Kant: Briefwechsel, Brief 391, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.      
           
  19. Nov. 1789.      
           
  Wohlgebohrner Herr,      
  Hochzuehrender Herr Professor,      
  Ich würde gewiß schon eher meine Pflicht erfüllt oder vielmehr      
  den Wunsch meines Herzens befolgt und an Sie, theuerster Mann,      
  geschrieben haben, wenn ich nicht dadurch abgehalten worden wäre,      
  daß der Kanzler von Hoffmann Ihnen zugleich antworten wollte.      
  Ietzt ergreife ich diese Gelegenheit, um Ihnen nochmals für die vielen      
  und großen Beweise Ihrer Güte, die Sie mir erwiesen, für den Flei      
  den Sie auf meinen Unterricht verwandten, für die väterliche Sorgfalt      
  mit der Sie sich meiner annahmen, meinen wärmsten und innigsten      
  Dank zu sagen. Ich werde es nie vergessen, was ich Ihnen verdanke,      
  ich werde in Ihnen stets meinen zweiten Vater verehren. Ich bitte      
  Sie herzlich, versagen Sie mir auch in Zukunft Ihre Freundschaft      
  nicht, und erlauben Sie mir, daß ich zuweilen das Vergnügen haben      
  darf, mich mit Ihnen schriftlich zu unterhalten, und mich so an die      
  mündlichen Unterhaltungen mit Ihnen zu erinnern, die mich damals      
  so glücklich machten.      
           
  Den Minister v. Wöllner habe ich auf eine Viertelstunde gesprochen.      
  Er gedachte Ihrer mit großer Achtung und versicherte mich,      
  daß es ihn gefreut habe, durch die Bewilligung der Zulage Ihnen      
  einen kleinen Dienst erweisen zu können. Seinem Rathe gemäß, mußte      
  ich sogleich an den König schreiben, ihm meine Ankunft in Berlin      
  melden, nochmals danken und ihm notificiren, daß ich diesen Winter      
  Vorlesungen halten wollte. Übrigens gab er mir große Versicherungen      
  seiner Gnade, auf die ich, wie er sagte, fest bauen könnte, auf die      
  ich aber wenig oder nichts bauen werde. - Er ist beinahe ganz unzugänglich,      
  und meine Freunde priesen mich glücklich, daß er sich von      
  mir hatte sprechen laßen, ob ich gleich einigemal vergeblich zu ihm      
  hatte gehen müßen.      
           
  Der Kanzler von Hoffmann kam vor ungefähr 8 Tagen nach Berlin      
  und ich habe ihm sogleich meine Aufwartung gemacht. Ich fand in      
  ihm noch eben den vortreflichen, rechtschaffenen, menschenfreundlichen      
  Mann, den ich sonst in ihm gekannt hatte und auch seine Freundschaft      
           
  für mich ist noch eben dieselbe. Beinahe eine Stunde mußte      
  ich ihm von Ihnen erzählen, und ich versichre Sie, daß seine Hochachtung      
  für Sie, ganz unbegrenzt ist. Er ist es auch eigentlich, der      
  im O[ber]S[chul]C[ollegium] den Vorschlag that, daß man Ihr      
  Gehalt vermehren möchte. Er hatte in seiner Schreibtafel die Namen      
  einiger Männer aufgeschrieben, von denen ich ihm genauere Nachricht      
  geben sollte, dis waren, der Geheimerath Hippel, der Consistorialrath      
  Hasse, der Prorector Nicolai und ein D. Iuris Hoffmann, den ich aber      
  nicht kenne. Er sagte mir, daß man vielleicht dem Geheimenrath      
  Hippel die Aufsicht über die Schulen in Königsberg anvertrauen würde,      
  allein da dis nicht gewiß ist u. es bis jetzt auch niemand weiß, so      
  bitte ich Ew: Wohlgebohrn, recht sehr, keinen Gebrauch von dieser      
  Nachricht zu machen. Es ist leicht möglich, daß man von Berlin aus      
  bald jemand nach Königsberg schickt, der die Schulen revidiren muß.      
           
  Der Kammergerichtsrath Klein läßt sich Ihrer Freundschaft recht      
  sehr empfehlen. Ich habe in ihm einen ganz vortreflichen Mann      
  kennen gelernt, und ich bin Ihnen für diese Bekanntschaft recht großen      
  Dank schuldig. Er ist klein, lebhaft, voller Kenntnisse und sehr gefällig      
  im Umgange. Er lebt bequem ohne doch reich zu sein. Seine      
  älteste Tochter wird den Sohn d. H. Nicolai heirathen. Er war so      
  gütig mich zum Abendessen zu bitten und noch gestern war ich mit      
  ihm in Gesellschaft, wo er mich bat ihn bei Ihnen zu entschuldigen,      
  daß er Ihnen bis jetzt noch nicht geantwortet habe, er würde aber sobald      
  als möglich seine Pflicht erfüllen.      
           
  Auch der Minister von Zedlitz, dem ich meine Aufwartung gemacht      
  habe, hat mir aufgetragen, Ihnen und d. H. Prof. Krause seiner Hochachtung      
  und Freundschaft zu versichern. Er nahm mich sehr gütig      
  auf, ertheilte mir die Erlaubniß ihn wenn ich wollte zu besuchen u.      
  versprach mich nächstens zur Tafel zu bitten. Er scheint sich ganz      
  zurückgezogen zu haben und für sich zu leben.      
           
  HE de la Garde hat mir die Correctur Ihrer Critik der Urtheilskraft      
  versprochen, und ich werde gewiß die größte Aufmerksamkeit      
  darauf wenden. Ihre Erinnerungen gegen Eberhard werden Sie wohl      
  nicht bei ihm verlegen laßen? - Auch wünschte ich wohl, daß Ew:      
  Wohlgebohrn mir gütigst schrieben, wieviel ich wohl für den Bogen      
  Correctur fordern kann.      
           
