Kant: Briefwechsel, Brief 656, An Friedrich Schiller.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Friedrich Schiller.      
           
    Koenigsberg den 3Osten Märtz      
    1795      
           
  Hochzuverehrender Herr      
           
  Die Bekandtschaft und das litterärische Verkehr mit einem Gelehrten      
  und talentvollen Mann, wie Sie Theuerster Freund, anzutreten      
           
  und zu cultiviren kann mir nicht anders als sehr erwünscht seyn.      
  Ihr im vorigen Sommer mitgetheilter Plan zu einer Zeitschrifft ist      
  mir, wie auch nur kürzlich die zwey erste Monatsstücke, richtig zu      
  Handen gekommen. - Die Briefe über die ästhetische Menschenerziehung      
  finde ich vortrefflich und werde sie studiren, um Ihnen meine Gedanken      
  hierüber dereinst mittheilen zu können. - Die im zweyten M. Stück      
  enthaltene Abhandlung, über den Geschlechtsunterschied in der Organischen      
  Natur kann ich mir, so ein guter Kopf mir auch der Verfasser      
  zu seyn scheint, doch nicht enträtzeln. Einmal hatte die A. L. Z. sich      
  über einen Gedanken in den Briefen des Hrn. Hube aus Thorn (die      
  Naturlehre betreffend), von einer ähnlichen durch die ganze Natur      
  gehenden Verwandtschaft, mit scharfem Tadel (als über Schwärmerey)      
  aufgehalten. Etwas dergleichen läuft einem zwar bisweilen durch den      
  Kopf; aber man weiß nichts daraus zu machen. So ist mir nämlich      
  die Natureinrichtung: daß alle Besaamung in beyden organischen      
  Reichen zwey Geschlechter bedarf, um ihre Art fortzupflanzen, jederzeit      
  als erstaunlich und wie ein Abgrund des Denkens für die menschliche      
  Vernunft aufgefallen, weil man doch die Vorsehung hiebey nicht, als      
  ob sie diese Ordnung gleichsam spielend, der Abwechselung halber, beliebt      
  habe, annehmen wird, sondern Ursache hat zu glauben, daß sie      
  nicht anders möglich sey; welches eine Aussicht ins Unabsehliche      
  eröfnet, woraus man aber schlechterdings nichts machen kann, so wenig      
  wie aus dem, was Miltons Engel dem Adam von der Schöpfung      
  erzählt: "Männliches Licht entferneter Sonnen vermischt sich mit weiblichem,      
  zu unbekannten Endzwecken" - Ich besorge daß es Ihrer      
  M[onats] S[chrift] Abbruch thun dürfte, daß die Verfasser darinn ihre      
  Nahmen nicht unterzeichnen, und sich dadurch für ihre gewagte Meynungen      
  verandtwortlich machen; denn dieser Umstand interessirt das lesende      
  Publikum gar sehr.      
           
  Für dies Geschenck sage ich also meinen ergebensten Danck; was      
  aber meinen Gringen Beytrag zu diesem Ihren Geschenk fürs Publikum      
  betrifft, so muß ich mir einen etwas langen Aufschub bitten; weil,      
  da Staats= und Religionsmaterien jetzt einer gewissen Handelssperre      
  unterworfen sind, es aber ausser diesen kaum noch, wenigstens in diesem      
  Zeitpunkt, andere die große Lesewelt interessirende Artikel giebt, man      
  diesen Wetterwechsel noch eine Zeitlang beobachten muß, um sich klüglich      
  in die Zeit zu schicken.      
           
           
  Herren Prof: Fichte bitte ich ergebenst meinen Gruß und meinen      
  Dank für die verschiedenen mir zugeschickten Werke von seiner Hand      
  abzustatten. Ich würde dieses selbst gethan haben, wenn mich nicht,      
  bey der Mannigfaltigkeit der noch auf mir liegenden Arbeiten, die      
  Ungemächlichkeit des Altwerdens drückte, welche denn doch nichts mehr      
  als meinen Aufschub rechtfertigen soll. - Den Hrn. Schütz und      
  Hufeland bitte gleichfalls gelegentlich meine Empfehlung zu machen.      
           
  Und nun, Theuerster Mann! wünsche ich Ihren Talenten und      
  guten Absichten angemessene Kräfte, Gesundheit und Lebensdauer, die      
  Freundschaft mit eingerechnet, mit der Sie den beehren wollen, der      
  jederzeit mit vollkommener Hochachtung ist      
           
    Ihr      
    ergebenster treuer Diener      
    I Kant      
           
           
           
     

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