Kant: Briefwechsel, Brief 723, Von Gustav v. Stårck. |
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| Von Gustav v. Stårck. | |||||||
| 27. Nov. 1796. | |||||||
| Wohlgebohrner Hochgelahrter Herr, | |||||||
| Hochzuverehrender Herr Professor! | |||||||
| Ew Wohlgebohrnen höchstgeehrteste Zuschrifft vom 9ten d M. gereicht | |||||||
| mir zum höchsten Vergnügen und ich versäume nicht den allerverbindlichsten | |||||||
| schuldigsten Danck dafür abzustatten. | |||||||
| Daß ich in dem Ew Wohlgebohrnen unterm 14ten Octob. d. I. ganz | |||||||
| ergebenst vorgelegten mathematischen Aufsatze zu Anfange weitlaüfftiger | |||||||
| war als es gewis nöthig seyn mochte und daß ferner der Schluß ganz | |||||||
| entbehrlich zu seyn scheint, ist wohl die Folge deßen: daß nehmlich | |||||||
| das militairische Fach mir nie Zeit und Gelegenheit ließ, das | |||||||
| Wißen Anderer in der Mathematick zu prüfen und mich mehr daran | |||||||
| zu üben als es in der Schule des würdigsten Officiers des HErrn | |||||||
| Obrist=Leutnant v Rauch vormals in Königsberg jetzt in Potsdam | |||||||
| grade Anwendung auf eben dieses Fach blieb. Dies zeigt sich um | |||||||
| so mehr, da ich auch nur durch mir selbst gedachte geometrische Construction | |||||||
| zu beweisen vermochte. | |||||||
| Wenn übrigens ein Misverstand über das object: quaest: entstanden | |||||||
| ist, so rührt dies vielleicht 1stens daher, daß der größere Theil | |||||||
| etwa in der Meynung steht: | |||||||
| als gebe das Verhältniß der Zahlen 3, 4, 5, unter allen | |||||||
| Zahlen überhaupt nur ein razionales Verhältniß der drey | |||||||
| Seiten eines rechtwincklichten Dreyecks. | |||||||
| 2tens aber und hauptsächlich mochten Ew Wohlgebohrne wohl deshalb | |||||||
| meinerseits misverstanden seyn: | |||||||
| weil - wenn man jenes beßer einsieht - es auch gar leicht | |||||||
| zu begreiffen und keinesweges Geheimniß ist: | |||||||
| was es macht, daß das razionale Verhältniß der drey | |||||||
| Seiten eines rechtwincklichten Dreyecks (unter einander unmittelbar | |||||||
| folgenden Zahlen) nur das, der Zahlen 3, 4, 5, seyn kann. | |||||||
| denn: Ein Cathetus (z. B. der kleinere) steht mit der differenz | |||||||
| des andern Catheten und der GLhypothenusa + in einem geometrischen | |||||||
| Verhältniße, unter welchen ein ähnlicher rechtwincklichter | |||||||
| triangel nur statt findet. | |||||||
| Wenn nun in einem triangel von razionalem Verhältniße | |||||||
| (wie |
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| und kleinere Cathetus aber beliebig verändert wird (z. B |
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| so muß ein anderer jenem triangel nicht mehr ähnlicher, rechtwincklichter | |||||||
| triangel von razionalem Verhältniße entstehn, | |||||||
| und es müßen daher auch die arithmetischen Verhältniße | |||||||
| der drey Seiten nie mehr als in einem einzigen Falle sich ähnlicher | |||||||
| Dreyecke eine arithmetische Progression geben können. | |||||||
| Dieser einzige Fall, wenn er auch nicht bekannt wäre müßte | |||||||
| sogleich wie hier folgend in die Augen fallen. | |||||||
| Denn man hat (nach beygefügter Figur |
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| die arithmetische Progression ab. ac. bc | |||||||
| also ab + bc = 2ac | |||||||
| Gesetzt gc (als der exponent) sey = 1., | |||||||
| so ist cd = 2 | |||||||
| Wenn nun die differenz der quadrate | |||||||
| dividirt mit der differenz gleich ist der | |||||||
| Summe der Größen, | |||||||
| so ist ac X/2 = ac x 2 und also ac X/4 = ac | |||||||
| mithin ac = 4, ab = 3, bc = 5. | |||||||
| Von Ew Wohlgebohrnen erfahre ich zuerst, daß der Herr Professor | |||||||
| Reimarus (den ich nicht die Ehre habe zu kennen) in seinen | |||||||
| Behauptungen gewißermaaßen mit mir übereinkomme, da nun | |||||||
| aber eben dieselben auch jetzt nicht länger als Wiederspruch der Ihrigen | |||||||
| anzusehn sind, so erwarte ich gehorsamst bittend nur Dero hohe | |||||||
| besondere Zurechtweisung: | |||||||
| in wie weit meine hier mit verpflochtene Beantwortung der eigentlichen | |||||||
| Haupt=Frage gegründet und annehmlich ist. | |||||||
| Um Ew Wohlgebohrnen nun aber auch die Gelegenheit zu geben, | |||||||
| daß Dieselben etwa Dero gütigstes Urtheil über mich zu sprechen geneigt | |||||||
| werden, erdreiste ich mich das Resultat einer mir höchst angenehm | |||||||
| gewesenen Unterhaltung beyliegend größtentheils in Wiederholungen | |||||||
| vorzulegen. | |||||||
| Uebrigens aber läßt Dero Güte und Gerechtigkeits=Liebe mich hoffen, | |||||||
| daß Dieselben meine Zudränglichkeit verzeyhen, indem ich gewiß in der | |||||||
| allervollkommensten Hochachtung zu verharren die Ehre habe | |||||||
| Ew Wohlgebohrnen | |||||||
| ganz gehorsamster Diener | |||||||
| Culm den 27ten November 1796. | v. Stårck 1st. | ||||||
| [Beilage.] | |||||||
| Beantwortung | |||||||
| der von HErrn Profeßor Kant entworffenen Frage: | |||||||
| - Was macht daß das razionale Verhältni | |||||||
| der drey Seiten eines rechtwincklichten | |||||||
| Dreyecks nur das der Zahlen | |||||||
| 3, 4, 5 seyn kann? - | |||||||
| Berlinsche Monaths Schrifft May 1796. | |||||||
| Wenn ein Cathetus und die differenz des andern Catheten und der hypothenusa | |||||||
| - welche wie bekannt kleiner seyn muß als jener Cathetus - beliebig | |||||||
| gewählt und, so findet man jederzeit ein anderes razionales Verhältniß der Seiten | |||||||
| als das der Zahlen 3, 4, 5. | |||||||
| Denn das quadrat der gegebenen Catheten oder die differenz der quadrate | |||||||
| der beyden andern Seiten mit der gegebenen differenz derselben dividirt giebt wie | |||||||
| bekannt die Summe der beyden andern Seiten und man findet demnach jede | |||||||
| Seite aus gedachter Summe und differenz derselben. Es giebt also unendlich | |||||||
| viel verschiedene razionale Verhältniße der drey Seiten eines rechtwincklichten | |||||||
| Dreyecks! | |||||||
| Daß dieses Verhältnis aber unter denen einander | |||||||
| in natürlicher Ordnung unmittelbar folgenden | |||||||
| Zahlen nur allein das der Zahlen 3, 4, 5 | |||||||
| seyn kann ist klar: | |||||||
| Denn man hat nach beygefügter Figur die | |||||||
| arithmetische Progression ab. ac. bc also ab + bc | |||||||
| = 2 ac | |||||||
| ferner ist gc = 1 und cd = 2 | |||||||
| Wenn nun die differenz der quadrate dividirt | |||||||
| mit der differenz gleich ist der Summe der | |||||||
| Größen, so ist ac X/2 = ac x 2 und also ac X/4 = ac | |||||||
| mithin ac = 4, ab = 3 und bc = 5. | |||||||
| Culm den 27ten November 1796. | v. Stårck | ||||||
| Staabs Capitaine des | |||||||
| Infanterie Regts. v. Mosch | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 121 ] [ Brief 722 ] [ Brief 723a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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