ungewisse Erkenntniss annehmen oder verwerfen, so thun wir dieses
entweder, weil wir einige Kennzeichen der Richtigkeit oder Unrichtigkeit
 
[46]
 
erkennen, oder wir erkennen gar keine dieser Kennzeichen. In dem letzten
Falle übereilen wir uns (praecipitantia), und die ungewisse Erkenntniss, die
wir aus Übereilung annehmen oder verwerfen, ist eine erbettelte Erkenntniss,
ein Vorurtheil, eine vorgefasste Meinung (praecaria cognitio, praeiudicium,
praeconcepta opinio). Die erbettelte Erkenntniss ist gar keine gelehrte Erkenntniss
§. 21. 17, und alle Vorurtheile können in der gelehrten Erkenntniss vermieden
werden, und sie sind demnach ein unverantwortlicher Schandfleck
derselben.

§. 169.

Weil die Richtigkeit und Unrichtigkeit der Sachen nicht von
unseren Einsichten abhanget, so kann 1) dasjenige, was wir durch ein Vorurtheil
annehmen, falsch, und was wir durch ein Vorurtheil verwerfen, wahr
sein. 2) Dasjenige, was wir durch ein Vorurtheil annehmen, kann in der That
wahr, und was wir durch ein Vorurtheil verwerfen, kann würklich falsch sein.
3) In einem jedweden Vorurtheile steckt allemal was Irriges und Falsches, weil
wir gewiss zu sein glauben, da wir doch nicht gewiss sind §. 168.

§. 170.

Ein logisch Vorurtheil (praeiudicium logicum) ist ein Vorurtheil,
wodurch die Vollkommenheit der gelehrten Erkenntniss, sonderlich die Gründlichkeit
derselben gehindert wird. Zum Exempel: a) das Vorurtheil des gar
zu grossen Zutrauens (praeiudicium nimiae confidentiae), wenn man auf eine
übereilte Art etwas für logisch vollkommen hält. 1) Das Vorurtheil des gar
zu grossen Ansehens (praeiudicium autoritatis), wenn wir etwas annehmen
oder verwerfen, weil es ein Mensch annimmt und verwirft, den wir so sehr
ehren, dass wir ihn für nachahmungswürdig halten. 2) Die logische Egoisterei
(egoismus logicus), wenn jemand deswegen etwas für logisch vollkommen hält,
weil er selbst der Urheber davon ist. 3) Das Vorurtheil des Alterthums
(praeiudicium antiquitatis), wenn wir etwas für wahr halten, weil
 
[47]
  es eine
alte Meinung ist. 4) Das Vorurtheil der Neuigkeit (praeiudicium novitatis),
wenn wir etwas für wahr halten, weil es eine neue Meinung ist. 5) Das Vorurtheil
des angenommenen Lehrgebäudes (praeiudicium systematis), wenn
man etwas bloss annimmt, weil es unserm Lehrgebäude gemäss, und verwirft,
weil es demselben zuwider ist. 6) Das Vorurtheil des faulen Vertrauens
(praeiudicium pigritiae), wenn man durch einen geringern Fleiss eben so weit
in der gelehrten Erkenntniss zu kommen glaubt, als durch einen grössern.
7) Das Vorurtheil der Seichtigkeit (praeiudicium corticis), wenn man
glaubt, dass man mit einer seichten Erkenntniss eben so weit kommen
könne als mit einer gründlichen. b) Das Vorurtheil des gar zu grossen
Misstrauens (praeiudicium nimiae diffidentiae), wenn man auf eine übereilte
Art etwas für logisch unvollkommen hält. 1) Das Vorurtheil des Alterthums
(praeiudicium antiquitatis), wenn man etwas verwirft, weil es alt ist. 2) Das
Vorurtheil der Neuigkeit (praeiudicium novitatis) wenn man etwas verwirft,
weil es neu ist. 3) Das Vorurtheil der Völkerschaft (nazarethismus), wenn
man etwas verwirft, weil es von einem gewissen Volke herstammt. 4) Das
Vorurtheil des Misstrauens, welches man auf sich selbst setzt (praeiudicium
nimiae diffidentiae in se ipsum positae), wenn man sich selbst zu wenig zutrauet
u.s.w.

§. 171.

Wenn wir eine ungewisse Erkenntniss, um einiger Kennzeichen der
Richtigkeit und Unrichtigkeit willen, annehmen oder verwerfen §. 168, so erkennen wir
entweder mehrere und stärkere Gründe, sie anzunehmen, als sie zu verwerfen, und
alsdenn ist unsere Erkenntniss wahrscheinlich (cognitio probabilis, verosimilis);
oder wir erkennen mehrere und stärkere Gründe sie zu verwerfen, als anzunehmen,
und also haben wir eine unwahrscheinliche Erkenntniss (cognitio
improbabilis); oder die Gründe sind
 
[48]
  auf beiden Seiten einander gleich,
und alsdenn ist es eine zweifelhafte Erkenntniss (cognitio dubia). Z.E.
Es ist wahrscheinlich, dass die Planeten bevölkert sind, es ist aber unwahrscheinlich,
dass es die Sonne sei. So ofte wir zu keinem Entschlusse kommen
können, so ofte haben wir eine zweifelhafte Erkenntniss.

§. 172.

Weil die Menschen so unendlich in ihrer Erkenntniss von einander
verschieden sind, so kann der eine eine Sache durch ein Vorurtheil annehmen
oder verwerfen, die der andere für ganz gewiss wahr, der dritte für
ganz gewiss falsch, der vierte für wahrscheinlich, der fünfte für unwahrscheinlich,
und der sechste für zweifelhaft hält. Der erste handelt allemal unrecht.
Die beiden folgenden können unmöglich beide Recht oder Unrecht haben. Die
drei letzten aber können alle zusammen Recht haben §. 159. 168. 171.

§. 173.

Die Wahrscheinlichkeit, Unwahrscheinlichkeit und Zweifelhaftigkeit
sind Ungewissheiten §. 171, und also nicht in den Gegenständen unserer Erkenntniss
befindlich §. 156. Die allerwahrscheinlichsten Dinge können falsch,
und die unwahrscheinlichsten wahr sein.

§. 174.

Die Vorurtheile muss man weder für wahr noch für falsch halten
§. 168, so wie auch die zweifelhafte Erkenntniss §. 171. Die unwahrscheinliche
Erkenntniss muss man für falsch, und die wahrscheinliche für wahr halten,
doch beides unter einer beständigen Furcht des Gegentheils §. 171. Der ausführlich
gewissen Erkenntniss müssen wir unsern Beifall mit der grössten Zuversicht
geben, ohne das Gegentheil zu befürchten §. 159.

§. 175.

Je mehrere und grössere Gründe wir erkennen, etwas anzunehmen,
je wenigere und kleinere Gründe wir erkennen, es zu verwerfen, je besser wir
jene und je schlechter wir diese erkennen: desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit,
und desto grösser die Unwahrscheinlichkeit des Gegentheils §. 171. Ein
so grosser Grad der Wahrscheinlichkeit,
 
[49]
  welcher in unserm regelmässigen
Verhalten so gut ist, als eine ausführliche Gewissheit, wird die moralische
Gewissheit genannt (certitudo moralis).

§. 176.

Wenn wir etwas für wahr oder für falsch halten, so nennet man
eine jedwede Erkenntniss eines Grundes zum Gegentheil, einen Zweifel (dubium).
Die Zweifel werden entweder auf eine bloss dunkele und undeutliche Weise
erkannt, oder auf eine vernünftige und gelehrte Art. Die erstern heissen Scrupel
(scrupulus), und die andern Einwürfe (obiectio).

§. 177.

Alle Zweifel sind entweder wahre Zweifel (dubium verum), oder
falsche (dubium falsum) §. 176. 92. 93, welche, wenn sie wahr zu sein scheinen,
einen grossen Schein haben. Wenn man das Unrichtige in einem falschen
Zweifel klar erkennet, so wird der Zweifel aufgelöst oder beantwortet (dubium
resolvitur, seu ad dubium respondetur). Alle Zweifel sind entweder beantwortlich
oder unbeantwortlich, und beides entweder schlechterdings oder beziehungsweise
(dubium absolute et respective resolubile aut irresolubile).
Folglich 1) können wider alle Wahrheiten Zweifel erregt werden, und es ist
deswegen nichts falsch, weil Zweifel dawider erregt werden; 2) wider eine
Wahrheit können Zweifel erregt werden, die diesem oder jenem Menschen unbeantwortlich
sind; 3) wider keine Wahrheit können schlechterdings unbeantwortliche
Zweifel erregt werden. Ausgemachte Wahrheiten (veritates indubitatae,
extra omnem dubitationis aleam positae) sind entweder solche Wahrheiten,
die ausführlich gewiss sind; oder wider welche keine andere Zweifel
erregt werden können, als die beantwortlich sind, und schon beantwortet worden.
Wahrheiten, die nicht ausgemacht sind, sind unausgemachte Wahrheiten (veritates
non indubitatae).