  Was meine jetzige Lage betrift, so ist sie wenigstens leidlich.      
           
  Ich wohne in dem Hause meines Vaters, von dem ich auch meinen      
  nothdürftigen Unterhalt erhalte. Man hat mir fest versprochen, da      
  ich die erste Feldpredigerstelle, die in Berlin erledigt wird, erhalten      
  soll, und dann würde ich ganz zufrieden sein. Ich habe Vorlesungen      
  über die Logik und über Ihre Critik der practischen Vernunft angekündigt,      
  und es haben sich auch wirklich einige Zuhörer, vorzüglich      
  Geschäftsmänner gefunden, so daß ich den 1 st. December anzufangen      
  gedenke. Ich habe um die Erlaubniß Bücher aus der Königl. Bibliothek      
  gebrauchen zu dürfen, angehalten, und ich denke, daß man mir meine      
  Bitte nicht abschlagen wird. Künftige Ostern will ich mich als Candidat      
  des Predigtamts tentiren laßen und dis zwingt mich, auf die      
  Repetition meiner theologischen Studien auch Zeit zu verwenden.      
  Mit dem Prof. Michelsen habe ich es schon verabredet, daß ich mit      
  dem künftigen Iahre Privatunterricht bei ihm in der Mathematik      
  nehme und ich will den ganzen Cursum der Mathematik mit ihm      
  durchmachen.      
           
  Ich kann meinen Brief nicht schließen, ohne Ew: Wohlgeborn      
  den Aufschluß über eine Geschichte zu geben, die Sie gewiß interessirt,      
  über den untergeschobenen Taufschein des Prediger Iänisch. Ich habe      
  die Erzählung aus seinem Munde und relata refero . Er hatte zu      
  eben der Zeit, als man im Consistorio seinen Taufschein verlangte      
  eine Reise zu thun, und war daher in Verlegenheit, an wen er denselben      
  addressiren laßen sollte, als sich ein gewisser de la Veaux, den      
  er auf einer Reise kennen gelernt hatte, erbot den Taufschein an sich      
  zu nehmen, wenn er unter der Zeit, da Iänisch verreist wäre, ankommen      
  sollte. Iänisch nahm das Anerbieten an u. schrieb dem      
  Prediger in Heiligenbeil, er möchte den Taufschein nur an HE. de      
  la Veaux schicken. Dis geschah wirklich. Unglücklicherweise aber nahm      
  die Wäscherin dieses de la Veaux, den Brief der an Iänisch eingelegt      
  war, unversehends mit u. dieser, da er den Brief allenthalben vergeblich      
  suchte u. wußte, daß seinem Freunde daran gelegen sein mußte,      
  kam auf den Einfall einen Taufschein unterzuschieben, sagte aber      
  Iänisch nichts davon. Da er nicht wußte, was Iänisch Vater war,      
  so machte er ihn zum Bürgermeister u. richtete darnach auch den ganzen      
  Taufschein ein, den er mit seinem Petschaft auch untersiegelte. Der      
  Taufschein war in einem Couvert an Iänisch eingesiegelt, u. dieser      
  übergab ihn so, ohne das Couvert erbrochen zu haben, dem Consistorio.      
           
  Das übrige ist Ihnen bekannt. Iänisch rechtfertigte sich durch das      
  Zeugniß des de la Veaux und durch den ächten Taufschein, den die      
  Wäscherin wieder gefunden hatte. - Ich muß gestehen, daß wenn      
  diese Geschichte gleich wahr sein kann, sie dennoch sehr unwahrscheinlich      
  ist; und das habe ich auch HE Iänisch gesagt, als er mit der größten      
  Heftigkeit darüber sprach, daß man in Königsberg geurtheilt habe, er      
  habe sich wenigstens des größten Leichtsinns schuldig gemacht. Er      
  sagte mir unter anderm, Sie hätten dis Urtheil über ihn gefällt, und      
  er wundere sich sehr, daß Sie ihm auch nicht einmal die Möglichkeit      
  unschuldig zu sein, zugestanden hätten. Ich sagte ihm, daß ich selbst      
  ganz Ihrer Meinung, wenn es anders wahr sei, daß Sie dis Urtheil      
  gefällt hätten, gewesen wäre, und daß auch kein Vernünftiger, der die      
  genauern Umstände nicht wüßte, anders urtheilen könnte. - Und unter      
  uns gesagt, selbst wenn die Geschichte so ganz richtig ist, wie er sie      
  erzählt, ist er doch vom Leichtsinn nicht freizusprechen. - Er schreibt      
  ganz außerordentlich viel, und er versicherte mich, daß er in weniger      
  als 6 Wochen, ein Werk von mehr als 30 Bogen geschrieben hätte.      
  Der Meinung des Horaz nonum prematur in annum ist er ganz und      
  gar nicht.      
           
  Empfehlen Sie mich dem Herrn Prof. Krause und sagen Sie dem      
  vortreflichen Manne, den ich gewiß außerordentlich schätze, recht viel verbindliches      
  von mir. Sollten Sie Aufträge in Berlin haben und ich      
  sie ausrichten können, so bitte ich Sie recht sehr, sie mir ja zu übertragen.      
  - Leben Sie wohl, verehrungswürdiger Mann, und schenken      
  Sie ein kleines Andenken einem Manne, der Sie mit der innigsten      
  Zärtlichkeit liebt und der stolz darauf ist, sich nennen zu dürfen.      
           
  Berlin den 19 t. November 1789. Ihren      
    innigsten Verehrer      
    I. G. C. Kiesewetter.      
           
           
           
     

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