Kant: Briefwechsel, Brief 143, Von Marcus Herz.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Marcus Herz.      
           
  24. Nov. 1778.      
           
  Hochzuehrender Herr Profeßor      
  Verehrungswürdiger Lehrer      
           
  Ich bin schon wieder da und mahne. Nicht wahr theurster Mann,      
  ich bin ein ungestümer Mensch? - Entschuldigen Sie mich mit der      
           
  Voraussetzung, daß ich den Mann kenne, den ich es wage zu ungestümmen;      
  es dürfte kein anderer seyn als der beständig im Mittelpunkt      
  meines Kopfs u. meines Herzens sitzt und residirt!      
           
  Ich genieße diesen Winter eine Glückseligkeit, zu welcher meine      
  Phantasie nie in ihren Wünschen hatte versteigen können. Ich verkündige      
  heute bereits zun zwanzigsten mahl ofentlich Ihre philosophische      
  Lehren mit einem Beyfall, der über alle meine Erwartung gehet. Die      
  Anzahl meiner Zuhörer nimt täglich zu, sie ist schon bis auf einige      
  u. dreyßig herangewachsen, lauter Leute vom Stande und Gelahrte      
  von Profeßion. Profeßores der Medizin, Prediger Geheimräthe, Bergräthe,      
  u. s. w. unter denen unser würdiger Minister das Haupt ist;      
  er ist imer der erste auf meiner Stube u. der letzte der hinweg gehet,      
  und hat bisher, so wie keiner von den übrigen noch nie eine Stunde      
  versäumt. Ich muß es gestehen mein theurster Lehrer, daß dieses      
  Collegium von vielen Seiten betrachtet, eine der merkwürdigsten Erscheinungen      
  ist; und es vergehet kein Tag, wo ich nicht darüber nachdenke,      
  wie unmöglich es ist, daß ich durch alle meine Handlungen in      
  der Welt, den zehnten Theil der Glückseligkeit Ihnen vergelten könnte,      
  die ich durch Sie, bloß u. allein durch Sie, in einer einzigen Stunde genieße!      
           
  Ich habe nun die helfte der Logic zurückgelegt, u. denke bis      
  Januarius mit der andern Helfte zu Ende zu kommen. Ich besitze      
  einige sehr vollkommene Heften Ihrer logischen Vorlesungen, u. diesen      
  habe ich den Beyfall zu danken; nur hier u. da haben mich Ihre so      
  fruchtbarn Ideen, auf Aussichten geführt, die meinen Zuhörern gefallen.      
  Der Grund zu allen liegt in Ihnen.      
           
  Es wird nunmehr lediglich von Ihnen abhängen, ob ich mich in      
  der Metaphisick werde erhalten könen. Ich besitze auch nicht einmahl      
  unvollständige Abschriften von Ihren Vorlesungen; u. gleichwohl wird      
  mir das ganze Geschäfft ohne diese fast unmöglich werden. Von Grund      
  auf, so ganz ungerichtet, allein zu bauen, dazu habe ich weder Kräfte,      
  noch Zeit davon der größte Theil von meinen praktischen Geschäfften      
  mir entrissen wird.      
           
  Ich bitte also nochmahls, mir mit erster Post, wenn es nun mit den      
  sehr vollständigen Heften schon noch einigen Anstand haben muß, wenigstens      
  einige unvollständigen zu schicken. Die Verschiedenheit, denke ich, wird die      
  Unvollständigkeit einigermaßen ersetzen; indem jeder doch Etwas anders      
  sich merkt. Vorzüglich bitte ich vor der Hand um eine Ontologie u. Cosmologie.      
           
           
  Ich bin so frey Ihnen im voraus einen jungen Kurländischen      
  Edelman H. von Nolte der hierdurch reiset zu empfehlen. Es ist ein      
  sehr geschickter wohlgezogener junger Mann, der ein Iahr in franzosischen      
  Diensten stand u. nun in rußische gehet. Er bringt Ihnen      
  noch Etwas zu Ihrer Gelehrtensammlung gehöriges mit.      
           
  Aus einigen Briefen die H. Kraus an seine Freunde geschrieben,      
  sehe ich, wie sehr der gute Mann, wegen seines hiesigen Aufenthalts      
  verlegen ist. Haben Sie die Güte, u. versichern denselben, daß ich      
  alles anwenden werde, denselben so wohlfeil zu machen als möglich.      
  Bey Friedländer soll er freyen Tisch haben, u. für freyes Logis ist      
  gleichfals schon gesorgt.      
           
  Ich bin u. werde Zeitlebens mit der großten Hochachtung seyn      
           
  Berlin d. 24t 9br. 1778. Ew Hoch Wohlgebohren      
    ergebenster Diener      
    M. Herz      
           
           
           
     

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