§. 178.

Zur völligen Überzeugung von einer Wahrheit 1) wird nicht erfodert,
dass die unbekannten Zweifel
 
[50]
  wider dieselbe beantwortet werden;
auch nicht 2) dass die Scrupel beantwortet werden, denn sie verdienen gar
keine Antwort; 3) auch nicht dass alle bekannten Zweifel beantwortet werden,
es können sogar unter denselben einige sein, welche einem Menschen unbeantwortlich
sind, und der dem ohnerachtet völlig überzeugt werden kann; 4) wird
erfodert, dass alle Zweifel, welche das Gemüth wankend machen, beantwortet
werden; 5) die Beantwortung der Zweifel gereicht allemal zur Vermehrung der
Gewissheit, und zur Befestigung in der Überzeugung §. 176.

§. 179.

Die Ungewissheit der Erkenntniss entsteht 1) aus der Einschränkung
unserer Erkenntnisskraft, an welcher wir entweder schuld oder nicht
schuld sind; 2) aus dem Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit des Nachdenkens,
des Fleisses und der Geduld §. 129. 145, welcher entweder nothwendig oder
zufällig, tadelnswürdig oder lobenswürdig sein kann; 3) aus einer nothwendigen
oder zufälligen, lobenswürdigen oder tadelnswürdigen Unwissenheit solcher
Wahrheiten, ohne deren Erkenntniss uns eine andere Wahrheit nicht gewiss
werden kann §. 43. 50. 51; 4) aus einer gar zu starken Aufmerksamkeit auf
die Zweifel §. 176.

§. 180.

Es giebt in der menschlichen Erkenntniss eine Ungewissheit 1) welche
ganz unvermeidlich ist, und die uns weder zur Schande noch zur Ehre gereicht;
2) welche wir nicht vermeiden dürfen, wenn wir gleich könnten, weil ihr Gegenstand
ausser unserm Horizonte, oder unter demselben angetroffen wird, und die
gereicht einem Menschen zur Ehre; 3) welche ein Mensch vermeiden kann und
soll, weil die entgegengesetzte Gewissheit in seinen Horizont gehört §. 178.
Diese letzte gereicht uns allemal zur Schande, und wer seine gelehrte Erkenntniss
aufs möglichste verbessern will, der muss nur alle Ungewissheit der dritten
Art zu vermeiden suchen.

 
[51]
 

§. 181.

Eine Meinung (opinio) ist eine jedwede ungewisse Erkenntniss,
in so ferne wir sie annehmen, und zugleich erkennen, dass sie nicht gewiss
sei. Eine Meinung wird entweder als ein Grund angenommen, aus welchem
wir die Erscheinungen in der Welt erklären, oder nicht. Die letzte ist
eine gemeine Meinung (opinio vulgaris). Die erste ist eine philosophische
oder gelehrte Meinung (hypothesis philosophica, erudita), z.E. wenn man
den Ausfluss einer magnetischen Materie annimmt, um daher zu erklären, wie
der Magnet das Eisen an sich zieht.

§. 182.

Alle Meinungen 1) haben die Natur aller ungewissen Erkenntniss
an sich; 2) die gemeinen Meinungen sind, wenigstens in der gelehrten Erkenntniss,
ganz und gar zu verachten; 3) es ist nicht allen eine Meinung, was einigen
eine Meinung ist; 4) aus den gelehrten Meinungen muss man nicht zu viel
Wesens machen, denn sie gehören zu der unvollkommenern Hälfte der gelehrten
Erkenntniss; 5) man muss sie nicht ganz verachten, weil sie der Übergang von
der historischen Erkenntniss zu der völlig gewissen gelehrten Erkenntniss sind
§. 181.

§. 183.

Bei den gelehrten Meinungen muss man folgende Regeln beobachten:
1) man muss keine gelehrte Meinung für gewiss wahr halten, und für
dieselbe nicht so viel Eifer beweisen, als für gewisse Wahrheiten. 2) Man muss
sie nur im Nothfalle annehmen, wenn wir noch keine bessere gelehrte Erkenntniss
haben können. 3) Man muss keine offenbar falsche Meinung annehmen,
welche entweder innerlich unmöglich ist, oder einer andern unleugbaren
Wahrheit widerspricht, oder den Erscheinungen widerspricht. Eine Erscheinung
widerspricht deswegen einer Meinung nicht, weil wir sie
nicht daraus herleiten können. 4) Man muss bereit sein, die allerartigste
und gelehrteste Meinung fahren zu lassen , so bald man ihre Unrichtigkeit
entdeckt. 5) Man muss eine gelehrte Meinung nicht eher
 
[52]
  annehmen,
ehe man sie nicht zu einiger Wahrscheinlichkeit gebracht hat. Man muss also,
unter andern, die meisten Erscheinungen aus ihr erklären können. 6) Man
muss sich beständig bemühen, eine Meinung in eine gewisse Erkenntniss zu
verwandeln. 7) Man muss keine gar zu grosse Neigung zu Meinungen haben,
und deren nicht gar zu viele erfinden. 8) Man muss eine Meinung nicht deswegen
für wahr halten, weil sie neu, artig, wunderbar, unschädlich, erbaulich
ist, und viel Mühe, Gelehrsamkeit, Witz und Scharfsinnigkeit erfodert hat, ehe
sie erfunden worden.

§. 184.

Die Gewissheit und Überzeugung sind entweder wahr, oder bloss
scheinbar. Der Irrthum, durch welchen wir überzeugt zu sein uns einbilden,
da wir doch nicht überzeugt sind, wird die Überredung im bösen Verstande
genannt (persuasio malo significatu). Da durch dieselbe die Gewissheit der gelehrten
Erkenntniss gehindert wird, so muss man sie aufs möglichste zu verhüten
suchen. Sie entsteht aber: 1) aus der Unwissenheit der Regeln der
Vernunftlehre; 2) aus dem Mangel einer gewissen Erkenntniss, denn alsdenn
weiss man noch nicht, wie es uns bei einer wahren Überzeugung zu Muthe
ist; 3) aus Vorurtheilen §. 169. 170. 171; 4) aus einer gar zu grossen Nachlässigkeit
und Eilfertigkeit. In so ferne es nun in dem Vermögen eines Menschen
steht, diese Ursachen der Überredung aus dem Wege zu räumen, in so ferne
ist er auch im Stande, diesen Fehler selbst zu vermeiden.

§. 185.

Wenn man nun die Überredung verhütet, und zu einer gründlichen
Überzeugung gelanget; so erlangt man eine Wissenschaft (scientia subiective
spectata), das ist, eine gelehrte Erkenntniss, in so ferne sie ausführlich
gewiss ist.

§. 186.

Je grösser, wichtiger und fruchtbarer der Gegenstand unserer
gelehrten Erkenntniss ist, desto gewisser muss unsere Erkenntniss sein §. 70,
das ist, wir müssen die Erkenntniss desselben nach den meisten und besten
Arten der
 
[53]
  Gewissheit, und in den höchsten Graden derselben gründlich zu
machen suchen. Bei den kleinern Gegenständen verhält es sich gerade umgekehrt.

§. 187.

Ein jeder muss sich nicht nur, zu seiner Hauptwissenschaft, denjenigen
Theil der Gelehrsamkeit erwählen, welcher der grössten Gewissheit fähig
ist, so viel ihm sonst möglich ist; sondern er muss auch seine erwählte Hauptwissenschaft,
zu dem möglichsten Grade der Gewissheit, zu erhöhen suchen
§. 63. 64.

§. 188.

Die ausführliche Gewissheit besteht in dem Bewusstsein der
Wahrheit §. 155, folglich dass sie möglich und gegründet sei §. 94. 96, so dass
keine Furcht des Gegentheils übrig bleibt §. 160. Folglich sind wir uns alsdenn
bewusst, dass das Gegentheil falsch, unmöglich und unbegründet sei §. 95. 97.
Folglich entsteht die ausführliche Gewissheit aus dem Bewusstsein der Nothwendigkeit
der Wahrheit §. 114.

§. 189.

Die ausführliche Gewissheit entsteht entweder daher, dass wir
klar erkennen, die Wahrheit sei schlechterdings nothwendig, oder dass sie nur
in dieser Welt nothwendig sei §. 113. Erkennen wir das erste mathematisch
gewiss, so besteht darin die mathematische Gewissheit vom ersten Range
(certitudo mathematica primi ordinis). In dem andern Falle haben wir die
mathematische Gewissheit vom andern Range (mathematica certitudo secundi
ordinis), z.E. bei unsern Erfahrungen.

§. 190.

Das Bewusstsein der Zufälligkeit der Wahrheit verursacht die Ungewissheit,
und höchstens nur eine unausführliche Gewissheit §. 189. 113.
Willkürliche Wahrheiten (hypothesis) sind diejenigen, deren Wahrheit von
dem Willkür der Menschen abhanget, und ihre Willkürlichkeit hindert die
völlige Gewissheit von ihnen nicht.

§. 191.

