Kant: Briefwechsel, Brief 360, An Carl Leonhard Reinhold. |
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| An Carl Leonhard Reinhold. | |||||||
| 19. Mai 1789. | |||||||
| Ich füge zu meinen den 12ten h. überschickten Bemerkungen Werthester | |||||||
| Freund noch diejenige hinzu, welche die zwey ersten Stücke des phil. | |||||||
| Magaz. betreffen, eine ekelhafte Arbeit, (weil sie lauter Wortverdrehungen | |||||||
| zurecht zu stellen hat) die auch von Ihnen mir nicht angesonnen wird, | |||||||
| gleichwohl aber doch nothwendig zu seyn scheint, um gleich Anfangs | |||||||
| die Seichtigkeit und Falschheit eines blos auf Ränke gestimmten Autors | |||||||
| dem Publicum vor Augen zu stellen. | |||||||
| S. 12. "Plato und Aristot: schlossen etc. (von dem letzteren gilt | |||||||
| ja gerade das Gegentheil. Das nihil est in intellectu, quod non | |||||||
| antea fuerit in sensu der Aristotelischen Schule ist ja das (mit Locks | |||||||
| Grundsatze übereinstimmende) Criterium des Unterschiedes der letzteren | |||||||
| von der platonischen). | |||||||
| S. 23: "Die Metaph. dieser Philos. etc. (die Materialien dazu | |||||||
| und vollständig ohne alle Ausnahme in der Critik anzutreffen). | |||||||
| S. 25-26 unten: "heißt es: Die sinnliche Begriffe etc. (hier ist | |||||||
| eine doppelte Ungereimtheit. Reine Vernunftbegriffe, die Eberhard | |||||||
| mit reinen Verstandesbegriffen für einerley nimmt, führt er als solche | |||||||
| an, die von sinnlichen Begriffen abgezogen worden (folglich wie etwa | |||||||
| Ausdehnung, oder Farbe, in der Vorstellung der Sinne gelegen haben) | |||||||
| welches gerade das Gegentheil von dem ist, was ich zum Merkmal | |||||||
| der r. V. Begriffe angebe. Und dann ist mittelbar=Anschauen ein | |||||||
| Wiederspruch. Ich sage nur das einem r. V. Begriffe eine Anschauung | |||||||
| correspondirend könne gegeben werden, in welcher aber nichts von | |||||||
| jenem enthalten ist, sondern die nur das Mannigfaltige enthält, worauf | |||||||
| der Verstandesbegrif die synthetische Einheit der Apperception anwendet, | |||||||
| der also für sich ein Begrif von einem Gegenstande überhaupt ist, die | |||||||
| Anschauung mag seyn von welcher Art sie wolle). | |||||||
| S. 156. "Das heißt nichts Anders als etc." (Hier redet er von | |||||||
| nothwendigen Gesetzen etc., ohne zu bemerken, daß in der Critik eben | |||||||
| die Aufgabe ist: welche Gesetze die objectiv=nothwendigen sind und | |||||||
| wodurch man berechtigt ist sie, als von der Natur der Dinge geltend, | |||||||
| anzunehmen, d. i. wie sie synthetisch und doch a priori möglich sind; | |||||||
| denn sonst ist man in Gefahr mit Crusius, dessen Sprache Eberhard | |||||||
| an dieser Stelle führt, eine blos subiective Nothwendigkeit aus Gewonheit | |||||||
| oder Unvermögen, sich einen Gegenstand auf andere Art | |||||||
| faslich zu machen, für Obiectiv zu halten). | |||||||
| S. 157-58. "Ich meines gringen Theils etc. (Hier könnte | |||||||
| man wohl fragen, wie ein fremder Gelehrter, dem man den Hörsal | |||||||
| der Sorbonne mit dem Beysatz zeigte: Hier ist seit 300 Iahren disputirt | |||||||
| worden: Was hat man denn ausgemacht?) | |||||||
| S. 158. "Wir können an ihrer Erweiterung immer fortarbeiten | |||||||
