Kant: Briefwechsel, Brief 191, Von Friedrich Victor Leberecht Plessing. |
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Von Friedrich Victor Leberecht Plessing. | |||||||
15. April 1783. | |||||||
Wohlgeborner Hochgelahrter Herr, | |||||||
Verehrungswürdigster Menschenfreund, | |||||||
Dero gütige Antwort auf mein Schreiben vom 1 April, überzeugt | |||||||
mich von neuen, daß meine Idee die ich mir ehmals von dem Manne | |||||||
und Weltweisen Kant gemacht, kein bloßes Abstraktum gewesen: | |||||||
Nehmen Sie den innigsten Dank meines Herzens hin für die Theilnehmung, | |||||||
die Sie noch immer auf eine so edle Art an meinem Schiksaal | |||||||
nehmen - Wie süß wird mir nicht in meinem ganzen Leben | |||||||
das Andenken von Dero Nahmen seyn ! | |||||||
Die Nachricht die mir Ew. Wohlgeb. mitgetheilt hat mich sehr | |||||||
erfreut, freilig würde es mir noch angenehmer gewesen seyn, wenn ich | |||||||
auch zugleich hätte können in die philosophische Fakultät aufgenommen | |||||||
werden, um die Rechte Collegia zu lesen zu erlangen; doch ich muß | |||||||
mich hierin geben und zufrieden seyn mit den Rechten die mir die | |||||||
bloße Promotion ertheilt; in wie fern nun gewiße Rechte mit derselben | |||||||
verknüpft sind und ich mir dieselben zu nuz machen, oder sonst auf | |||||||
eine gute Art Gebrauch davon machen kann, dieses bitte ich Ew. Wohlgeb. | |||||||
gehorsamst mir zu melden, indem ich mich um alle dergleichen | |||||||
Dinge niemahls bekümmert, und darin gänzlich unwißend bin. Meinen | |||||||
gehorsamsten Dank sage ich Ew. Wohlgeb. und der philosophischen | |||||||
Fakultät zugleich auch für die Achtsamkeit und Rüksicht, die man in | |||||||
Absicht meiner darin genommen, mich wegen Einsendung einer besondern | |||||||
Dißertation zu dispensiren, und mit der eingesandten kleinen Abhandlung | |||||||
zufrieden zu seyn; mir entstehen dadurch große Vortheile, indem | |||||||
ich auf diese Weise nicht nur Kosten erspare, sondern auch verschiedne | |||||||
Wochen Zeit gewinne, die ich nun eher Preußen verlaßen kan, als | |||||||
woran mir viel gelegen, zumahl da ich nun eine sichre Zuflucht in | |||||||
meiner Eltern Haus habe. Mein Vater schrieb mir diesen lezten | |||||||
Posttag, daß er mich mit offnen Armen und tausend Freuden in sein | |||||||
Haus aufnehmen werde, da ich ihm Hoffnung gemacht, daß ich einen | |||||||
Grad von der Akademie vieleicht erhalten dürfte, indem auf diese | |||||||
Weise, den Leuten auf einmahl das Maul gestopft werde, und meine | |||||||
Ankunft weiter kein Aufsehn errege. | |||||||
Von hier gehe ich nach Koniz, allwo ich mich nun noch erst einige | |||||||
Wochen auch bei Verwandten aufhalten muß, ehe ich Preußen verlaße: | |||||||
doch werde ich nicht eher von hier abreisen und meine Ankunft dort | |||||||
melden, als bis ich das Diplom von Königsberg erhalten. Hiebei | |||||||
nehme ich mir die Freiheit beiläufig zu fragen, ob diejenigen welche | |||||||
abwesend die philosophische Doktorwürde erhalten, auch im Auditorio | |||||||
öffentlich, als wenn sie gegenwärtig wären, proklamirt werden. | |||||||
Heute werden auf die fahrende Post 40 rthlr gegeben, die Donnerstag | |||||||
Abend in Königsberg aber erst ankommen: diesen Brief aber erhalten | |||||||
Ew. Wohlgeb. durch die reitende Post schon Donnerstag früh, indem er | |||||||
Mitwoch abend an kommt, das Geld aber erst Freitag früh, die Absicht | |||||||
dieses Briefes gehet also dahin, Ew. Wohlgeb. gehorsamst zu | |||||||
bitten mir nur durch ein Paar Zeilen mit der Freitagschen | |||||||