Der Beweis (probatio) ist dasjenige, was zu einer Wahrheit hinzugethan
wird, damit sie gewiss
 
[54]
  werde. Der Beweisthum (probatio materialiter
sumta, ratio probans) ist der Grund, aus welchem die Wahrheit klar
erkannt werden kann, und das sind die Kennzeichen der Wahrheit §. 94. Die
Folge des Beweises (probatio formaliter sumta, consequentia) ist der Zusammenhang
der Wahrheit mit dem Beweisthum §. 15. Ein jeder Beweis besteht
demnach aus dem Beweisthum und der Folge, und er kann entweder eine ausführliche
oder eine unausführliche Gewissheit verursachen §. 159. Ist das erste,
so heisst er ein zureichender Beweis oder eine Demonstration (probatio
sufficiens, demonstratio); ist das andere, so ist er ein unzureichender Beweis
(probatio insufficiens). Von dem letztern wird in der Vernunftlehre der wahrscheinlichen
Erkenntniss ausführlich gehandelt.

§. 192.

Die Erkenntniss einer Wahrheit ist entweder eine erweisliche
(cognitio demonstrabilis), oder eine unerweisliche Erkenntniss (cognitio indemonstrabilis).
Diese wird uns gewiss so bald wir sie deutlich erkennen, jene
aber nicht. Diese ist ohne Beweis völlig gewiss, jene aber nicht. Man hüte
sich, dass man weder die erbettelte Erkenntniss noch die erweisliche für unerweislich
halte §. 168.

§. 193.

Wenn wir die ausführliche Gewissheit von einer Wahrheit durch
den Beweis und aus demselben erlangen wollen, oder wenn ein Beweis eine
Demonstration sein soll, §. 191; so muss 1) ein jeder Beweisthum, welcher in
dem Beweise enthalten ist, ausführlich gewiss sein. Es müssen demnach alle
erweislichen Beweisthümer so lange wieder erwiesen werden, bis man auf lauter
unerweisliche Beweisthümer kommt; 2) die Folge ausführlich gewiss sein §. 191.
Ausser diesen beiden Stücken wird nichts weiter zu einem Beweise erfodert,
wenn er eine Demonstration sein soll §. 15.

§. 194.

Wenn 1) auch nur ein einziger Beweisthum in einem Beweise
falsch, oder 2) ungewiss ist, 3) eine
 
[55]
  einzige Folge in dem Beweise falsch,
oder 4) ungewiss ist, oder 5) wenn mehrere dieser Fehler zugleich in einem
Beweise angetroffen werden, so kann er keine Demonstration sein §. 193.

§. 195.

Gleichwie jemand einen unzureichenden Beweis für eine Demonstration
halten kann, also kann auch jemand eine Demonstration für einen unzureichenden
Beweis, oder wohl gar für einen falschen Beweis halten §. 165.
Folglich muss man eine Demonstration deswegen überhaupt nicht verwerfen,
weil sie auf unser Gemüth nicht die gehörige Würkung thut.

§. 196.

Durch eine Demonstration suchen wir entweder gewiss zu werden,
dass etwas wahr, oder dass etwas falsch sei §. 191. 156. In dem ersten Falle
kann man eine Wahrheit auf eine zweifache Art demonstriren: 1) unmittelbarer Weise
(demonstratio directa, ostensiva), wenn wir die Wahrheit aus ihren
Kennzeichen herleiten; 2) mittelbarer Weise (demonstratio indirecta, apogogica,
deductio ad absurdum), wenn wir die Unrichtigkeit ihres Gegentheils demonstriren,
und daraus ihre Wahrheit schliessen. Eben so kann man demonstriren,
dass etwas falsch sei, oder es widerlegen (refutatio), a) mittelbarer Weise
(refutatio mediata), wenn wir die Wahrheit seines Gegentheils demonstriren;
b) unmittelbarer Weise (refutatio immediata), wenn wir die Unrichtigkeit desselben
aus ihren Kennzeichen herleiten. Man kann aber beweisen, dass etwas
falsch sei: α) wenn wir beweisen, dass es unmöglich und ungegründet, β) dass
es andern unleugbaren Wahrheiten zuwider sei, und γ) dass aus ihm was
Falsches folge.

§. 197.

Eine Demonstration verursacht entweder eine deutlich oder undeutlich
ausführliche Gewissheit §. 191. 188. Diese sind die ästhetische Demonstrationen
(demonstratio aesthetica), jene aber die logischen, philosophischen
und gelehrten (demonstratio logica, philosophica,
 
[56]
  erudita). Eine logische
Demonstration, welche eine mathematische Gewissheit verursacht, ist eine
mathematische Demonstration (demonstratio mathematica) §. 161.

§. 198.

Wir können allemal schliessen: 1) wenn der ganze Beweis richtig
und gewiss ist, so ist auch die erwiesene Sache richtig und gewiss; 2) wenn
die erwiesene Sache falsch und ungewiss ist, so ist in dem Beweise ein Fehler
§. 194. Wir können aber nicht schliessen: 1) wenn der Beweis falsch ist, so
ist auch die erwiesene Sache falsch; 2) wenn der Beweis ungewiss ist, so ist
die bewiesene Sache auch nur ungewiss; 3) was wir nicht beweisen können, ist
falsch; 4) wenn die erwiesene Sache wahr und gewiss ist, so ist auch der Beweis
wahr und gewiss.

§. 199.

Der Demonstrirgeist (spiritus demonstrationis) besteht in der
zureichenden Geschicklichkeit eines Menschen zum Demonstriren, und dem
natürlichen Triebe nach einer solchen gewissen Erkenntniss, als man durchs
Demonstriren erlanget. Ohne diesem Geiste kann niemand demonstriren, und
es sollte sich niemand ohne demselben an diese Sache wagen.

§. 200.

Die gar zu grosse Liebe zum Demonstriren ist die Demonstrirsucht
(pruritus demonstrandi). Diese gelehrte Krankheit äussert sich durch
folgende Stücke: 1) wenn man zu demonstriren sucht, was man nicht demonstriren
kann und darf; 2) wenn man sogar auf eine unächte Art demonstrirt,
damit man nur den Schein des Demonstrirens bei Blödsinnigen erwecke;
3) wenn man nur bei dem blossen Demonstriren stehen bleibt, und die demonstrirten
Wahrheiten nicht gehörig braucht und anwendet; 4) wenn man ein
Pedant im Demonstriren ist, oder dasjenige ganz und gar verachtet, was nicht
demonstrirt ist, es sei nun dass es würklich nicht demonstrirt ist, oder dass
wir es nur nicht dafür halten; 5) wenn man, wie ein Charlatan, das Demonstriren
zu hoch erhebt, und zu viel
 
[57]
  Prahlens davon macht, sogar alsdenn,
wenn man unnütze Kleinigkeiten demonstrirt.

§. 201.

Eine Empfindung (sensatio) ist eine Vorstellung einer gegenwärtigen
Sache, und indem wir etwas klar empfinden, so erfahren wir dasselbe.
Die Erfahrung (experientia) besteht also in derjenigen Erkenntniss, welche
durchs Empfinden klar ist. Die klaren Empfindungen sind die unmittelbare
Erfahrung (experientia immediata), und die übrige klare Erkenntniss,
welche aus der unmittelbaren Erfahrung durch einen kürzern Beweis hergeleitet
wird, heisst die mittelbare Erfahrung (experientia mediata). Z.E. dass ich
denke, ist eine Empfindung und unmittelbare Erfahrung, dass ich aber ein Vermögen
zu denken habe, ist eine mittelbare Erfahrung.

§. 202.

Wenn uns etwas gewiss ist, so ist es uns entweder aus der
Erfahrung gewiss, oder aus andern Gründen, und in dem ersten Falle entweder
aus unserer eigenen Erfahrung, oder aus der Erfahrung anderer Leute. Folglich
haben wir eine dreifache Quelle aller Beweise §. 191, nämlich unsere eigene
Erfahrung, die Erfahrung anderer Leute, und andere Gründe, die keine Erfahrungen
sind.

§. 203.

Wenn wir einen Beweis 1) aus unserer eigenen unmittelbaren
Erfahrung führen, so dürfen wir uns nur einen einzeln Fall klar vorstellen, in
welchem wir etwas empfunden haben §. 201. 2) Bei den Beweisen aus der
mittelbaren Erfahrung muss nicht nur wenigstens Eine unmittelbare Erfahrung
angeführt werden, sondern die übrigen Beweisthümer sammt der Folge müssen
auch gewiss sein §. 201. 193. 3) Wovon wir auch sogar durch die unmittelbare
Erfahrung gewiss sind, ist keine unerweisliche Erkenntniss §. 192. 201.
4) Die Erfahrung giebt uns eine ausführliche Gewissheit, indem sie alle Kennzeichen
der Wahrheit des Gegenstandes enthält §. 201. 94. 96. 5) Die Erfahrung
giebt uns nur eine ausführliche Gewissheit vom andern Range §. 189, und 6) stellt
sie uns die
 
[58]
  Wahrheit nur aus den äusserlichen Kennzeichen vor §. 94.

