Kant: Briefwechsel, Brief 168, An Iohann Erich Biester. |
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An Iohann Erich Biester. | |||||||
Königsberg, d. 8ten Iuny 1781. | |||||||
Wohlgebohrner Herr Doctor. | |||||||
Geehrtester Freund. | |||||||
Daß Ew. Wohlgeb. die kleine Beyhülfe, die ich dem gutartigen | |||||||
Etner habe wiederfahren lassen, vor eine Ihnen selbst erzeigte Gefälligkeit | |||||||
aufnehmen, ist ein Beweis Ihrer gütigen Denkungsart u. verbindet | |||||||
mich zu allen Dienstleistungen, die Sie mir fernerhin aufzutragen | |||||||
belieben werden. Eben dieselbe mir sehr angenehme Gesinnung | |||||||
wird auch vermuthlich die mir von Ihnen gemeldete, aber mir noch | |||||||
nicht zu Handen gekommene Nachricht, wegen meiner Concurrenz mit | |||||||
dem seel. Lambert in Sachen der phys. Astronomie, in der deutschen | |||||||
Bibliothek hervorgebracht haben. Ich bin indessen wegen der Wirkung, | |||||||
welche die Anmerkung des Herrn Goldbeks bey einigen Recensenten | |||||||
thun möchte, etwas besorgt, weil ihm die Nachricht durch seinen hiesigen | |||||||
Freund der sie discursweise von mir empfangen und vermuthlich nicht | |||||||
genau gefaßt hatte, ertheilt war, darüber denn Hr. Goldbek, durch ebendenselben | |||||||
Freund, aufs neue bey mir Erkundigung einzog, die ich denn | |||||||
an diese vermittelnde Person ohngefehr in denselben Ausdrücken, | |||||||
als sie diesem Briefe angehängt ist , ertheilete, damit gedachter | |||||||
Hr. Goldbek davon, entweder in einer neuen Auflage seiner litterarischen | |||||||
Nachrichten, oder der nächsten Fortsetzung derselben Gebrauch machen | |||||||
könnte. Wolten Ew. Wohlgeb. mir die Freundschaft erzeigen diese | |||||||
hier angehängte Berichtigung vermittelst einer Introduction, die ich in | |||||||
Ihr Belieben stelle, in das nächste Stück der deutsch. Biblioth. einrücken | |||||||
lassen, so würde dadurch zeitiger allem Misverstande vorgebeugt | |||||||
werden. | |||||||
Was mich ietzt vorzüglich interessirt, ist: baldige Nachricht zu bekommen, | |||||||
ob das Dedications=exemplar von meiner Critik der r. Vernunft | |||||||
schon bei Ihro Exellenz HEn. v. Zedlitz durch Doctor Hertz | |||||||
abgegeben worden. Ich habe seit dem 8ten May keinen Brief von | |||||||
ihm und besorge, daß dieses Exemplar durch den Commissionair meines | |||||||
Verlegers (welcher letztere im Briefschreiben außerordentlich sparsam | |||||||
ist) entweder gar nicht, oder doch sehr spät an Hrn. Hertz abgegeben | |||||||
worden. Dieses Werk ist von mir zwar verschiedene Iahre durch wohl | |||||||
überdacht, aber nur in kurtzer Zeit in der gegenwärtigen Form zu | |||||||
Papier gebracht worden; weswegen auch theils einige Nachläßigkeiten, | |||||||
oder Uebereilungen der Schreibart, theils auch einige Dunkelheiten | |||||||
übrig geblieben seyn werden, ohne die Druckfehler zu rechnen, denen | |||||||
ich nicht abhelfen konnte, weil, wegen der Nahheit der Messe, das Verzeichnis | |||||||
derselben nicht gemacht werden konnte. Dem ungeachtet überrede | |||||||
ich mich kühnlich, daß dieses Buch alle Bearbeitungen in diesem | |||||||
Fache in einen neuen Weg leiten werde, und daß die darinn vorgetragene | |||||||
Lehren eine Beharrlichkeit hoffen können, die man bisher allen metaphysischen | |||||||
Versuchen abzusprechen gewohnt gewesen. Ich konnte die | |||||||
Ausgabe des Werks nicht länger aufhalten, um den Vortrag mehr zu | |||||||
schleifen und der Faßlichkeit zu näheren. Denn, da ich, was die Sache | |||||||
selbst betrift, nichts mehr zu sagen hatte und sich die Erläuterungen | |||||||
auch am besten geben lassen, wenn man durch die Beurtheilung des | |||||||
Publici auf die Stellen gewiesen worden, die ihrer zu bedürfen scheinen | |||||||