| - ohne uns - einzulassen. Auf die Art etc. (Hier muß man ihn | |||||||
| nun festhalten. Denn seine Declaration betrift einen wichtigen Punct, | |||||||
| nämlich ob Critik d. V. vor der Metaph. vorhergehen müsse, oder | |||||||
| nicht, und von S. 157 bis 159 beweiset er, seine verwirrte Idee von | |||||||
| dem, warum es in der Critik zu thun ist, zugleich aber auch seine | |||||||
| Unwissenheit, da wo er mit Gelehrsamkeit paradiren will, so sehr, da | |||||||
| auch nur an dieser Stelle allein das Blendwerk, was er in Zukunft | |||||||
| machen will, aufgedeckt wird. Er redet S. 157 von metaphysischer | |||||||
| (im Anfange des Abschnitts von transscendentaler) Warheit und dem | |||||||
| Beweise derselben, im Gegensatze mit der Logischen Warheit und ihrem | |||||||
| Beweise. Aber alle Warheit eines Urtheils, sofern sie auf obiectiven | |||||||
| Gründen beruht, ist logisch, das Urtheil selbst mag zur Physik oder | |||||||
| der Metaphys. gehören. Man pflegt die logische Warheit der ästhetischen | |||||||
| (die für die Dichter ist) z. B. den Himmel als ein Gewölbe und den | |||||||
| Sonnenuntergang als Eintauchung ins Meer vorzustellen, entgegen zu | |||||||
| setzen. Zu der letzteren erfodert man nur, daß das Urtheil den allen | |||||||
| Menschen gewöhnlichen Schein, mithin Ubereinstimmung mit subiectiven | |||||||
| Bedingungen zu urtheilen, zum Grunde habe. Wo aber lediglich von | |||||||
| obiectiven Bestimmungsgründen des Urtheils die Rede ist, da hat noch | |||||||
| niemand zwischen geometrischer, physischer, oder metaphysischer - und | |||||||
| logischer Warheit einen Unterschied gemacht. | |||||||
| Nun sagt er S. 158 "Wir können (an ihrer Erweiterung) immer | |||||||
| fortarbeiten etc. ohne uns auf die transsc: Gültigkeit dieser Warheiten | |||||||
| vor der Hand einzulassen." (Vorher S. 157 hatte er gesagt das Recht | |||||||
| auf die logische Warheit würde jetzt bezweifelt, und nun spricht er | |||||||
| S. 158. daß auf die transscend. Warheit (vermuthlich eben dieselbe, | |||||||
| die er bezweifelt nennt) vor der Hand nicht nöthig sey, sich ein zulassen. | |||||||
| Von der Stelle S. 158 an "Auf diese Art haben selbst die | |||||||
| Mathematiker die Zeichnung ganzer Wissenschaften vollendet, ohne | |||||||
| von der Realität des Gegenstandes derselben mit einem | |||||||
| Worte Erwähnung zu thun u.s.w." zeigt er die gröbste Unwissenheit, | |||||||
| nicht blos in seiner vorgeblichen Mathematik, sondern auch die | |||||||
| gänzliche Verkehrtheit im Begriffe von dem, was die Critik d. V. in | |||||||
| Ansehung der Anschauung fodert, dadurch den Begriffen allein obiective | |||||||
| Realität gesichert werden kan. Daher muß man bey diesem von ihm | |||||||
| selbst angeführten Beyspielen etwas verweilen. | |||||||
| Hr. Eberhard will sich von der allem Dogmatism so lästigen, | |||||||
| aber gleichwohl unnachlaslichen Foderung, keinem Begriffe den Anspruch | |||||||
| auf den Rang von Erkentnissen einzuräumen, wofern seine | |||||||
| obiective Realität nicht dadurch [erhellt], daß der Gegenstand in einer | |||||||
| jenem correspondirenden Anschauung dargestellt werden könne, dadurch | |||||||
| losmachen, daß er sich auf Mathematiker beruft, die nicht mit einem | |||||||