reiten den Post zu melden , ob die Sache noch ganz gewiß vor | |||||||
sich geht, und die zukünftige Woche noch unter Dero Dekanat | |||||||
abgethan wird? denn diese frühere Nachricht von Ihnen will ich | |||||||
mir zu nuz machen, um damit ich izt in meinen Angelegenheiten, | |||||||
einen Posttag schon voraus schreiben kann, daß die Promotion würklich | |||||||
mit mir vorgehe, als woran mir sehr gelegen: In dieser Absicht hoffe | |||||||
ich auch, daß Ew. Wohlgeb. die Güte haben werden, die Sache so zu | |||||||
beschleunigen, daß die Ausfertigung, Donerstag Abend als den 24 April | |||||||
mit der fahrenden Post, an mich abgeschikt wird, weil ich alsdenn | |||||||
gesonnen bin, den 4 Mai von hier ab nach Koniz zu reisen. - Bei | |||||||
der Universität brauche ich nicht inscribirt zu werden, weil ichs schon | |||||||
bin, wie es das Buch bei der Universität ausweisen muß, meine Inscription | |||||||
selbst aber treibt sich unter meinen übrigen Schriften herum, | |||||||
und diese sind schon fortgeschickt. Mein Vornahme ist Friedrich | |||||||
Victor Leberecht, und mein Geburtsort Belleben im Saalkreise | |||||||
des Herzogthums Magdeburg. | |||||||
Was hat, HE Konsistorialrath Reccard auf mein Schreiben an | |||||||
ihn, Ew. Wohlgeb. geantwortet? - HE Haman hat mir aus Köngbg | |||||||
gemeldet, daß die bewußten Prolegomena von Ihnen heraus gekommen: | |||||||
sollten Ew. Wohlgeb. noch ein Exemplar übrig haben, so bitte ich mir | |||||||
zum Andenken von Denselben eins aus: und zur immerwährenden | |||||||
Darstellung mir, bitte ich Sie Ihren Nahmen auf dieses Exemplar zu | |||||||
schreiben; sollte Ew. Wohlgeb. von meinen Arbeiten irgendetwas in | |||||||
der Zukunft gefällig seyn, so werde ich mir die Freiheit nehmen, | |||||||
Exemplare davon dagegen zu übermachen: diesen Sommer werden zwei | |||||||
Bände philosophische Versuche von mir herauskommen, in denen ich | |||||||
das zusammensammle, was ich seit verschiednen Iahren hin und wieder | |||||||
einzeln gearbeitet; der eine Band kommt bei Dengel in Königsberg | |||||||
heraus, indem Wagner sein Recht auf gewiße Aufsäzze, die ich ihm | |||||||
wegen gewißer mir bewiesenen Gefälligkeiten in Verlag versprochen, | |||||||
an jenen abgetreten; der andere Band in der Buchhandlung der Gelehrten. | |||||||
Mein ganzes Arbeiten aber wird dahin gehn, wenn ich nach | |||||||
Hause komme, mein großes historisch philosophisches Werk auszuführen, | |||||||
als auf welches (: wenn mich meine Eitelkeit und Selbstliebe nicht | |||||||
hintergeht :) ich gewißermaßen mein Glük baue; die Meinungen die | |||||||
ich vortragen werde sind fast alle neu und ziemlich frappand, besonders | |||||||
meine Hypothese über das alte Aegypten, welches beinahe einen Band | |||||||
ausmachen möchte; doch werde ich suchen, meine Ausdrükke sehr zu | |||||||
mildern und manche meiner wahren Meinungen zu überschleiern (: so | |||||||
daß sie nur dem Weisen allein anschauend bleiben :) damit ich mir | |||||||
nicht zu sehr den geistlichen Haß zuziehe und dadurch ganz und gar | |||||||
Schaden an meiner Beförderung leide. Dürfte ich eine Bitte an Sie | |||||||
wagen? Vor einiger Zeit schon habe ich, was mir damahls von dem | |||||||
Inhalt dieser Schrift, so viel mir davon im Kopf war, aufgeschrieben, | |||||||
es ist einige Bogen stark, dies will ich Ihnen heut nebst dem Geld mit | |||||||
der fahrenden Post mitschikken; Ich bitte es mir daher als eine Wohlthat | |||||||
von Ihnen aus, verehrungswürdigster Menschenfreund, daß Sie | |||||||