(daran ich es in der Folge nicht werde fehlen lassen), da ich hoffe, | |||||||
daß diese Sache noch verschiedene Federn und dadurch auch mich beschäftigen | |||||||
wird und überdem mein zunehmendes Alter (im 58sten Iahre) | |||||||
wegen besorglicher Krankheiten anrieth, das heute zu thun, was man | |||||||
vielleicht morgen nicht wird thun können: so mußte die Ausfertigung | |||||||
der Schrift ohne Anstand betrieben werden; ich finde auch nicht, da | |||||||
ich etwas von dem Geschriebenen zurück zu haben wünschete, wohl | |||||||
aber sich hin und wieder Erläuterungen, dazu mich aber der Ersten | |||||||
Gelegenheit zu Nutze machen werde, anbringen ließen. | |||||||
Unter den Fehlern, ich weiß nicht ob des Drucks oder meines | |||||||
Abschreibers, verdrießt mich der vorzüglich, der selbst in der Zuschrift | |||||||
begangen worden! Es solte nämlich in der sechsten Zeile heißen: durch | |||||||
das viel vertrautere Verhältnis. Allein vielleicht wird dieser Fehler | |||||||
von den mehresten Lesern übersehen, und wie ich mir schmeichle von | |||||||
Ihro Excell. zu gute gehalten werden. | |||||||
Dürfte ich mir also mit der nächsten umgehenden Post (unfrankirt) | |||||||
gütige Nachricht erbitten, wie es mit dem Auftrage, welchen Hr. Hertz | |||||||
ausrichten solte, stehe und solte wie ich gleichwohl kann vermuthen, | |||||||
auch ietzt das Erwartete nicht bestellet seyn, mich bei Ihro Excell. | |||||||
bestens zu entschuldigen. Ich bin mit der größten Hochachtung | |||||||
Ew. Wohlgeb. | |||||||
ergebenster treuer Diener | |||||||
I. Kant. | |||||||
Die Nachricht in Hrn. Goldbeks litterarischen Nachrichten von | |||||||
Preussen S. 248-49 zeigt die Spuhr einer gütigen, aber etwas zu | |||||||
vortheilhaften Gesinnung des Verfassers gegen seinen vormaligen Lehrer | |||||||
an. Meine Naturgesch. d. Himmels konte wohl niemals vor ein | |||||||
Product des Lambertschen Geistes angesehen werden, dessen tiefe | |||||||
Einsichten in der Astronomie sich so unterscheidend ausnehmen, da | |||||||
hierüber kein Misverstand obwalten kan. Dieser betrift allenfals die | |||||||
Priorität der Entstehung meines schwachen Schattenrisses, vor seinem | |||||||
meisterhaften und von niemand erborgten Abrisse des cosmologischen | |||||||
Systems, dessen Aussenlinien freylich mit jenem leicht zusammentreffen | |||||||
konten, ohne daß irgend eine andere Gemeinschaft, als die der Analogie | |||||||
mit dem Planetensystem, daran Ursache seyn dürfte; eine Anmerkung, | |||||||
die der vortrefliche Mann in einem Briefe machte, womit er mich im | |||||||
Iahre 1765 beehrte, als ihm diese Uebereinstimmung der Muthmaßungen | |||||||
zufälligerweiße bekannt geworden war. Uebrigens hat Hr. Bode in | |||||||
seiner sehr gemeinnützigen Anleitung etc., da er nicht die Absicht | |||||||
hatte, historische Unterschiede der daselbst vorgetragenen Sätze zu bemerken, | |||||||
meine Meinung von der Analogie der Nebelsterne, die, als | |||||||
elliptische Gestalten erscheinen, mit einem Milchstraßensystem unter | |||||||
denen Ideen, die unserer Hypothese gemein waren, mitfortlaufen | |||||||
lassen, obgleich Hr. Lambert darauf nicht Rücksicht genommen. hatte, | |||||||
sondern unsere Milchstraße selbst da, wo sie gleichsam Absätze zeigt, in | |||||||
mehrere Stufen von Milchstraßen abtheilt; die elliptische Gestalt von | |||||||
jenen aber macht einen wesentlichen Grund der Vermuthung aus, die | |||||||
ich von der Milchstraße, als einem bloßen Gliede eines noch größeren | |||||||
Systems ähnlicher Weltordnungen, wagte. Doch es ist die Berichtigung | |||||||
des Antheils an Muthmaßungen, die wohl jederzeit Muthmaßungen | |||||||
bleiben werden, nur von geringer Erheblichkeit. | |||||||
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