§. 204.

Wenn wir eine Wahrheit aus andern Beweisthümern, welche
keine Erfahrung sind, beweisen; so führen wir einen Beweis aus der Vernunft
(probatio ex ratione). In einem solchen Beweise 1) muss kein Beweisthum
vorkommen, welcher eine Erfahrung ist, und 2) alle Beweisthümer desselben
müssen ohne Erfahrung ausführlich gewiss sein, wenn er eine Demonstration
sein soll §. 193.

§. 205.

Alle Erfahrung, und was wir aus derselben beweisen, ist die Erkenntniss
von hinten her (cognitio a posteriore), die übrige vernünftige Erkenntniss
aber wird, die Erkenntniss von vorne her (cognitio a priore), genannt.
Wenn wir von einer Wahrheit sowohl aus eigener Erfahrung, als auch
aus der Vernunft gewiss sind, so nennet man dasselbe die Vereinbarung der
Vernunft und der Erfahrung (connubium rationis et experientiae).

§. 206.

Aus anderer Leute Erfahrung werden wir, vermittelst des Glaubens,
gewiss. Wer eine wirkliche Sache für wahr ausgiebt, damit ein anderer sie
auch für wahr halte, heisst ein Zeuge (testis), und seine Handlung ein Zeugniss
(testimonium, testari). Glauben (credere) heisst, um eines Zeugnisses willen
etwas annehmen. Der Glaube (fides, fides historica) ist der Beifall, den wir
einer Sache um eines Zeugnisses willen geben. Der Gegenstand des Glaubens
besteht in vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Dingen, aber nicht in
andern Wahrheiten.

§. 207.

Das Ansehen eines Zeugen (autoritas testis$b) besteht in demjenigen
Grade seiner Ehre, vermittelst dessen er in seiner Erkenntniss für
nachahmungswürdig gehalten wird. Wir können keinem Zeugen glauben, der
in keinem Ansehen bei uns steht. Und dieses Ansehen besteht
 
[59]
  1) in der
Tüchtigkeit des Zeugen (dexteritas testis$b), wenn er zureichende Kräfte besitzt,
nicht nur eine richtige Erfahrung zu bekommen, sondern dieselbe auch auf
eine richtige Art zu bezeichnen; 2) in der Aufrichtigkeit des Zeugen (sinceritas
testis$b), oder in der Neigung seines Willens, seine Erfahrungen so zu bezeichnen,
wie er sie für wahr hält. Keins von beiden kann, ohne dem andern, einem
Zeugen das gehörige Ansehen verschaffen.

§. 208.

Ein Augenzeuge (testis oculatus) ist ein Zeuge, welcher die
Sache selbst erfahren hat, die er bezeuget. Ein Hörenzeuge (testis auritus) ist
kein Augenzeuge, sondern er hat nur das Zeugniss anderer von der Sache erfahren.

§. 209.

Zur Tüchtigkeit eines Augenzeugen wird erfodert: 1) er muss bei
der Sache gegenwärtig gewesen sein, die er bezeuget; 2) er muss im Stande
sein, eine richtige Erfahrung zu bekommen; 3) er muss ein gutes und treues
Gedächtniss haben, oder seine Erfahrungen alsobald aufschreiben; 4) er muss
die Gabe besitzen, seine eigene Erkenntniss auf eine richtige und hinlängliche
Art zu bezeichnen.

§. 210.

Ein Hörenzeuge ist in Absicht auf das Zeugniss, welches er bezeuget,
ein Augenzeuge, und er muss demnach alle dazu erfoderte Tüchtigkeit
besitzen §. 209. In so ferne er aber ein Hörenzeuge ist, werden folgende
Stücke zu seiner Tüchtigkeit erfodert: 1) er muss nur die Zeugnisse tüchtiger
Augenzeugen nachsagen, und er muss also allemal einen tüchtigen Augenzeugen
anführen können, welcher sein Gewährsmann ist. Eine gemeine Sage (fama)
ist ein Zeugniss vieler Hörenzeugen von einer Sache, deren Augenzeuge unbekannt
ist. Diese Hörenzeugen leben entweder zu einer Zeit, und alsdenn ist ihre
Sage ein öffentliches Gerüchte (rumor sine capite), oder zu verschiedenen
Zeiten, und alsdenn ist sie eine mündliche Überlieferung (oralis traditio).
Der gemeinen Sage
 
[60]
  fehlt es am nöthigen Ansehen; 2) er muss Verstand
genung besitzen, um recht zu fassen, was er hört oder lieset; 3) er muss ein
treues Gedächtniss besitzen, um die Nachrichten so wieder andern mitzutheilen,
wie er sie empfangen hat.

§. 211.

Bei der Aufrichtigkeit eines Zeugen kommt es bloss auf seinen
guten Willen an, nicht zu lügen §. 207. Derjenige Zeuge, welcher sich von
einem wahren Zeugnisse entweder lauter Gutes, oder mehr Gutes als Böses verspricht,
und welcher sich von der Lügen lauter Böses, oder mehr Böses als
Gutes verspricht, der redet die Wahrheit. Und in dem entgegengesetzten Falle
lüget er. Dieses Gute oder Böse kann seine Seele oder seinen Körper, oder
seinen äusserlichen Zustand betreffen, er kann es hoffen oder fürchten von GOtt,
von denenjenigen Menschen, denen er das Zeugniss ablegt, oder von denen er
zeuget u.s.w. er mag sich nun in dieser Sache betrügen oder nicht.

§. 212.

Die Gewissheit eines Zeugnisses beruhet 1) auf den innerlichen
Kennzeichen seiner Wahrheit §. 95. 96; 2) auf den äusserlichen Kennzeichen
seiner Wahrheit, nämlich auf dem hinlänglichen Ansehen des Zeugen, welches
wenigstens sehr wahrscheinlich sein muss §. 207, 94. Die Zeugnisse eines
tüchtigen und aufrichtigen Zeugen können nicht falsch sein.

§. 213.

Was wir glauben, erbetteln wir nicht §. 212. 168. Der Unglaube
(incredulitas) ist die Fertigkeit, einem gewissen oder wahrscheinlichen Zeugnisse
nicht zu glauben. Die Leichtgläubigkeit (credulitas) ist die Fertigkeit, einem
unwahrscheinlichen Zeugnisse zu glauben. Beide Fehler sind unvernünftig §. 174.

§. 214.

Ein Zeuge ist glaubwürdig (testis fide dignus), wenn man auf
eine gelehrte Art wenigstens wahrscheinlich erkennen kann, dass er genugsames
Ansehen habe; das Zeugniss eines solchen Zeugen ist ein glaubwürdiges
Zeugniss (testimonium fide dignum). Der vernünftige
 
[61]
  oder sehende Glaube
(fides oculata, rationalis) ist die Fertigkeit nur glaubwürdigen Zeugen zu glauben.

§. 215.

Es giebt 1) eine Vereinbarung der Erfahrung und des Glaubens
(connubium experientiae et fidei), wenn wir sowohl aus eigener Erfahrung, als
auch aus glaubwürdigen Zeugnissen etwas erkennen; 2) eine Vereinbarung des
Glaubens und der Vernunft (connubium fidei et rationis), wenn wir sowohl aus
der Vernunft, als auch durch den Glauben von einer Sache gewiss sind; und
3) eine Vereinbarung der Vernunft, des Glaubens und der Erfahrung
(connubium rationis experientiae et fidei), wenn wir eine Wahrheit durch alle
drei Wege überzeugend erkennen. Die Vereinbarung des Glaubens mit den
übrigen Quellen der Erkenntniss, wird auch der vermischte Glaube (fides mixta)
genennet; wenn wir aber bloss um des Glaubens willen etwas annehmen, so
heisst es der reine Glaube (fides pura). Weil wir weder die Tüchtigkeit noch
Aufrichtigkeit menschlicher Zeugen demonstriren können, so giebt der Glaube
nur eine Wahrscheinlichkeit, und höchstens nur eine moralische Gewissheit §. 175.

Der siebende Abschnitt,
von der praktischen gelehrten Erkenntniss.


§. 216.

Eine Erkenntniss ist praktisch (cognitio practica), in so ferne
sie uns auf eine merkliche Art bewegen kann, eine Handlung zu thun oder zu
lassen. Alle vollkommenere Erkenntniss, die nicht praktisch ist, wird eine
speculativische Erkenntniss (cognitio speculativa, speculatio) genennet. Alle
gelehrte Erkenntniss ist demnach entweder praktisch oder speculativisch.

§. 217.

Eine Erkenntniss, in welcher wir uns vorstellen, dass etwas gethan
oder gelassen werden solle, wird
 
[62]
  auch praktisch genannt, in so ferne sie
der theoretischen Erkenntniss (cognitio theoretica, theoria) entgegengesetzt
wird, der Erkenntniss, die uns nicht vorstellt, dass etwas gethan oder gelassen
werden solle. Alle gelehrte Erkenntniss ist entweder praktisch oder theoretisch,
und beide Arten gehören entweder zu der praktischen oder speculativischen
Erkenntniss §. 216.