| Worte von der Realität des Gegenstandes ihrer Begriffe Erwähnung | |||||||
| gethan haben sollen und doch die Zeichnung ganzer Wissenschaften | |||||||
| vollendet hätten; Eine unglücklichere Wahl von Beyspielen zur Rechtfertigung | |||||||
| seines Verfahrens hätte er nicht treffen können. Denn es | |||||||
| ist gerade umgekehrt: sie können nicht den mindesten Ausspruch über | |||||||
| irgend einen Gegenstand thun, ohne ihn (oder, wenn es blos um | |||||||
| Größen ohne Qvalität, wie in der Algebra, zu thun ist, die unter | |||||||
| angenommenen Zeichen gedachte Größenverhältnisse) in der Anschauung | |||||||
| darzulegen. Er hat, wie es überhaupt seine Gewonheit ist, anstatt | |||||||
| der Sache selbst durch eigene Untersuchung nachzugehen, Bücher durchgeblättert, | |||||||
| die er nicht verstand und in Borelli dem Herausgeber der | |||||||
| Conic. Apollonii eine Stelle "Subiectum enim - - - delineandi | |||||||
| aufgetrieben, die ihm recht erwünscht in seinen Kram gekommen zu | |||||||
| seyn scheint. Hätte er aber nur den mindesten Begrif von der Sache | |||||||
| von der Borelli spricht, so würde er finden: daß die Definition die | |||||||
| Apollonius z. B. von der Parabel giebt schon selbst die Darstellung | |||||||
| eines Begrifs in der Anschauung nämlich in dem unter gewissen Bedingungen | |||||||
| geschehenden Schnitte des Kegels war und daß die obiective | |||||||
| Realität des Begrifs, so hier, wie allerwerts in der Geometrie, die | |||||||
| Definition zugleich construction des Begriffes sey. Wenn aber, nach | |||||||
| der aus dieser Definition gezogenen Eigenschaft dieses Kegelschnittes, | |||||||
| nämlich, daß die Semiordinate die mittlere Proportionallinie zwischen | |||||||
| dem Parameter und der Abscisse sey, das Problem aufgegeben wird: | |||||||
| der Parameter sey gegeben, wie ist eine Parabel zu zeichnen? (d. i. | |||||||
| wie sind die Ordinaten auf den gegebenen Diameter zu appliciren) | |||||||
| so gehört dieses, wie Borelli mit Recht sagt, zur Kunst, welche als | |||||||
| practisches Corollarium aus der Wissenschaft und auf sie folgt; denn | |||||||
| diese hat es mit den Eigenschaften des Gegenstandes, nicht mit der | |||||||
| Art ihn unter gegebenen Bedingungen hervorzubringen zu thun. | |||||||
| Wenn der Cirkel durch die krumme Linie erklärt wird, deren alle | |||||||
| Puncte gleich weit von einem (dem Mittelpuncte) abstehen: ist denn | |||||||
| da dieser Begrif nicht in der Anschauung gegeben, obgleich der practische | |||||||
| daraus folgende Satz: einen Cirkel zu beschreiben (indem | |||||||
| eine gerade Linie um einen festen Punct auf einer Ebene bewegt | |||||||
| wird) gar nicht berührt wird? Eben darinn ist die Mathematik das | |||||||
| große Muster für allen synthetischen VernunftGebrauch, daß sie es | |||||||
| an Anschauungen nie fehlen läßt, an welchen sie ihren Begriffen obiective | |||||||
| Realität giebt, welcher Foderung wir im philosophischen und zwar | |||||||
| theoretischen Erkentnis nicht immer Gnüge thun können, aber alsdenn | |||||||
| uns auch bescheiden müssen, daß unsere Begriffe auf den Rang | |||||||
| von Erkentnissen (der Obiecte) keinen Anspruch machen können, sondern, | |||||||
| als Ideen, blos regulative Principien des Gebrauchs der Vernunft | |||||||
