Kant: Briefwechsel, Brief 34, An Iohann Heinrich Lambert. |
|||||||
|
|
|
|
||||
An Iohann Heinrich Lambert. | |||||||
31. Dec. 1765. | |||||||
Mein Herr. | |||||||
Es hätte mir keine Zuschrift angenehmer und erwünschter seyn | |||||||
können, als diejenige, womit Sie mich beehrt haben, da ich, ohne | |||||||
etwas mehr als meine aufrichtige Meinung zu entdecken, Sie vor | |||||||
das erste Genie in Deutschland halte, welches fähig ist in derienigen | |||||||
Art von Untersuchungen, die mich auch vornemlich beschäftigen, eine | |||||||
wichtige und dauerhafte Verbesserung zu leisten. Ich bitte auch die | |||||||
Verzögerung meiner schuldigen Antwort nicht meiner eigenen Saumseligkeit | |||||||
beyzumessen. Denn HE. Kanter, dem ich Dero Antrag kund | |||||||
machte, bat mich meine Zuschrift so lange aufzuschieben, bis er | |||||||
hierüber seine völlige Entschließung durch ein eigenes Schreiben | |||||||
Ihnen eröfnen könne. Er erkennet sehr wohl die Wichtigkeit der | |||||||
Verbindung, mit einer so berühmten Feder, als die Ihrige ist, und | |||||||
ist geneigt gnug den angetragenen Verlag zu übernehmen, nur | |||||||
bittet er sich einen Aufschub, weil die Zeit bis zur Ostermesse ihm | |||||||
zu kurz und seine übrige Verlagsanstalten vor diesmal gar zu überhäuft | |||||||
scheinen. Er ist mit seinem vorigen Handlungsbedienten | |||||||
HEn Hartknoch der seine affairen anietzt in Riga verwaltet in Compagnie | |||||||
getreten und wird, wie er mich versichert, nächstens seine Erklärung | |||||||
an Sie in der erwähnten Sache überschreiben. | |||||||
Es ist mir kein gringes Vergnügen, von Ihnen die glückliche | |||||||
Übereinstimmung unserer Methoden bemerkt zu sehen, die ich mehrmalen | |||||||
in Dero Schriften warnahm, und welche dazu gedient hat, | |||||||
mein Zutrauen in dieselbe zu vergrößeren, als eine logische Probe | |||||||
gleichsam, welche zeigt daß diese Gedanken an dem Probiersteine | |||||||
der allgemeinen menschlichen Vernunft den Strich halten. Dero Einladung | |||||||
zu einer wechselseitigen Mittheilung unserer Entwürfe schätze | |||||||
ich sehr hoch und da ich mich durch diesen Antrag sehr geehrt finde, | |||||||
so werde ich auch nicht ermangeln davon Gebrauch zu machen, wie | |||||||
ich denn, ohne mich selbst zu verkennen einiges Zutrauen in dieienige | |||||||
Kentnis setzen zu können vermeine, welche ich nach langen Bemühungen | |||||||
erworben zu haben glaube, da anderer Seits das Talent, | |||||||
was man an Ihnen mein Herr kennt, mit einer ausnehmenden | |||||||
Scharfsinnigkeit in Theilen eine überaus weite Aussicht ins Große zu | |||||||
verknüpfen, allgemein zugestanden ist und so ferne Sie belieben mit | |||||||
meinen kleineren Bestrebungen Ihre Kräfte zu vereinbaren, vor mich | |||||||
und vielleicht auch vor die Welt eine wichtige Belehrung hoffen läßt. | |||||||
Ich habe verschiedene Iahre hindurch meine philosophische Erwägungen | |||||||
auf alle erdenkliche Seiten gekehrt, und bin nach so | |||||||
mancherley Umkippungen, bey welchen ich jederzeit die Qvellen des | |||||||
Irrthums oder der Einsicht in der Art des Verfahrens suchte, | |||||||
endlich dahin gelangt, daß ich mich der Methode versichert halte, die | |||||||
man beobachten muß, wenn man demjenigen Blendwerk des Wissens | |||||||
entgehen will, was da macht, daß man alle Augenblicke glaubt zur | |||||||
Entscheidung gelangt zu seyn, aber eben so oft seinen Weg wieder | |||||||
zurücknehmen muß, und woraus auch die zerstöhrende Uneinigkeit der | |||||||
vermeinten Philosophen entspringt; weil gar kein gemeines Richtmaas | |||||||
da ist ihre Bemühungen einstimmig zu machen. Seit dieser | |||||||
Zeit sehe ich iedesmal aus der Natur einer ieden vor mir liegenden | |||||||
Untersuchung, was ich wissen muß um die Auflösung einer besondern | |||||||
Frage zu leisten, und welcher Grad der Erkentnis aus demienigen | |||||||