§. 218.

Die praktische Erkenntniss ist besser als die speculativische Erkenntniss
§. 216, weil in ihr eine grössere Zusammenstimmung des Mannigfaltigen
angetroffen wird §. 22. Wer also seine gelehrte Erkenntniss aufs möglichste
verbessern will, der muss die Speculation verhüten, und lauter praktische
Erkenntniss suchen.

§. 219.

Keine wahre gelehrte Erkenntniss ist ihrer Natur nach speculativisch,
sondern nur um des Mangels der Einsicht eines Gelehrten willen, welcher
ihren Zusammenhang mit dem Verhalten des Menschen nicht einsehen kann,
oder nicht einsehen will. In dem letzten Falle beschimpft sich der Gelehrte selbst.

§. 220.

Es ist unvernünftig, wenn man für eine Speculation halten wollte:
1) alle tiefsinnige, bestimmte, genaue und schwere gelehrte Erkenntniss; 2) alle
Gelehrsamkeit überhaupt; 3) alle Theorie; 4) diejenige gelehrte Erkenntniss, welche
in diesem oder jenem Menschen nicht praktisch ist; 5) alle Erkenntniss, die
nicht einen unmittelbaren Einfluss in das moralische Verhalten eines Menschen hat.

§. 221.

Eine Erkenntniss ist entweder ihres Gegenstandes wegen praktisch
(cognitio obiective practica), oder ihrer Beschaffenheit wegen (cognitio
subiective practica), oder beides zugleich. In dem ersten Falle muss sie einen
Gegenstand haben, welcher so erkannt werden kann, wie zu einer praktischen
Erkenntniss erfodert wird. In dem andern Falle ist sie so beschaffen, dass sie
in die Begehrungskraft würken kann.

 
[63]
 

§. 222.

Eine gelehrte Erkenntniss ist ihres Gegenstandes wegen
praktisch: 1) wenn die erkannten Wahrheiten gut und nützlich sind. Und in
dieser Absicht ist alle wahre gelehrte Erkenntniss praktisch §. 39. 221.

§. 223.

Eine gelehrte Erkenntniss ist ihres Gegenstandes wegen praktisch:
2) in so ferne sie bei den vernünftigen Handlungen, wodurch die menschliche
Vollkommenheit erhalten wird, zum Grunde liegt §. 221, und deren Mangel
man alsobald an den Handlungen eines Menschen merkt.

§. 224.

Eine gelehrte Erkenntniss ist ihres Gegenstandes wegen praktisch:
3) wenn ihr Gegenstand in den Regeln besteht, die wir beobachten müssen,
wenn wir unsere gesammte Wohlfahrt auf die beste Art erhalten wollen §. 221.

§. 225.

Eine gelehrte Erkenntniss ist ihres Gegenstandes wegen praktisch:
4) wenn ihr Gegenstand, auf eine entfernte und mittelbare Weise, einen Einfluss
in unser gesammtes gutes Verhalten hat §. 221, z.E. die Erkenntniss solcher
Wahrheiten, ohne welchen die übrigen praktischen Wahrheiten §. 222-224 entweder
gar nicht, oder doch nicht auf eine gelehrte Art von uns Menschen erkannt
werden könnten.

§. 226.

Weil kein Mensch im Stande ist, alle praktische Wahrheiten
zu erkennen, so wird die gelehrte Erkenntniss vorzüglich und schlechthin
praktisch genannt (cognitio obiective et comparative s. eminenter practica),
welche in einem höhern Grade praktisch ist, z.E. die uns merklich nützlicher
ist, als eine andere, und welche einen unmittelbaren oder sehr nahen Einfluss
in unser Verhalten hat.

§. 227.

Alle gelehrte Erkenntniss wird vergleichungsweise speculativisch
genennet (cognitio comparative speculativa), wenn sie in einem sehr kleinen
Grade praktisch ist. Z.E. 1) wenn sie einen sehr kleinen und unmerklichen
 
[64]
 
Einfluss in unser regelmässiges Verhalten hat; 2) wenn sie einen sehr
kleinen Nutzen hat; 3) wenn sie uns an einer nöthigern und
nützlichern Erkenntniss
hindert.

§. 228.

Um der verschiedenen Lebensart und Hauptwissenschaft willen,
kann eine gelehrte Erkenntniss von dem einen mit Recht für praktisch, und
von dem andern für speculativisch gehalten werden §. 226. 227. Ja, es kann
jemand um seiner geringen Erkenntnisskräfte willen, und aus Nachlässigkeit,
den Zusammenhang einer gelehrten Erkenntniss mit unserm Verhalten, nicht
einsehen, welcher sie daher für eine speculativische Erkenntniss halten wird.

§. 229.

In so ferne eine gelehrte Erkenntniss praktisch ist, in so ferne
ist sie auch nützlich. Man muss demnach 1) keine Wahrheit und keine
gelehrte Erkenntniss für ganz unnütz halten §. 222. 2) Eine gelehrte Erkenntniss
ist deswegen nicht unnütz, weil sie diesem oder jenem Menschen nichts
nutzt, und ihm wohl gar schädlich ist. 3) Eine gelehrte Erkenntniss, welche
in einer Absicht nicht nützlich ist, kann in einer andern Absicht nützlich sein.
4) Man muss nicht schliessen: was uns jetzo nicht nützlich ist, das wird uns
auch künftig nicht nützlich sein.

§. 230.

Je mehrere Nutzen eine gelehrte Erkenntniss verschafft, je grösser
dieselben sind, und je grösser und mannigfaltiger ihr Einfluss in unser gesammtes
Verhalten ist, desto praktischer ist sie §. 216.

§. 231.

Damit ein jeder Gelehrter seine gelehrte Erkenntniss aufs möglichste
verbessere, muss er 1) diejenigen Wahrheiten aufs vollkommenste erkennen,
die im höchsten Grade praktisch sind. Der Grad des Fleisses und der
Vollkommenheit der gelehrten Erkenntniss, muss dem Grade des Praktischen
in ihrem Gegenstande proportionirt sein §. 70. 2) Ein jeder muss, wo möglich,
zu seiner Hauptwissenschaft denjenigen Theil der Gelehrsamkeit erwählen, welcher
im höchsten Grade praktisch ist §. 63.

 
[65]
 

§. 232.

Eine Erkenntniss, die ihrer Beschaffenheit nach praktisch
ist, wird eine lebendige und rührende Erkenntniss genannt (cognitio viva,
movens). Eine lebendige vernünftige Erkenntniss (cognitio rationalis viva)
ist eine vernünftige Erkenntniss, die so beschaffen ist, dass durch sie vernünftige
Begierden und Verabscheuungen erweckt werden; oder sie enthält Bewegungsgründe
(motiva), das ist, solche vernünftige Vorstellungen des Guten
und Bösen, wodurch Begierden und Verabscheuungen entstehen. Alle vernünftige
Erkenntniss, die nicht so beschaffen ist, heisst eine vernünftige todte
Erkenntniss (cognitio rationalis mortua).

§. 233.

Diejenige Beschaffenheit der Erkenntniss, vermöge welcher sie
Begierden und Verabscheuungen würkt, heisst das Leben der Erkenntniss (cognitionis
vita), welches, wenn es in den Bewegungsgründen besteht §. 232, das
vernünftige Leben der Erkenntniss heisst, oder alsdenn rührt und bewegt die
Erkenntniss auf eine vernünftige Art (vita rationalis cognitionis).

§. 234.

Eine gelehrte Erkenntniss kann 1) in Absicht auf ihren
Gegenstand ungemein praktisch, und dem ohnerachtet todt sein; 2) sie kann
falsch und ungemein lebendig sein; das Leben der Erkenntniss ist also kein
Kennzeichen ihrer Wahrheit; 3) eine gelehrte Erkenntniss kann sehr weitläuftig,
gross, richtig, gewiss, und deutlich, und dem ohnerachtet todt sein §. 232.
Das Leben ist demnach noch eine Vollkommenheit der gelehrten Erkenntniss,
welche von allen übrigen Vollkommenheiten derselben verschieden ist.

§. 235.

Das Praktische in der gelehrten Erkenntniss wird nur durch das
Leben würklich praktisch. Die lebendige vernünftige Erkenntniss ist demnach
vollkommener als die todte, und wenn sie beide sonst auch mit allen übrigen
logischen Vollkommenheiten im gleichen Grade sollten ausgeziert sein.

 
[66]
 

§. 236.

Wenn die vernünftige und gelehrte Erkenntniss vernünftig
rühren soll, so muss sie 1) eine anschauende Erkenntniss sein. Eine Erkenntniss
ist anschauend (cognitio intuitiva), wenn wir uns den Gegenstand stärker
vorstellen, als die Zeichen desselben; stellen wir uns aber diese stärker vor
als jenen, so ist die Erkenntniss symbolisch (cognitio symbolica). Alle gelehrte
Erkenntniss ist entweder anschauend oder symbolisch. Wenn man die
Aufmerksamkeit, das Nachdenken und die Überlegung vornehmlich mit dem
Gegenstande der gelehrten Erkenntniss beschäftiget, so wird sie eine deutliche
anschauende Erkenntniss.