mir ein Paar Stunden von Ihrer Zeit schenken, und diese Bogen des | |||||||
Durchlesens würdigen, und mir dann nur in Etwas Ihre Meinung | |||||||
schreiben und einige Winke geben; es wird mir dies aufs Höchste willkommen | |||||||
von Ihnen seyn, und theils mich aufmuntern, theils auch vieleicht | |||||||
meine Einsichten mehr berichtigen. Den Aufsaz selbst bitte ich | |||||||
mir aber zurük aus, weil ich es zur wiedererinnerung mancher Ideen | |||||||
brauchen dürfte. Mein Haupt=Zwek bei dieser Schrift ist, die so | |||||||
schwankenden und sich widerstreitenden Begriffe über die Religion mehr | |||||||
zu berichtigen, und zu zeigen: (besonders auch aus der Geschichte :) | |||||||
daß die Sazzungen und äußere Form der Religion nothwendig immer | |||||||
verändert und den Zeiten und Umständen angemeßner gemacht werden | |||||||
muß; über die Gesezgebung werde ich mich auch etwas ausbreiten, bei | |||||||
der Geschichte von Rom und Griechenland, deren Ursachen des Verfalls | |||||||
ich zu entwikkeln suche. Noch etwas: ich habe in der platonischen Philosophie, | |||||||
die Philosophie und Theologie der alten Aegypter entdekt, | |||||||
die in ihren höhern Mysterien gelehrt wurde: der Platonismuß in | |||||||
Absicht der Ideen, da die Seele als Ausfluß aus dem λογος betrachtet | |||||||
wird, die durch Entsagung des Körpers und der Sinnlichkeit wieder | |||||||
mehr in ihren ersten Ur=Zustand der Vollkommenheit zurükversezt und | |||||||
dadurch mit dem λογος vereinigt wird, dies ist die Geschichte des | |||||||
Osiris, des Osiris rediuiuus ; nur finden freilig große Zusäzze vom | |||||||
Plato und seine eigne Einkleidung hiebei statt; der Osiris der Aegypter | |||||||
ist der λογος des Plato und der λογος der Xsten: Wie vieles kann ich | |||||||
mir nicht beßer erklären nun im neuen Testament! das innere Licht, | |||||||
der neue Mensch, der innere Christus, das wiedergeboren werden u.s.w. | |||||||
alles dieses stammt aus den Aegyptischen Mysterien vom Osiris her; | |||||||
die Ganze Geschichte vom Sündenfall im alten Testament, ist ein Fragment | |||||||
aus der aegyptischen esoterischen Theologie, das Moses, der ein | |||||||
verstoßener Aegyptischer Priester war, (: wie die Nachrichten des Manetho | |||||||
aus dem Iosephus dies sehr warscheinlich machen :) unter die jüdische | |||||||
Nation die er stiftete gebracht hat. Doch ich werde suchen, mich sehr | |||||||
zu mäßigen damit ich nicht zu sehr anstoße durch mein freies Denken; | |||||||
und eben drum sage ich, daß ich hie und da werde überschleiern müßen: | |||||||
dies mußten die Weltweisen von je her thun, und eben daher entstanden | |||||||
die Mysterien. | |||||||
Das Vertrauen, daß ich zu Dero Weißheit und Rechtschaffenheit | |||||||
habe, läßt mich noch in einer Sache offenherzig zu Ihnen reden: Sie | |||||||
wißen, verehrungswürdiger Menschenfreund, wie nöthig zu meinem | |||||||
Glük mir's ist, daß ich izt bei meinem Eintritt in die Welt auf eine | |||||||
mir etwas vortheilhafte Art angekündigt werde, und zwar von Männern, | |||||||
die ein Wort zu sagen haben: Sie haben So viel zu meinem Besten | |||||||
gethan, dürften Sie daher auch wohl noch auf die gegenwärtige Bitte | |||||||
von mir Rüksicht nehmen? Wie wäre es, wenn sie meine herausgekommene | |||||||
Schrift über das Übel in einer Recension anzeigten, und | |||||||
sie etwa in die deutsche Bibliotek oder ein andres Iournal das im | |||||||
guten Ruf stehet anzeigten. Sie müßen mich nicht hier mißverstehen, | |||||||
