Kant: Briefwechsel, Brief 654b, An Dietrich Ludwig Gustav Karsten.

     
  An Dietrich Ludwig Gustav Karsten.      
           
  März 1795?      
           
  Erwähnt 658.      
           
     

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  An Dietrich Ludwig Gustav Karsten.      
  16. März 1795.      
           
  Wohlgebohrner Hochzuverehrender Herr Bergrath.      
  Mit einem Schreiben von Ew. Wohlgeb. beehrt zu werden, dadurch      
  mit Ihnen in einige Bekanndschaft zu kommen, um vielleicht gelegentlich      
  die ausgebreitete Kentnisse in Ihrem Fache der Wissenschaften, die doch      
  alle vermittelst der Philosophie in Verwandtschaft stehen, zu benutzen,      
  ist mir sehr angenehm gewesen: so unangenehm mir auch die Ursache ist,      
  welche dieses veranlaßt hat.      
           
  Ich habe wirklich, etwa im Iahre 1790, vom Herrn Grafen v. Windischgrätz      
  eine Menge Kleiner Schrifften erhalten z. B. Histoire metaphysique      
  de l'Organisation animale , 2 Theile die ich vor mir liegen      
  habe, vornehmlich eine auf Politik und Grundsätze der bürgerlichen      
  Constitution bezogene, sehr gründliche und (was ich mich wohl erinnere,      
  weil es auf mich besonderen Eindruck gemacht hat,) gleichsam aus      
  einer Divinationsgabe geflossene Schrifft: "von dem, was die Regenten      
  zu thun haben, wenn sie nicht wollen, daß es das Volk selber thue"      
  die einige Iahre vor dem wirklichen Eräugnis des Letzteren herausgegeben      
  war, die ich aber jetzt (so wie die zwey ersten Theile der Histoire      
  metaphysique de l'Organisation animale ) wegen einer gewissen Unordnung      
  darin mein sonst nicht großer Büchervorrath gerathen ist, nicht      
  vorfinden kann, um sie zu specifizieren.      
           
  Ob ich dem Herren Grafen dieserhalb meinen Dank schriftlich abgestattet      
  habe, kann ich mich nicht mit Gewißheit erinnern, wohl aber,      
  daß ich durch meinen Verleger, dem Buchhändler Delagarde in Berlin,      
  meine damals herausgegebene Schrifft "Critik der Urtheilskraft" von      
  der Leipziger Messe aus an hochgedachten Hrn. Grafen zu übermachen      
  aufgetragen habe.      
           
  Nun bitte ich ergebenst den Hrn Delagarde, einen sonst zuverlässigen      
  und wohldenkenden Mann, zu befragen: wie es zugegangen,      
  daß jene Bestellung ihren Zweck nicht erreicht hat, die Antwort desselben      
  dem Hrn. Grafen bekannt zu machen, wie auch denselben in meinem      
           
  Nahmen um Verzeihung zu bitten, wegen meiner nicht aus Fahrlässigkeit      
  unterlassenen Erwiederung der mir bezeigten Aufmerksamkeit, sondern      
  aus einem, wegen einander drängender Beschäftigungen, oft schweer zu      
  vermeidenden und so zufälligerweise bis zum Vergessen hinausgehenden      
  Aufschub, dessen Schuld mein ziemlich hoch angewachsenes Alter auch      
  zum Theil mag tragen helfen.      
           
  Was Ew. Wohlgeb. betrifft, so bin ich nicht so tief in Metaphysik      
  versunken, daß ich nicht an Ihrer glücklichen Erweiterung der Wissenschaften      
  im Felde der Erfahrung, so fern diese Stufen des Aufsteigens      
  zur Philosophie legt, wenigstens als Dilettante, Antheil nehmen sollte:      
  zumal die Reformation unserer Begriffe in der Archäologie der Natur      
  von dem praktischen Bergkundigen, der zugleich Philosoph ist, vorzüglich      
  erwartet werden muß.      
           
  Mit der vollkommensten Hochachtung bin ich jederzeit      
    Ew. Wohlgeboren      
  Königsberg ergebenster treuer Diener      
  d. 16. Mart. I. Kant.      
  1795.        
           
     

[ abgedruckt in : AA XIII, Seite 599 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]