§. 237.

Das Vergnügen (voluptas) ist die anschauende Erkenntniss der
Vollkommenheit, und die anschauende Erkenntniss der Unvollkommenheit ist
das Missvergnügen (taedium). Eine Erkenntniss verursacht uns eine Gleichgültigkeit
(indifferentia), wenn sie uns weder ein Vergnügen noch ein Missvergnügen
verursacht. Wenn also die vernünftige und gelehrte Erkenntniss
vernünftig rühren soll, so muss sie 2) Vergnügen und Missvergnügen erwecken;
a) über sich selbst muss sie uns lauter Vergnügen erwecken: weil sie vermöge
aller Regeln der Vernunftlehre ungemein vollkommen sein muss, und das Gefühl
ihrer Vollkommenheit uns antreiben muss, sie zu begehren und zu erlangen.
Wem es also gleichviel ist, ob er eine Sache gelehrt erkennt oder nicht, dessen
gelehrte Erkenntniss ist nicht lebendig.

§. 238.

Die vernünftige und gelehrte Erkenntniss muss, wenn sie vernünftig
rühren soll, b) über den Gegenstand entweder Vergnügen, oder Verdruss,
oder beides zugleich erwecken, indem sie uns denselben entweder als gut, oder
als böse, oder als beides zugleich auf eine anschauende Art vorstellt. Alsdenn
enthält die gelehrte Erkenntniss Bewegungsgründe §. 232, nicht nur sie selbst
zu
 
[67]
  begehren §. 237, sondern auch ihren Gegenstand entweder zu begehren
oder zu verabscheuen.

§. 239.

Wenn die vernünftige und gelehrte Erkenntniss uns vernünftig
rühren soll, so muss sie 3) uns auf eine gelehrte Art vorstellen, dass alles das
Gute und alles das Böse, weswegen sie uns vergnügt oder missvergnügt macht,
in unsern folgenden Zuständen würklich sein werde.

§. 240.

Wenn die vernünftige und gelehrte Erkenntniss uns vernünftig
rühren soll, so muss sie uns 4) auf eine gelehrte Art vorstellen, dass es in unserer
Gewalt stehe, oder stehen könne, das Gute würklich zu machen, weswegen sie
uns vergnügt, und das Böse zu verhindern, weswegen sie uns ein Missvergnügen
verursacht.

§. 241.

Wenn die gelehrte Erkenntniss recht lebendig sein soll, so muss
sie 1) kein Gleichgewicht verursachen, oder dasselbe doch balde heben. Wir
stehen nämlich in einem Gleichgewichte (aequilibrium), wenn die Bewegungsgründe
von beiden Seiten gleich und einander entgegen gesetzt sind; 2) das
sinnliche Leben der undeutlichen Erkenntniss überwiegen, oder dieses muss ihr
gar nicht widersprechen.

§. 242.

Wenn die vernünftige und gelehrte Erkenntniss recht lebendig
ist, so verursacht sie einen kräftigen und dauerhaften Entschluss, welcher durch
die That ausbricht, indem wir würklich so handeln, wie es der gelehrten Erkenntniss
gemäss ist.

§. 243.

Das ächte Leben der gelehrten Erkenntniss (vita vera cognitionis
eruditae) besteht in dem wahren Gebrauche derselben (usus verus cognitionis
eruditae), wenn wir alle wahre Nutzen derselben würken, oder uns in
der That durch sie vollkommener machen. Machen wir uns aber dadurch unvollkommener
oder nur dem Scheine nach vollkommener, so besteht darin ihr
Missbrauch (abusus cognitionis eruditae), und der ist das unächte
 
[68]
  Leben
derselben (vita cognitionis eruditae spuria). Eine vollkommene gelehrte Erkenntniss
muss auf eine ächte Art lebendig sein.

§. 244.

Je mehrere und grössere Bewegungsgründe eine gelehrte Erkenntniss
enthält, je besser sie erkannt werden, und je mehrere und grössere Begierden
und Verabscheuungen durch sie erweckt werden, desto lebendiger ist
die gelehrte Erkenntniss.

§. 245.

Man muss nicht schliessen: 1) die gelehrte Erkenntniss, die mich
nicht rührt, rührt auch andere nicht; 2) die mich rührt, rührt auch andere.

§. 246.

Der Mangel des Lebens der gelehrten Erkenntniss entsteht aus
Unwissenheit §. 236-240. 41. Nach dem nun dieselbe entweder nothwendig oder
zufällig, lobenswürdig oder tadelnswürdig ist §. 43. 50. 51, nach dem ist auch
der Mangel des Lebens so beschaffen. Es kann nicht verlangt werden, dass
alle gelehrte Erkenntniss beständig und im gleichen Grade rühre.

§. 247.

Je grösser und praktischer die Gegenstände sind, desto stärker
muss ihre gelehrte Erkenntniss rühren; je kleiner und weniger praktisch sie
aber sind, desto weniger muss ihre gelehrte Erkenntniss rühren §. 70. Alle
unsere gelehrte Erkenntniss muss uns in gewisser Absicht rühren §. 237.

§. 248.

Ein jeder muss sich zu seiner Hauptwissenschaft denjenigen
Theil der Gelehrsamkeit erwählen, welcher seiner Natur nach der allerlebendigsten
gelehrten Erkenntniss fähig ist; und ein jeder muss seine Hauptwissenschaft
am lebendigsten zu erkennen suchen §. 63. 64.


 
[69]
  Der achte Abschnitt,
von den gelehrten Begriffen.


§. 249.

Ein Begriff (conceptus) ist eine Vorstellung einer Sache in
einem Dinge, welches das Vermögen zu denken besitzt. Es sind demnach alle
unsere Vorstellungen Begriffe.

§. 250.

So viele verschiedene Arten der Erkenntniss es giebt, so viele
verschiedene Arten der Begriffe giebt es auch §. 249. Folglich sind die Begriffe
entweder gelehrte Begriffe (conceptus eruditus, logicus), oder nicht §. 21.
Jener ist ein deutlicher Begriff, welcher in einem merklichen Grade logisch
vollkommen ist. Ein ungelehrter Begriff (conceptus ineruditus) ist ein Begriff
der keinen merklichen Grad der logischen Vollkommenheit besitzt. Und alsdenn
ist er entweder ein schöner Begriff, oder nicht §. 19. Jener ist ein ästhetischer
Begriff (conceptus pulcher, aestheticus), dieser aber ein gemeiner (conceptus
vulgaris). Ein gelehrter Begriff ist entweder zugleich schön, oder nicht. Der
letzte ist ein bloss gelehrter Begriff (conceptus mere eruditus). Der erste
aber ein Begriff der nicht bloss gelehrt ist (conceptus non mere eruditus).
Und dergleichen sind die besten Begriffe §. 32.

§. 251.

Ein gelehrter Begriff muss den Regeln der Weitläuftigkeit, der
Grösse, der Wahrheit, der Klarheit, der Gewissheit, und der praktischen
Beschaffenheit der gelehrten Erkenntniss aufs möglichste gemäss sein §. 41-248.

§. 252.

Der Gegenstand der gelehrten Begriffe ist durch die Natur derselben
nicht bestimmt. Von einem jedweden möglichen Dinge ist ein gelehrter
Begriff möglich §. 250.

§. 253.

Ein jeder muss nur vornehmlich diejenigen Begriffe nach der
Vernunftlehre verbessern, die zu seiner Hauptwissenschaft gehören, §. 64, und
in einem jedweden
 
[70]
  Lehrgebäude vornehmlich die Hauptbegriffe. Es ist
nicht möglich und nöthig, alle unsere Begriffe nach der Vernunftlehre zu verbessern,
und eben so wenig alle unsere gelehrten Begriffe in einem gleichen
Grade zu verbessern. Je grösser ein Begriff ist, desto mehr muss man ihn
verbessern §. 70.

§. 254.

Wir haben nur drei Wege zu Begriffen zu gelangen: die Erfahrung,
die Abstraction, und die willkürliche Verbindung.

§. 255.

Alle unsere Empfindungen sind Begriffe §. 249. 201. Ein Erfahrungsbegriff
(conceptus per experientiam formatus) ist ein Begriff, den wir
durch die Erfahrung erlangen. Z.E. die Begriffe von den Veränderungen
unserer Seele, unseres Körpers und anderer Dinge ausser uns. Einen Erfahrungsbegriff
erlangen wir entweder durch die unmittelbare, oder durch die
mittelbare Erfahrung. §. 201.

§. 256.

Durch die unmittelbare Erfahrung können wir nur Begriffe von
würklichen Dingen, in so ferne sie uns gegenwärtig sind, erlangen, und zwar
enthalten diese Begriffe nur bejahende und veränderliche Merkmale. Die mittelbaren
Erfahrungsbegriffe können uns auch andere Gegenstände, und was anders
an denselben vorstellen. §. 201.