| in Ansehung der Gegenstände, die in der Anschauung gegeben, aber | |||||||
| nie, ihren Bedingungen nach, vollständig erkannt werden können, enthalten | |||||||
| werden. | |||||||
| S. 163. "Nun kan dieser Satz (des zureichenden Gr.) nicht | |||||||
| anders etc." (Hier thut er ein Geständnis welches vielen seiner Aliirten | |||||||
| im Angriffe der Critik nämlich den Empiristen nicht lieb seyn wird, | |||||||
| nämlich: daß der Satz des zureichenden Grundes nicht anders | |||||||
| als a priori möglich sey, zugleich aber erklärt er, daß derselbe nur | |||||||
| aus dem Satze des Wiederspruchs bewiesen werden könne, wodurch er | |||||||
| ihn ipso facto blos zum Princip analytischer Urtheile macht und dadurch | |||||||
| sein Vorhaben, durch ihn die Möglichkeit synthetischer Urtheile | |||||||
| a priori zu erklären, gleich Anfangs zernichtet. Der Beweis fällt | |||||||
| daher auch ganz jämmerlich aus. Denn indem er den Satz des z. Gr. | |||||||
| zuerst als ein logisches Princip behandelt (welches auch nicht anders | |||||||
| möglich ist, wenn er ihn aus dem Princ: Contrad . beweisen will) da | |||||||
| er denn so viel sagt, als: Iedes assertorische Urtheil muß gegründet | |||||||
| seyn, so nimmt er ihn im Fortgange des Beweises in der Bedeutung | |||||||
| des metaphysischen Grundsatzes: Iede Begebenheit hat ihre Ursache, | |||||||
| welches einen ganz anderen Begrif vom Grunde, nämlich den des | |||||||
| Realgrundes und der Caussalität in sich faßt, dessen Verhältnis zur | |||||||
| Folge keineswegs so, wie die des logischen Grundes, nach dem Satze | |||||||
| des Wiederspruchs vorgestellt werden kan. Wenn nun S. 164 der | |||||||
| Beweis damit anfängt: zwey Sätze, die einander wiedersprechen | |||||||
| können nicht zugleich wahr seyn und das Beyspiel S. 163: wo | |||||||
| gesagt wird, daß eine Portion Luft sich gegen Osten bewege, mit jenem | |||||||
| Vordersatze verglichen wird, so lautet die Anwendung des logischen | |||||||
| Satzes des zureichenden Grundes auf dieses Beyspiel so: Der Satz: | |||||||
| Die Luft bewegt sich nach Osten muß einen Grund haben; denn ohne | |||||||
| einen Grund zu haben d. i. noch eine andere Vorstellung als den Begrif | |||||||
| von Luft und den von einer Bewegung nach Osten, ist jener in | |||||||
| Ansehung dieses Prädikats ganz unbestimmt. Nun ist aber der angeführte | |||||||
| Satz ein Erfahrungssatz folglich nicht blos problematisch gedacht, | |||||||
| sondern als assertorisch, gegründet und zwar in der Erfahrung | |||||||
| als einer Erkentnis durch verknüpfte Warnehmungen. Dieser | |||||||
| Grund ist aber mit dem, was in demselben Satze gesagt wird, identisch, | |||||||
| (nämlich ich spreche von dem was gegenwärtig ist nach Warnehmungen, | |||||||
| nicht von dem, was blos möglich ist, nach Begriffen), folglich ein | |||||||
| analytischer Grund des Urtheils, nach dem Satze des Wiederspruchs, | |||||||
| hat als mit dem Realgrunde, der das synthetische Verhältnis zwischen | |||||||
| Ursache und Wirkung an den Obiecten selbst betrift, gar nichts gemein. | |||||||
| Nun fängt also Eberhard von dem analytischen Princip des zureichenden | |||||||
| Grundes (als logischem Grundsatze) an und springt zum metaphysischen, | |||||||
| als solchen aber jederzeit synthetischen Princip der Caussalität, | |||||||
| von welchem in der Logik nie die Rede seyn kan, über, als ob | |||||||
| er denselben bewiesen habe. Ec hat also das, was er beweisen wollte, | |||||||
| gar nicht, sondern etwas, worüber nie gestritten worden ist, bewiesen | |||||||
| und eine grobe fallaciam ignorationis Elenchi begangen. Aber ausser | |||||||
| dieser vorsetzlichen Hinhaltung des Lesers ist der Paralogism S. 163 | |||||||
| "Wenn z. B." bis S. 164 "unmöglich ist" zu arg, als daß er nicht | |||||||
| angeführt zu werden verdiente. Wenn man ihn in syllogistischer Form | |||||||
| darstellt, so würde er so lauten: Wenn kein zureichender Grund wäre, | |||||||
| warum ein Wind sich gerade nach Osten bewegte, so würde er eben | |||||||
| so gut (statt dessen; denn das muß Eberhard hier sagen wollen | |||||||
| sonst ist die Conseqvenz des hypothetischen Satzes falsch) sich nach | |||||||
| Westen bewegen können: Nun ist kein zureichender Grund etc. Also | |||||||
| wird er sich eben so gut nach Osten und Westen zugleich bewegen | |||||||
| können, welches sich wiederspricht. Dieser Syllogism geht also auf | |||||||
| vier Füßen. | |||||||
| Der Satz des zureichenden Grundes, so weit ihn Hr. Eberh. bewiesen | |||||||
| hat, ist also immer nur ein logischer Grundsatz und analytisch. | |||||||
| Aus diesem Gesichtspunct betrachtet wird es nicht zwey, sondern drey | |||||||
| logische Principien der Erkentnis geben: 1) den Satz des Wiederspruchs, | |||||||
| von categorischen 2) den Satz des (logischen) Grundes | |||||||
| von hypothetischen 3) den Satz der Eintheilung (der Ausschließung | |||||||
| des Mittleren zwischen zwey einander contradictorisch entgegengesetzten) | |||||||
| als den Grundsatz disjunctiver Urtheile. Nach dem ersten Grundsatze | |||||||
| müssen alle Urtheile erstlich, als problematisch (als bloße Urtheile) | |||||||
| ihrer Möglichkeit nach, mit dem Satze des Wiederspruchs, zweytens, | |||||||
| als assertorisch (als Sätze), ihrer logischen Wirklichkeit d. i. Warheit | |||||||
| nach, mit dem Satze des z. Grundes, drittens, als apodictische | |||||||
| (als gewisse Erkentnis) mit dem princ: exclusi medii inter duo contrad . | |||||||
| in Ubereinstimmung stehen; weil das apodictische Fürwahrhalten nur | |||||||
| durch die Verneinung des Gegentheils, also durch die Eintheilung | |||||||
| der Vorstellung eines Prädicats, in zwey contradictorisch entgegengesetzte | |||||||
| und Ausschließung des einen derselben gedacht wird. | |||||||
| S. 169 ist der Versuch, zu beweisen, daß das Einfache, als das | |||||||
| Intelligibele, dennoch anschaulich gemacht werden könne, noch erbärmlicher | |||||||
| als alles Übrige ausgefallen. Denn er redet von der concreten | |||||||
| Zeit, als etwas Zusammengesetzten, dessen einfache Elemente Vorstellungen | |||||||
| seyn sollen und bemerkt nicht, daß um die Succession jener | |||||||
| concreten Zeit sich vorzustellen, man schon die reine Anschauung der | |||||||
| Zeit, worinn jene Vorstellungen sich succediren sollen, voraussetzen | |||||||
| müsse. Da nun in dieser nichts Einfaches ist, welches der Autor unbildlich | |||||||
| (oder nicht=sinnlich) nennt, so folgt daraus ungezweifelt da | |||||||
| in der Zeitvorstellung überhaupt der Verstand über die Sphäre der | |||||||