theurester Mann - Ich verlange nicht ein Lob daß ich nicht verdiene; | |||||||
allein ohne daß ich gelobt werde, kann doch unter solchen Ausdrükken | |||||||
von mir geredet werden, die Vortheilhaft für mich seyn und die gelehrte | |||||||
Welt in gewißer Absicht mehr aufmerksam machen können; und | |||||||
eben dies können Sie nur allein, da Sie mich näher kennen, und so | |||||||
viele Umstände von mir wißen, dies aber andern gar nicht bekannt | |||||||
ist. Sollte aber die Erfüllung dieser Bitte im geringsten Ihrer | |||||||
Denkungsart entgegen streben, so stehe ich gleich von derselben ab. | |||||||
Auch nur in diesem einzigen Fall, da ich izt den ersten öffentlichen | |||||||
Schritt in die Welt thue, und ich wenig hohe Beförderer zu meinem | |||||||
Glük habe, sondern mich blos durch mich selbst helfen und durcharbeiten | |||||||
muß, konnte ich mir eine solche Bitte an Sie erlauben: unter | |||||||
andern als diesen Verhältnißen würde es von meiner Seite eine verspottungswerthe | |||||||
Eitelkeit zum voraus sezzen. Ich hoffe, daß Sie nunmehr | |||||||
mir diese Bitte nicht mißdeuten werden. | |||||||
Mein Vater hat mir geschrieben daß er mir einen Logis bei einem | |||||||
seiner Bekannten in Berlin ausmachen wolle: ich werde mich also | |||||||
dort wohl ungefehr 14 Tage aufhalten, und besonders bei dieser Gelegenheit | |||||||
die Bekanntschaft der Gelehrten suchen: dürfte ich mir daher | |||||||
nicht einige Emphelungsschreiben und Adreßen von Ihnen erbitten: | |||||||
es würde mir dies den Zutritt zu denselben um desto eher bahnen, | |||||||
und vieleicht auch in der Zukunft von guten Folgen für mich seyn: | |||||||
HE Kriegrath Dohm und HE von Irwing werden mir auch hiezu Gelegenheit | |||||||
geben; doch wird eine Emphelung aus Königsberg selbst wo | |||||||
ich herkomme, und zumahl vom Prof. Kant, im Stande seyn, mir eine | |||||||
noch weit günstigere Aufnahme zu verschaffen, und beßeres Vorurtheil | |||||||
gegen mich rege zu machen. Ich werde von Koniz aus noch einmahl | |||||||
an Ew. Wohlgeb. schreiben und die Zeit meiner Abreise melden, die | |||||||
zu Ausgang des Mais einfallen dürfte, und an diesen Ort (: nach | |||||||
Koniz :) würde ich also bitten daß Sie mir diese adreßen übermachten, | |||||||
wenn Sie anders auf diese Bitte Rüksicht nehmen sollten. | |||||||
HE Kanzler von Springer hat meinen Vater ausdrüklich ersucht, | |||||||
mich ia nach Hause kommen zu laßen, indem er ganz gewiß glaube | |||||||
mich nach einiger Zeit, (: zumahl wenn ich nur erst etwas mehr bekannt | |||||||
würde :) als ordentlicher akademischer Lehrer in Erfurt, Gießen | |||||||
oder Rinteln anzubringen: er hat auch selbst einen überaus höflichen | |||||||
und freundschaftlichen Brief an mich geschrieben. | |||||||
Und nun erlaße ich mich von Ihnen unter den Empfindungen | |||||||
der innigsten Verehrung, Liebe und Hochachtung als | |||||||
Ew. Wohlgeb. | |||||||
Graudenz | treugehorsamsten und immerdar verbundensten | ||||||
d. 15 April 83 | |||||||
Pl. | |||||||
In großer Eil kurz vor Abgang der | |||||||
reitenden Post. | |||||||
Die reitende Post war schon weg: dieser Brief geht also mit der | |||||||
fahrenden Post zugleich mit dem Gelde ab. | |||||||
Sie erhalten 46 rthlr; bitte gehorsamst 6 rthl davon an HE | |||||||
Pakhoffverwalter Haman nebst einliegendem Brief zu überschikken, indem | |||||||
derselbe für diese 6 rthl eine nothwendige Besorgung für mich | |||||||
zu übernehmen hat. | |||||||
in großer Eil. | |||||||
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