Kant: Briefwechsel, Brief 140, An Marcus Herz.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Marcus Herz.      
           
  28. Aug. 1778.      
           
  Würdigster Freund      
           
  Ihrem Verlangen, vornemlich bey einer Absicht, die mit meinem      
  eigenen Interesse in Verbindung steht, zu willfahren, kan mir nicht      
           
  anders als sehr angenehm seyn. So geschwinde aber, als Sie es      
  fodern, kan dieses unmöglich geschehen. Alles, was auf den Flei      
  und die Geschiklichkeit meiner Zuhörer ankömmt, ist iederzeit mißlich,      
  weil es ein Glück ist, in einem gewissen Zeitlaufe aufmerksame und      
  fähige Zuhörer zu haben und weil auch die, so man vor kurzem gehabt      
  hat, sich verstieben und nicht leicht wieder aufzufinden seyn.      
  Seine eigene Nachschrift wegzugeben, dazu kan man selten einen bereden.      
  Ich werde aber zusehen es so bald als möglich auszuwirken. Von      
  der Logik möchte sich noch hie oder da etwas ausführliches finden.      
  Aber Metaphysik ist ein Collegium, was ich seit den letztern Iahren      
  so bearbeitet habe, daß ich besorge, es möchte auch einem scharfsinnigen      
  Kopfe schwer werden, aus dem Nachgeschriebenen die Idee praecise {      
  herauszubekommen, die im Vortrage zwar meinem Bedüncken nach verständlich      
  war, aber, da sie von einem Anfänger aufgefaßt worden und      
  von meinen Vormaligen und den gemein angenommenen Begriffen      
  sehr abweicht, einen so guten Kopf als den Ihrigen erfodern würde,      
  systematisch und begreiflich darzustellen.      
           
  Wenn ich mein Handbuch über diesen Theil der Weltweisheit, als      
  woran ich noch unermüdet arbeite, fertig habe, welches ich ietzt bald im      
  Stande zu seyn glaube, so wird eine iede dergleichen Nachschrift, durch      
  die Deutlichkeit des Planes, auch völlig verständlich werden. Ich      
  werde mich indeß bemühen, so gut als es sich thun läßt, eine Ihren      
  Absichten dienliche Abschrift aufzufinden. HE. Kraus ist seit einigen      
  Wochen in Elbing, wird aber in kurzem zurückkommen und ich werde      
  ihn darüber besprechen. Fangen Sie immer nur die Logik an. Binnen      
  dem Fortgange derselben werden die materialien zu dem übrigen      
  schon gesammelt seyn. Wiewohl, da dieses eine Beschäftigunrg des      
  Winters werden soll, so kan dieser Vorrath vielleicht noch vor Ablauf      
  des Sommers herbeygeschaffet werden und ihnen Zeit zur Vorbereitung      
  geben. Herr Joel sagt, daß er mich gesund gelassen und das bin ich      
  auch, nachdem ich mich schon viele Iahre gewöhnt habe, ein sehr eingeschränktes      
  Wohlbefinden, wobey der großte Theil der Menschen sehr      
  klagen würde, schon vor Gesundheit zu halten und mich, so viel sich      
  thun läßt, aufzumuntern, zu schonen und zu erholen. Ohne dieses      
  Hindernis würden meine kleine Entwürfe, in deren Bearbeitung ich      
  sonst nicht unglüklich zu seyn glaube, längst zu ihrer Vollendung gekommen      
           
  seyn. Ich bin mit unwandelbarer Freundschaft u. Zuneigung      
           
    Ihr        
    ergebenster        
  Koenigsberg   I Kant      
  d. 28 Aug. d. 28 Aug. N. S. Haben Sie meinen an Sie        
  1778. 1778. etwa vor 1/2 Iahr abgelassenen Brief        
    mit einem Einschluße an Breitkopf in Leipzig        
    auch erhalten?        
           
           
           
     

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