| Sinnlichkeit sich gar nicht erhebe. Mit seinen Vorgeblichen ersten | |||||||
| Elementen des Zusammengesetzten im Raume, nämlich dem Einfachen, | |||||||
| S. 171, verstößt er so sehr wieder Leibnitzens wahre Meynung, als | |||||||
| gröblich wieder alle Mathematik. Nun kan man aus dem bey S. 163 | |||||||
| angemerkten über den Werth von dem, was er von S. 244 bis 56, | |||||||
| schreibt und der obiectiven Gültigkeit seines logischen Satzes vom | |||||||
| z. Grunde urtheilen. Er will S. 156 aus der subiectiven Nothwendigkeit | |||||||
| des Satzes vom z. Gr. (den er nunmehr als Princip der Caussalität versteht) | |||||||
| von den Vorstellungen, daraus er besteht und ihrer Verbindung | |||||||
| schließen: daß der Grund davon nicht blos im Subiect, sondern in den | |||||||
| Obiecten liegen müsse; wiewohl ich zweifelhaft bin ob ich ihn in dieser | |||||||
| verwirrten Stelle verstehe. Aber was hat er nöthig solche Umschweife zu | |||||||
| machen da er ihn aus dem Satze des Wiederspruchs abzuleiten vermeynt? | |||||||
| Ich weiß nicht ob ich in meinem vorigen Briefe von der (S. 272 | |||||||
| "Ich muß hier ein Beyspiel brauchen" bis S. 274 "keine Realität | |||||||
| haben?") seltsamen und gänzlich allen Streit mit diesem Manne aufzuheben | |||||||
| berechtigenden Misverstehung, oder Verdrehung, meiner Erklärung | |||||||
| der Vernunftideen, denen angemessen keine Anschauung gegeben | |||||||
| werden kan und überhaupt des Uebersinnlichen Erwähnung gethan | |||||||
| habe. Er giebt nämlich vor, der Begrif eines Tausendecks | |||||||
| sey dergleichen und gleichwohl könne man viel von ihm mathematisch | |||||||
| erkennen. Nun ist das eine so absurde Verkennung des Begrifs vom | |||||||
| Übersinnlichen, daß ein Kind sie bemerken kan. Denn es ist ja die | |||||||
| Rede von der Darstellung in einer uns möglichen Anschauung, nach | |||||||
| der Qvalität unserer Sinnlichkeit, der Grad derselben d.i. der | |||||||
| Einbildungskraft das Mannigfaltige zusammenzufassen, mag auch so | |||||||
| groß oder klein seyn wie er wolle, so daß wir, wenn uns auch etwas | |||||||
| für ein MillionEck gegeben wäre, und wir den Mangel einer einzigen | |||||||
| Seite geradezu beym ersten Anblicke bemerken könnten, diese | |||||||
| Vorstellung dadurch doch nicht aufhören würde sinnlich zu seyn und die | |||||||
| Möglichkeit der Darstellung des Begrifs von einem Tausendeck in der | |||||||
| Anschauung, die Möglichkeit dieses Obiects selbst in der Mathematik | |||||||
| allein begründen kan; wie denn die Construction desselben nach allen | |||||||
| seinen Reqvisiten vollständig vorgeschrieben werden kan, ohne sich um | |||||||
| die Größe der Meßschnur zu bekümmern, die erfoderlich seyn würde, | |||||||
| um diese Figur nach allen ihren Theilen für eines jeden Auge merklich | |||||||
| zu machen. - Nach dieser falschen Vorstellungsart kan man den | |||||||
| Mann beurtheilen. | |||||||
| Er ist stark in falschen Citaten, wie S. 19-20 vornemlich S. 301. | |||||||
| Aber S. 290, imgleichen 298 und weiter hin, übertrift er sich selbst; | |||||||
| denn da wird er ein wirklicher Falsarius. Er citirt Crit. d. r. V. | |||||||
| S. 44 der älteren Ausgabe wo ich gesagt habe: Die Leibnitz | |||||||
| Wolfische Philosophie hat daher allen Untersuchungen über | |||||||