bestimmt ist, was gegeben worden, so, daß zwar das Urtheil | |||||||
ofters eingeschränkter, aber auch bestimmter und sicherer wird, als gemeiniglich | |||||||
geschieht. Alle diese Bestrebungen laufen hauptsächlich auf | |||||||
die eigenthümliche Methode der Metaphysick und vermittelst derselben auch | |||||||
der gesammten Philosophie hinaus, wobey ich Ihnen, mein Herr, nicht | |||||||
unangezeigt lassen kan daß HE Kanter, welcher von mir vernahm, | |||||||
daß ich eine Schrift unter diesem Titel vielleicht zur nächsten Ostermesse | |||||||
fertig haben möchte, nach Buchhändler Art nicht gesäumt hat | |||||||
diesen Titel, obgleich etwas verfälscht, in den Leipziger Meßcatalog | |||||||
setzen zu lassen. Ich bin gleichwohl von meinem ersten Vorsatze so | |||||||
ferne abgegangen: daß ich dieses Werk, als das Hauptziel aller dieser | |||||||
Aussichten noch ein wenig aussetzen will, und zwar darum, weil ich | |||||||
im Fortgange desselben merkte, daß es mir wohl an Beyspielen der | |||||||
Verkehrtheit im Urtheilen garnicht fehlete um meine Sätze von dem | |||||||
unrichtigen Verfahren zu illust[r]iren, daß es aber gar sehr an solchen | |||||||
mangele, daran ich in concreto das eigenthümliche Verfahren zeigen | |||||||
könte. Daher um nicht etwa einer neuen philosophischen Proiektmacherey | |||||||
beschuldigt zu werden, ich einige kleinere Ausarbeitungen | |||||||
voranschicken muß, deren Stoff vor mir fertig liegt, worunter die | |||||||
metaphysische Anfangsgründe der natürlichen Weltweisheit, | |||||||
und die metaph: Anfangsgr: der praktischen Weltweisheit | |||||||
die ersten seyn werden, damit die Hauptschrift nicht durch | |||||||
gar zu weitläuftige und doch unzulängliche Beyspiele alzu sehr gedehnet | |||||||
werde. | |||||||
Der Augenblik meinen Brief zu schließen überrascht mich. Ich | |||||||
werde künftig die Ehre haben Ihnen mein Herr einiges zu meiner | |||||||
Absicht gehöriges darzulegen, und Dero mir sehr wichtiges Urtheil | |||||||
zu erbitten. | |||||||
Sie klagen mein Herr mit Recht über das ewige Getändel der | |||||||
Wizlinge und die ermüdende Schwatzhaftigkeit der itzigen Scribenten | |||||||
vom herrschenden Tone, die weiter keinen Geschmak haben, als den, | |||||||
vom Geschmak zu reden. Allein mich dünkt, daß dieses die Euthanasie | |||||||
der falschen Philosophie sey, da sie in läppischen Spielwerken erstirbt | |||||||
und es weit schlimmer ist, wenn sie in tiefsinnigen und falschen | |||||||
Grübeleyen mit dem Pomp von strenger Methode zu Grabe getragen | |||||||
wird. Ehe wahre Weltweisheit aufleben soll, ist es nöthig, daß die | |||||||
alte sich selbst zerstöhre, und, wie die Fäulnis die vollkommenste Auflösung | |||||||
ist, die iederzeit vorausgeht, wenn eine neue Erzeugung anfangen | |||||||
soll, so macht mir die Crisis der Gelehrsamkeit zu einer solchen | |||||||
Zeit, da es an guten Köpfen gleichwohl nicht fehlt, die beste Hofnung, | |||||||
daß die so längst gewünschte große revolution der Wissenschaften nicht | |||||||
mehr weit entfernet sey. | |||||||
Herr Prof: Reccard, der mich durch seinen gütigen Besuch so | |||||||
wohl als durch Dero geehrten Brief sehr erfreuet hat, ist hier | |||||||
überaus beliebt und algemein hochgeschätzt wie er auch beydes verdient | |||||||
obzwar freylich nur wenig vermögend seyn sein ganzes Verdienst | |||||||
zu schätzen. Er empfiehlt sich Ihnen, und ich bin mit der | |||||||
größesten Hochachtung | |||||||
Mein Herr | |||||||
Koenigsberg | Dero | ||||||
d. 31ten Dec: | ergebenster Diener | ||||||
1765. | Immanuel Kant. | ||||||
P.S. Indem ich gegenwärtiges Schreiben geschlossen hatte überschickt | |||||||
HE. Kanter den Ihnen schuldigen Brief welcher also im Einschlusse | |||||||
mitkömmt. | |||||||
[ abgedruckt in : AA X, Seite 054 ] [ Brief 33 ] [ Brief 34a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |