Kant: Briefwechsel, Brief 264, Von Ludwig Heinrich Iakob. |
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Von Ludwig Heinrich Iakob. | ||||||||
Halle d. 26 März 1786. | ||||||||
Verehrungswürdiger HE Professor, | ||||||||
Der Umgang, den ich seit einiger Zeit mit Ihren Schriften gehabt | ||||||||
habe, scheint mir gewisser maßen ein Recht zu geben, mit mehr | ||||||||
Zutraulichkeit, als es sonst wohl das Ceremoniel erfoderte, mich Ihrer | ||||||||
Person zu nähern, u. mich gerade zu bei Ihnen Raths zu erholen, wo | ||||||||
ich mir allein nicht traue, und wo andre mir denselben nicht geben | ||||||||
konnen oder nicht geben wollen. Wenn der Dank u. die warme Verehrung, | ||||||||
die ich gegen einen Mann fühle, der das dunkle Gefühl von | ||||||||
der Unzulänglichkeit der bisherigen metaphysischen Wissenschaften in mir | ||||||||
so sehr aufgehellt hat, noch einen Grund abgeben kann, weshalb Sie | ||||||||
diese meine Zudringlichkeit entschuldigen: so freue ich mich zugleich, | ||||||||
dieses Bekenntnis, das ich so oft im Cirkel meiner Freunde u. Zuhörer | ||||||||
zwar nicht wärmer, aber doch lauter gethan habe, auch vor diesem | ||||||||
Manne selbst thun zu können. | ||||||||
Die nähere Veranlassung zu diesem Briefe ist die Mendelsohnsche | ||||||||
Schrift u. die Zeitungsnachricht, als ob Sie solche widerlegen würden. | ||||||||
M. verdient, daß seine Schrift mit Beifall aufgenommen wurde, u. | ||||||||
ich glaube, ein jeder der auch seiner Meinung nicht ist, wird ihm, für | ||||||||
die, ihm so eigne lichtvolle Auseinandersetzung der bisherigen Beweise | ||||||||
fürs Dasein Gottes danken. Aber ich hörte gleich anfänglich einige | ||||||||
Triumphlieder, die zwar freilich mehr aus dem Herzen als aus dem | ||||||||
Kopfe kamen, aber eben um deshalb desto ehr Eingang fanden, u. | ||||||||
worin dem HE. M. ein Sieg zuerkannt wurde, den er laut seines Bekenntnisses | ||||||||
gar nicht einmal im Sinne gehabt hatte. Ia man hat es | ||||||||
sich so gar in einigen Recensionen ganz deutlich merken lassen, als ob | ||||||||
durch diese Schrift der Kantschen Krit. ein nicht geringer Stos versetzt | ||||||||
wär, welches denn nach meiner Meinung ganz klärlich beweißt, | ||||||||
daß die Kritik immer nur noch durchblättert, aber nicht durchstudiert | ||||||||
wird. Ich muß nun gestehen, daß ich bei Durchlesung der M. Schrift | ||||||||
nicht das geringste fand, wodurch dem alten Beweisen mehr Stärke und | ||||||||
Haltbarkeit wär gegeben worden. Allenthalben die nemlichen Voraussetzungen, | ||||||||
auf deren Beweis Sie in Ihrer Kr. mit so vielem Rechte | ||||||||
dringen. Die Klagen, über die jetzige Art zu philosophiren, welche | ||||||||
HE. M. in der Vorrede äussert scheinen mir auch ganz ungegründet, | ||||||||
besonders, wenn man sie, wie gewönlich, auf diejenigen zieht, welche | ||||||||
zu jeder Uberzeugung vom Dasein sinnliche Wahrnehmung fodern. Ich | ||||||||
fand auch gar nicht, daß HE. M. irgend etwas Erhebliches gesagt | ||||||||
hätte, das gegen Ihre Kr. mit Grunde gebraucht werden könnte, u. | ||||||||
eben deswegen glaubte ich es ihm gern, daß er sie nur vom Hören | ||||||||
sagen kennete. Eine einzige Stelle ist mir aufgefallen, bei der es den | ||||||||
Anschein hat, als ob es ein Pfeil gegen Ihre Kr. sein sollte, nemlich | ||||||||
S. 115, wo er den Begrif eines Dinges an sich läugnet. Allein sie | ||||||||
ist nach meiner Meinung leicht zu berichtigen, denn Ihre Kr. räumt | ||||||||
HE. M. die ganze Behauptung ein, daß sich neml. kein Prädikat von | ||||||||
einem Dinge an sich, angeben läßt, u. weicht blos in der Folgerung von | ||||||||
ihm ab. Denn wenn HE. M. S. 116 sagt: "Ihr verlangt etwas zu | ||||||||
wissen, was schlechterdings kein Gegenstand des Wissens ist"; so sagt | ||||||||
er gerade das, was Sie sagen. Wenn er aber hinzufügt: "Wir stehen an | ||||||||
der Grenze nicht nur des menschlichen Erkenntnis, s[on]dern aller Erkentnis | ||||||||
überhaupt"; so sagt er offenbar etwas, was sich auf k[eine] Weise behaupten | ||||||||
läßt. Kurz die ganze Schrift schien mir ein recht auffallender Beweis | ||||||||
zu sein, daß sich über das Dasein a pr. überall nichts bestimmen liesse, | ||||||||
u. ich wünschte daher gleich anfanglich, es möchte jemand auftreten, | ||||||||
der sie, wo nicht mit so viel Schönheit, doch mit gleicher Deutlichkeit | ||||||||
prüfen möchte Nun kan ich nicht bergen, daß bei den vielen einsichtlosen | ||||||||
Vergleichungen, die ich hier u. da zwischen dieser Schrift u. Ihrer | ||||||||
Krit. anstellen hörte, bei dem allgemeinen Frohlocken auf der einen | ||||||||
u. bei dem gänzlichen Stillschweigen auf der andern Seite, mir selber der | ||||||||
Gedanke einkam, etwas nach meinen Kräften zur deutlichen Auseinandersetzung | ||||||||
beizutragen. Da ich ab[er] hörte, daß Sie selbst, dieses Geschäft | ||||||||
zu übernehmen Willens wären; so beschied ich mich sogleich, u. freuete | ||||||||
mich, daß mein Wunsch von dem sollte erfüllt werden, der es unstreitig | ||||||||
am besten konnte. Unterdessen setzt ich doch einiges Mistrauen in | ||||||||
dieses Gerücht. Denn es scheinen mir schon alle Gegengründe vollständig | ||||||||
in der Kritik enthalten zu sein, u. es schien mir daher mehr | ||||||||
nöthig dem Publikum die Gründe vorzuhalten, als sie zu erfinden. | ||||||||
Denn auch der angebliche neue Beweis gründet sich auf die unerwiesene | ||||||||
Voraussetzung, daß Dinge an sich von e. nothwendigen Wesen abhängig | ||||||||
s[in]d, u. daß dem Begriffe des N. W. allein der vollkommenste Verstand | ||||||||
entspreche. Der Beweis ist für den Fatalisten gar nichts u. thut | ||||||||
weiter nichts dar, als daß Erscheinungen ohne denkende Wesen nicht | ||||||||
möglich sind, welches allerdings zugegeben werden muß; dem ohnerachtet | ||||||||
schien es mir nöthig, daß es einmal ein dritter versuchte, Ihre Begriffe | ||||||||
nach seiner Methode vorzutragen, weil man immer noch leider! | ||||||||
die Kritik als ein großes Thier ansieht, das man zwar fürchtet, dem | ||||||||
man sich aber doch nicht anvertrauen mag. Ia die Vorliebe zu dem | ||||||||
alten System ist so gros, daß Philosophen von großen Talenten, wo | ||||||||
nicht öffentlich doch heimlich der Kritik das Urteil sprechen, u. weil sie | ||||||||
sich vor dem Umsturz des Gebäudes, worinnen sie bisher so sicher zu | ||||||||
wohnen vermeinten, fürchten; so suchen sie auch andre zu überreden, | ||||||||
daß dasselbe feuerfest sei, u. man deshalb schon alle Angriffe, a pr. | ||||||||
für kraftlos ansehen könnte. Besonders schreckt man die jungen Leser | ||||||||
durch die Beschreibung des undurchsichtigen Vorhangs ab, der vor das | ||||||||
Heiligtum Ihrer Gedanken gezogen sein soll u. hindert dadurch, mehr | ||||||||
als man glauben sollte den wahren Nutzen der Ausbreitung. So steht | ||||||||
wenigstens die Sache in dem Cirkel, wo ich lebe. Daher glaube ich | ||||||||
und ist es nicht unnöthig, wenn auch ein dritter es übernimmt zu | ||||||||
zeigen, daß die Sätze Ihrer Kr. die Kräfte eines gewönlichen Verstandes | ||||||||
gar nicht übersteigen u. das Natürliche u. Wahre Ihrer Foderungen | ||||||||
desto deutlicher darzuthun. Nun sollte meine Anfrage an | ||||||||
Sie, eben dahin gehen, ob Sie selbst die nähere Beleuchtung der M. | ||||||||
Schrift übernehmen würden, u. im Fall Sie auch denn noch den Beitritt | ||||||||
mehrerer nicht für überflüssig hielten, ob Sie alsdenn die Gewogenheit | ||||||||
haben wollten, meine Gedanken durchzusehen u. zu urtheilen, | ||||||||
ob sie es verdienten der Welt bekannt gemacht zu werden? - Denn | ||||||||
eine unrichtige Auseinandersetzung Ihrer Ideen, würde in der That | ||||||||
noch schädlicher sein, als gar keine, da man wohl gar den Werth der | ||||||||
Kr. darnach bestimmen wollte, und ich glaube daher, schon um der | ||||||||
guten Sache willen, eine aufrichtige Beurteilung von Ihnen erwarten | ||||||||
zu können, im Fall Sie sich derselben unterziehen. Auch wird meine | ||||||||
Eigenliebe mich nicht verführen Ihnen zu mistrauen, Ihr Urteil falle | ||||||||
so streng aus, als es wolle. Ich würde mit der Prüfung der M. | ||||||||
Axiome anfangen, dann zu den Beweisen selbst fortgehn und vorzüglich | ||||||||
zeigen, daß die neue Wendung dem Beweise nicht die geringste | ||||||||
Stärke verleihe. Doch dieselbe furchte ich, hat Sie schon zu lange | ||||||||
aufgehalten. Ich erwarte also zuerst Ihre gütige Erlaubnis, in wie | ||||||||
fern es mir vergönt sein wird, mich weiter an Sie zuwenden. Ich | ||||||||
bin mit der größten Hochachtung | ||||||||
Ihr | ||||||||
Schüler u. Verehrer | ||||||||
Iakob | ||||||||
Magister in Halle. | ||||||||
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