| die Natur etc. und führt sie so an: Hr. K: hat der Leibnitzischen etc. | |||||||
| bis betrachte etc. Wie es nun gewissen Leuten zu gehen pflegt, da | |||||||
| sie zuletzt das selbst glauben, was sie mehrmals gelogen haben, so | |||||||
| geräth er nach und nach über diesen vorgeblich gegen Leibnitzen gebrauchten | |||||||
| unbescheidenen Ausdruck so in Eifer, daß er das Wort verfälscht, | |||||||
| welches blos in seinem Gehirn existirte, auf einer Seite (298) | |||||||
| dem Verfasser der Critik dreymal vorrückt - Wie nennt man den, | |||||||
| der ein zu einem Rechtsstreit gehoriges Document vorsätzlich verfälscht? | |||||||
| Ich begnüge mich mit diesen wenigen Bemerkungen, wovon ich | |||||||
| bitte nach ihrem Gutbefinden aber wo möglich auf eine nachdrückliche | |||||||
| Art, Gebrauch zu machen. Denn Bescheidenheit ist von diesem Manne, | |||||||
| dem Grosthun zur Maxime geworden ist, sich Ansehen zu erschleichen, | |||||||
| nicht zu erwarten. Ich würde mich namentlich in einen Streit mit | |||||||
| ihm einlassen, aber da mir dieses alle Zeit, die ich darauf anzuwenden | |||||||
| denke, um meinen Plan zu Ende zu bringen, rauben würde, zudem | |||||||
| das Alter mit seinen Schwächen schon merklich eintritt, so muß ich | |||||||
| meinen Freunden diese Bemühung überlassen und empfehlen, im Fall | |||||||
| daß sie die Sache selbst der Vertheidigung werth halten. Im Grunde | |||||||
| kan mir die allgemeine Bewegung, welche die Critik nicht allein erregt | |||||||
| hat, sondern noch erhält, sammt allen Allianzen, die wieder sie gestiftet | |||||||
| werden (wiewohl die Gegner derselben zugleich unter sich uneinig | |||||||
| sind und bleiben werden), nicht anders als lieb seyn; denn das erhält | |||||||
| die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand. Auch geben die unaufhörliche | |||||||
| Misverständnisse oder Misdeutungen Anlas, den Ausdruck hin | |||||||
| und wieder bestimmter zu machen, der zu einem Misverstande Anlas | |||||||
| geben könnte: und so fürchte ich am Ende nichts von allen diesen Angriffen, | |||||||
| ob man gleich sich dabey ganz ruhig verhielte. Allein einen | |||||||
| Mann, der aus Falschheit zusammengesetzt ist und mit allen den Kunststücken | |||||||
| z. B. dem der Berufung auf misgedeutete Stellen berühmter | |||||||
| Männer, wodurch beqveme Leser eingenommen werden können, um ihm | |||||||
| blindes Zutrauen zu widmen, bekannt und darinn durch Naturel und | |||||||
| lange Gewonheit gewandt ist, gleich zu Anfang seines Versuchs in | |||||||
| seiner Blöße darzustellen ist Wohlthat fürs gemeine Wesen. Feder ist | |||||||
| bey aller seiner Eingeschränktheit doch ehrlich; eine Eigenschaft die | |||||||
| jener in seine Denkungsart nicht aufgenommen hat. | |||||||
| Ich empfehle mich Ihrer mir sehr werthen Freundschaft und Zuneigung | |||||||
| mit der größten Hochachtung für die Rechtschaffenheit Ihres | |||||||
| Characters und bin unveränderlich | |||||||
| ganz ergebener Freund und Diener | |||||||
| Koenigsberg | I. Kant | ||||||
| den 19 May | |||||||
| 1789 | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 040 ] [ Brief 359 ] [ Brief 361 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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