§. 257.

Weil die Erfahrungsbegriffe nur gelehrt sein können, in so ferne
sie deutlich sind §. 250, so muss man sie sorgfältig zergliedern §. 142. Und
diese Arbeit wird ofte befördert 1) durch den Gebrauch der Waffen der Sinne,
z.E. der Vergrösserungsgläser. 2) Durch die Anatomie der körperlichen Dinge,
wodurch man die Theile und die Art ihrer Zusammensetzung erkennet. Und
dadurch erlangt man den Begriff von dem Wesen eines körperlichen Dinges.
3) Durch die Aufmerksamkeit auf dasjenige, woraus eine Sache entsteht und
wie sie entsteht, wenn man bei dem Entstehen derselben zugegen ist, und
 
[71]
 
daraus erlangt man auch Begriffe von dem Wesen. 4) Wenn man den Gegenstand
ofte in verschiedenen Umständen zu erfahren sucht: denn alsdenn entdeckt
man die besten Merkmale leichter, wodurch der Erfahrungsbegriff ausführlich
wird.

§. 258.

Alle Erfahrungsbegriffe sind wahr und gewiss §. 202, und sie
stellen uns die Gegenstände so vor, als sie beschaffen sind, weil wir sonst
Einwohner einer andern Welt sein würden. Wenn wir aber einen Begriff für
einen Erfahrungsbegriff halten, der es nicht ist, oder etwas für einen Gegenstand
des Erfahrungsbegriffs, welcher es nicht ist: so scheint es zwar, als wenn
der Erfahrungsbegriff falsch wäre, allein der Fehler steckt in einem andern
Begriffe.

§. 259.

Wir machen einen Begriff durch die logische Absonderung
(conceptus per abstractionem logicam formatus), wenn wir übereinstimmende
Begriffe von verschiedenen Dingen gegen einander halten, und die Merkmale,
die sie mit einander gemein haben, allein uns deutlich vorstellen. Zu dem
Ende 1) nehme man einige Begriffe, die verschieden sind, und ähnlich zu
gleicher Zeit. Z.E. ein vernünftiges Thier und ein unvernünftiges Thier;
2) einen jeden derselben zergliedere man §. 142; 3) die in ihnen verschiedenen
Merkmale abstrahire man, oder man verdunkele sie; 4) die übrigen Merkmale
fasse man in einen Begriff zusammen, z.E. ein Thier.

§. 260.

Alle Begriffe, welche durch die logische Absonderung gemacht
werden, sind abgesonderte oder abstracte Begriffe (conceptus abstractus,
notio). Begriffe, die nicht abgesondert sind, heissen einzelne Begriffe (conceptus
singularis, idea). Z.E. Leibniz. Alle unmittelbare Erfahrungsbegriffe sind
einzelne Begriffe §. 255. 201. Was als ein Merkmal des andern vorgestellt
wird, ist in ihm enthalten und kommt ihm zu (in altero contineri, ipsi convenire).
Der abgesonderte Begriff ist
 
[72]
  also in allen denen Begriffen enthalten,
von denen er abgesondert werden kann §. 259. Der abgesonderte
Begriff enthält diejenigen unter sich, von denen er abgesondert worden,
und diese werden unter ihm enthalten (conceptus alios sub se continet, et
conceptus$f sub alio continentur seu ad eum referuntur).

§. 261.

Ein abgesonderter Begriff wird ein höherer Begriff (conceptus
superior) genannt, in so ferne er andere unter sich enthält; in so ferne aber
ein Begriff unter einem andern enthalten ist, in so ferne wird er ein niedriger
Begriff genannt (conceptus inferior). Der niedrigere Begriff enthält allemal
Merkmale, welche in dem höhern nicht enthalten sind §. 259, und die werden
der Unterschied der niedrigern Begriffe genannt (differentia conceptus$b inferioris).
Ein abgesonderter Begriff, welcher nur einzelne Begriffe unter sich begreift,
heisst eine Art (species), welcher aber auch abgesonderte Begriffe unter
sich enthält, wird eine Gattung (genus) genannt.

§. 262.

Der Inbegriff aller Begriffe, die unter einem abgesonderten Begriffe
enthalten sind, ist der Umfang desselben (sphaera notionis). Je abstracter
und höher also ein Begriff ist, das ist: je öfter die logische Absonderung
bei ihm wiederholt ist, desto grösser ist sein Umfang. Ein abgesonderter
Begriff kommt entweder mehrern Begriffen zu, als denenjenigen, die
unter einem andern enthalten sind, oder wenigern, oder keins von beiden.
In dem ersten Falle ist er ein weiterer Begriff als der andere (conceptus latior),
in dem andern, ein engerer (conceptus angustior), und in dem dritten sind es
Wechselbegriffe (conceptus$f reciproci), von denen keiner weiter ist als der
andere. In so ferne ein abgesonderter Begriff allen zukommt, die unter einem
andern enthalten sind, in so ferne heisst er ein allgemeiner Begriff (conceptus
universalis), in so ferne er aber nicht allen denselben zukommt, ein besonderer
(conceptus particularis). Ein abgesonderter
 
[73]
  Begriff kann ein höherer und
niedrigerer, weiterer und engerer, allgemeiner und besonderer Begriff in verschiedener
Absicht genannt werden. Ein jeder abgesonderter Begriff ist in gewisser
Absicht allgemein. Die abstracte gelehrte Erkenntniss wird daher
die allgemeine gelehrte Erkenntniss genannt (cognitio erudita universalis).

§. 263.

Bei der allgemeinen Erkenntniss kann man 1) schliessen: Was
den höhern Begriffen zukommt oder widerspricht, das kommt +W kommt zu -W auch zu, oder
widerspricht allen niedrigern Begriffen, die unter ihnen enthalten sind. §. 260.
2) Man kann nicht schliessen: was einem niedrigern Begriffe zukommt oder
widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht andern niedrigern Begriffen,
welche mit jenem zu einem höhern Begriffe gehören. §. 261. 3) Man kann
schliessen: was allen und jedweden niedrigern Begriffen zukommt oder widerspricht,
das kommt auch zu oder widerspricht ihrem höhern Begriffe §. 259. 261.

§. 264.

Die abstracte Erkenntniss befördert 1) die Deutlichkeit und Vollständigkeit
der Erkenntniss §. 143. Denn je abstracter sie ist, desto weniger
enthält sie in sich §. 259, und desto leichter kann sie also ohne viele Verwirrung
durchdacht werden; 2) die Weitläuftigkeit der Erkenntniss §. 263.
25. 3) Die Gründlichkeit der Erkenntniss §. 263. 163. 4) Den Nutzen und
den Gebrauch der gelehrten Erkenntniss §. 39.

§. 265.

Ein abgesonderter Begriff enthält nichts, was nicht in den niedrigern
Begriffen enthalten ist §. 259, sind diese also wahr, so kann er unmöglich
falsch sein. Wenn man also einen abgesonderten Begriff beweisen will,
so darf man nur zeigen, dass er von wahren Begriffen abgesondert worden.
Wenn man von einem falschen Begriffe die Merkmale absondert, welche den
übrigen widersprechen, so bekommt man einen wahren Begriff §. 95.

§. 266.

Ein Begriff wird durch die gelehrte willkürliche Verbindung
gemacht (combinatio conceptuum
 
[74]
  arbitraria, logica, erudita, philosophica,
rationalis), wenn man zwei Begriffe als Einen sich vorstellt, von denen man
auf eine gelehrte Art erkannt, dass sie einander nicht zuwider sind. Zu dem
Ende nehme man 1) einen abgesonderten Begriff, man mag ihn nun entweder
schon längst abgesondert haben, oder jetzo erst absondern; 2) einen Unterschied eines niedrigern Begriffs, von dem wir entweder schon überzeugt sind, oder
nachher erst überzeugt werden, dass er dem abgesonderten Begriffe nicht widerspreche.
Dieser Unterschied ist entweder durch die Absonderung von dem
abstracten Begriffe weggelassen worden, oder nicht. In dem ersten Falle bekommen
wir einen niedrigern Begriff, von welchem wir den abstracten abgesondert
haben; in dem andern aber einen neuen niedrigern Begriff; 3) man
stelle sich den abstracten Begriff, mit diesem Unterschiede zusammen genommen,
als Einen Begriff vor.

§. 267.

Ein gelehrter Begriff, welcher durch die willkürliche Verbindung
gemacht worden, muss bewiesen oder widerlegt werden. Beides geschieht 1) aus
der Erfahrung, wenn man zeigt, dass ihre Gegenstände entweder würklich sind,
oder nicht würklich sind; 2) aus der Vernunft, entweder mittelbarer oder
unmittelbarer Weise §. 196. Z.E. wenn man entweder zeigt, dass, und
wie ihre Gegenstände würklich werden können, oder dass sie nicht würklich
werden können.

§. 268.

Eine Erklärung, oder eine logische Erklärung (definitio, definitio
logica) ist ein bestimmter Begriff von einer Sache. Der Gegenstand der
Erklärung ist die erklärte Sache, oder der erklärte Begriff (definitum) §. 151.

§. 269.

Eine Beschreibung (descriptio) ist ein unbestimmter Begriff,
und sie ist entweder eine ausführliche oder eine unausführliche Beschreibung
§. 151 (descriptio completa, vel incompleta). Keine Beschreibung ist eine Erklärung,
und muss noch viel weniger dafür
 
[75]
  gehalten werden §. 268.
Unterdessen können sie sehr vollkommene, nützliche und nöthige gelehrte Begriffe
sein.

§. 270.

Die Erklärungen müssen sechs Regeln gemäss sein: 1) Eine Erklärung
muss den Regeln der Weitläuftigkeit der gelehrten Erkenntniss
gemäss sein. §. 41-65. Folglich muss sie ein ausführlicher Begriff sein.
§. 268. 151. 55. Folglich a) muss sie nicht weniger Merkmale in sich enthalten,
als zu einem ausführlichen Begriffe erfodert werden; auch nicht b) mehrere,
als nöthig sind. §. 269. Mithin muss die Erklärung, unter allen möglichen
ausführlichen Begriffen von einer Sache, der allerkürzeste sein, das ist: so wenig
Merkmale enthalten, als es die Ausführlichkeit erlaubt. c) Sie muss nicht
weiter sein als die erklärte Sache §. 262, folglich müssen ihre Merkmale zusammen genommen,
keinem andern Dinge, als ganz allein der erklärten Sache,
zukommen. d) Sie muss nicht enger sein als die erklärte Sache. §. 262. Folglich
sind der erklärte Begriff und die Erklärung Wechselbegriffe §. 262.

§. 271.

Wenn man in einem Lehrgebäude die höhern Begriffe eher erklärt
als die niedrigern, so kann man, wenn man einen Begriff erklären soll,
der nicht der höchste ist, die Erklärung desselben aus dem nächsten höhern
Begriffe und aus dem Unterschiede zusammensetzen §. 261. Dadurch werden
die Erklärungen kurz und ausführlich, die Erklärungen hängen systematischer
zusammen, sie sind der Natur der niedrigern Begriffe gemässer, und sie bahnen
einen leichtern Weg zu den Demonstrationen.

§. 272.

Weil der erklärte Begriff und die Erklärung Wechselbegriffe sind
§. 270, so kann man schliessen: 1) Wem der erklärte Begriff zukommt, dem
kommt auch die Erklärung zu; 2) wem die Erklärung zukommt, dem kommt
auch der erklärte Begriff zu; 3) wem der erklärte Begriff nicht zukommt, dem
kommt auch die Erklärung nicht zu;
 
[76]
  4) wem die Erklärung nicht zukommt,
dem kommt auch der erklärte Begriff nicht zu §. 262.

§. 273.

2) Eine Erklärung muss den Regeln der Grösse der gelehrten
Erkenntniss gemäss sein. §. 66-91. Sie muss also aus den grössten, wichtigsten
und fruchtbarsten Merkmalen bestehen, aus dem Wesen, wesentlichen Stücken
und Eigenschaften, und so ofte es möglich, aus bejahenden Merkmalen.
§. 115-121. Es ist also ein Fehler a) wenn eine Erklärung aus zufälligen Beschaffenheiten
besteht: alsdenn würde sie nicht einmal ein ausführlicher Begriff
sein. §. 121. b) Wenn sie aus Verhältnissen besteht: alsdenn wäre sie auch
kein ausführlicher Begriff. §. 121. c) Wenn sie ohne Noth aus verneinenden
Merkmalen besteht. Wenn man in einem Lehrgebäude einander entgegen gesetzte
Begriffe erklären soll, so muss aus den Erklärungen die Entgegensetzung
erhellen, und also muss einer von beiden verneinend erklärt werden.

§. 274.

3) Eine Erklärung muss den Regeln der Wahrheit der gelehrten
Erkenntniss gemäss sein. §. 92-114. Die Wahrheit der Erklärungen
erfodert noch überdies, dass sie allen Regeln gemäss sein müssen, die man bei
den Erklärungen beobachten muss. Eine regelmässige Erklärung (definitio
legitima) ist allen Regeln der Erklärungen gemäss, welche aber einer oder
mehrern dieser Regeln zuwider ist, ist eine regellose Erklärung (definitio
illegitima).

§. 275.

4) Eine Erklärung muss allen Regeln der Deutlichkeit der
gelehrten Erkenntniss gemäss sein. §. 115-155. Doch kann sie ein unvollständiger
Begriff sein. §. 147. Da nun alle ihre Merkmale klar sein müssen
§. 137, so kann man dieselben entweder theils aus dem gemeinen Leben, theils
aus andern Lehrgebäuden als klar voraus setzen; oder man muss sie erst erklären,
ehe man sie als Merkmale in die Erklärung setzt §. 268.

 
[77]
 

§. 276.

Wenn eine Erklärung schlechterdings dunkel ist, oder
schlechterdings dunkele Merkmale hat, so ist sie gar keine Erklärung §. 275. 125.
Ist sie aber nur beziehungsweise dunkel, oder enthält sie Merkmale, die nur beziehungsweise
dunkel sind, so kann sie zwar eine gute Erklärung sein, aber
nicht für denjenigen, dem sie dunkel ist §. 125.

§. 277.

Der erklärte Begriff ist nicht klärer, als er selbst ist. Damit also
die Erklärung nicht dunkel und undeutlich werde §. 275, muss man sich hüten,
damit der erklärte Begriff weder als ein unmittelbares noch als ein mittelbares
Merkmal in seine eigene Erklärung gesetzt werde §. 116. Wenn das letzte
geschieht, so nennt man diesen Fehler die Wiederkehr im Erklären (circulus
in definiendo).

§. 278.

5) Eine Erklärung muss den Regeln der Gewissheit der gelehrten
Erkenntniss gemäss sein §. 155-215. Folglich muss man bei einer
jedweden Erklärung beweisen, a) dass sie entweder ein richtiger Erfahrungsbegriff
sei §. 258, oder ein richtiger abgesonderter §. 265, oder ein richtiger
willkürlicher Begriff §. 267, b) dass sie regelmässig sei §. 274.

§. 279.

6) Eine Erklärung muss den Regeln der praktischen gelehrten
Erkenntniss gemäss sein §. 216-248. Folglich muss man die wichtigsten und
fruchtbarsten Merkmale zu einer Erklärung erwählen, aus welchen aufs leichteste
das Nützlichste und Brauchbarste erwiesen werden kann, was wir von der erklärten
Sache untersuchen müssen, um dieselbe auf eine praktische Art
zu erkennen.

§. 280.

Eine Erklärung stellt entweder das Wesen der erklärten Sache vor,
oder nicht §. 273. Jene ist eine Sacherklärung (definitio realis, genetica),
diese aber eine Worterklärung (definitio nominalis). Eine Worterklärung
enthält entweder die wesentlichen Stücke der
 
[78]
  erklärten Sache, oder ihre Eigenschaften
§. 273. Jene ist eine wesentliche Worterklärung (definitio essentialis),
diese aber eine zufällige Worterklärung (definitio accidentalis).

§. 281.

Wenn man eine Sacherklärung machen will, so 1) suche man
das Wesen der erklärten Sache zu erkennen, entweder durch die mittelbare
Erfahrung, z.E. §. 257, oder durch die Absonderung, oder durch einen Beweis
aus der Vernunft, oder durch die willkürliche Verbindung; 2) man mache von
dem Wesen einen bestimmten Begriff §. 280.

§. 282.

Wenn man eine Worterklärung machen will, so suche man
1) die wesentlichen Stücke oder Eigenschaften der zu erklärenden Sache zu erkennen,
entweder aus der mittelbaren Erfahrung §. 256, oder durch einen
Beweis aus der Vernunft, oder aus dem Wesen, wenn es uns schon bekannt
ist. 2) Man suche diejenigen wesentlichen Stücke und Eigenschaften, und so
viele derselben aus, als zu einer vollkommenen regelmässigen Erklärung nöthig
sind §. 270-279.

§. 283.

Weil die zu erklärenden Sachen viele wesentliche Stücke und
Eigenschaften haben können, so kann man nach Wohlgefallen diejenigen aussuchen,
die eine Worterklärung ausmachen §. 282; wenn man nur übrigens
die Regeln der Erklärungen beobachtet. Und in so ferne sind die Worterklärungen
willkürlich.

§. 284.

Gleichwie wir nicht alle Begriffe erklären können §. 139. 150.
268, so dürfen wir auch nicht alle Begriffe erklären, sondern nur diejenigen,
die in den Horizont unserer gelehrten Erkenntniss gehören, und ohne deren
Erklärung unsere gelehrte Erkenntniss nicht den erfoderten Grad ihrer Vollkommenheit
erreichen könnte. Die Ausschweifung im Erklären wird die Erklärungssucht
genannt (pruritus definiendi).
   


   

Meyer's Vernunftlehre Teil 2