Kant: Briefwechsel, Brief 122, An Ioachim Heinrich Campe.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Ioachim Heinrich Campe.      
           
  31. Oct. 1777.      
           
  Verehrungswürdiger Freund!      
           
  Mit dem größesten Bedauren habe ich die Entschließung vernommen,      
  die Ihnen die Sorge vor die Selbsterhaltung abgedrungen hat, das      
  Philanthropin seinem Schiksale zu überlassen und sich mit den Ihrigen      
  vor dem Untergange zu retten. Welche Vorstellung muß man sich von      
  der menschlichen Natur, oder vielmehr von der äußersten Verwarlosung      
  derselben machen, wenn das Publikum unserer Zeit es mit Gleichgültigkeit      
  ansehen kan, daß ihm zum Besten vereinigte Männer unter      
  der Last der Arbeiten aus Mangel der Unterstützung erliegen müssen?      
           
  Ietzt ist die Frage, ob, wenn Sie ihre Kräfte und Munterkeit      
  des Geistes, wie ich hoffe, vollig wieder hergestellet haben werden, das      
  Philanthropin bessere Zeiten und hinreichende Unterstützung erhalten      
           
  haben wird, so, daß Sie hoffen können, in gemächlichere und weniger      
  erschöpfende Arbeit wiederum einzutreten. Ist dieses, so werden um      
  der Wichtigkeit des Instituts Willen, dem Sie sich so uneigennützig      
  gewidmet haben, alle Rechtschaffene wünschen, daß Sie sich diese Erholung      
  bis solange erlauben, um eine menschlichen Kräften mehr      
  angemessene Arbeit bald darauf mit erneuerter Munterkeit vorzunehmen.      
  Solte dieses aber, wie ich traurig besorge, nicht mit Grunde,      
  wenigstens so bald nicht, zu hoffen seyn, würde es denn wohl rathsam      
  seyn, diese Zeit hindurch mit dem Mangel zu kämpfen, um nach einiger      
  Ruhe wiederum eben dieselbe erschöpfende Arbeit zu übernehmen? So      
  herzlich meine Wünsche auch auf das Beste des Philanthropins gehen,      
  so scheint es mir doch, daß man lieber den Mann erhalten, als in ihm      
  dem Institute ein am Ende doch fruchtloses Opfer bringen müsse.      
           
  In dieser Betrachtung, die mir bey Lesung Ihres Briefes auffiel,      
  beschlos ich Ihnen einen Vorschlag, der sich mir in ganz natürlicher Weise      
  darboth, so eilig wie möglich mitzutheilen; damit Sie davon, nach      
  Dero wohlmeinender und kluger Uberlegung, nach Belieben Gebrauch      
  machen könten.      
           
  Es ist hier in Königsberg die Stelle eines Oberhofpredigers und      
  Generalsuperintendenten von Ost= und Westpreussen schon seit geraumer      
  Zeit ledig, nachdem H. D. Starck um gewisser Privatuneinigkeit      
  willen und selbst, nach dem Urtheile aller seiner Freunde, ohne einige      
  wichtige Ursache, es müste denn sein Wiederwille gegen das Predigtamt      
  überhaupt seyn, seine dimission genommen, um an das Mitauische      
  Gymnasium als Professor zu gelangen. Durch diese Abdication scheint      
  diese sehr gute Stelle auswärtig in Nachrede gebracht zu seyn, so, da      
  noch bis ietzt keiner dazu hat ausfindig gemacht werden können, der      
  sich dazu qvalificirte und sie hätte annehmen wollen, (denn hier ist      
  niemand der dazu schicklich wäre) ausser einem gewissen conrector in      
  Brandenburg, der dazu in Vorschlag gebracht worden, aber von dem      
  Könige mit der Bemerkung ausgeschlagen worden: daß die Stelle,      
  welche der Oberhofprediger Qvandt bekleidet hätte, durch keinen conrector      
  besetzt werden könte.      
           
  Diese Stelle trägt, wenn die Profession eines Professoris Theologiae      
  Ordinarii , welche auch vacant ist, damit verbunden wird, wie ich glaubwürdig      
  vernommen, auf 1200 rthlr. und ohne dieselbe über      
  800 rthl. Es gehöret dazu auch eine sehr schöne Wohnung auf      
           
  dem sogenannten Bischofshofe. Sie ist die vornehmste geistliche Stelle      
  im Lande und nicht eben mit Arbeit überhäuft und giebt dem, der sie      
  bekleidet, den größesten Einflus auf die Verbesserung des Schulwesens      
  im Lande, wenn er in Ansehung desselben Einsichten hat und sich damit      
  befassen will.      
           
  Wie wäre es, wenn, im fall sich Ihnen nicht etwa in Ansehung      
  des Philanthropins günstigere Aussichten darstellen, Sie einem Ihrer      
  Freunde in Berlin ihre Gesinnung hierüber mittheilen möchten, der dem      
  Ministre davon nur einen Wink geben dürfte, um es dahin zu bringen,      
  daß man Ihnen diese Stelle von selbst antrüge. Wenngleich das      
  Schiff was Sie verlassen dadurch seinen Hauptmann verliert, so wird      
  es vielleicht doch noch einen guten Steuermann auf sich haben, der      
  seinen Lauf so lange lenckt, bis ein neues Oberhaupt vor dasselbe ausgefunden      
  wird. Die emolumente der vorgeschlagenen Stelle habe ich      
  ehe zu niedrig als zu hoch angesetzt und, dazu zu gelangen, bedarf es      
  von Ihrer Seite keine Bewerbungen, von Seiten des publici aber      
  darf ich wohl voraus versichern, daß es ihm zum allgemeinen Wohlgefallen      
  gereichen würde, einen so berühmten als geliebten Lehrer zu bekommen.      
           
  Und nun, geehrtester Freund: können Sie sich vor die Zukunft      
  im Philanthropin mit einiger Warscheinlichkeit günstigere Zeitläufte      
  vor Ihre und des Instituts Erhaltung versprechen, so ist es ruhmwürdiger      
  Sich demselben vorzuspahren; wo nicht, so haben Sie hier      
  Gelegenheit Sich wegen Ihrer häuslichen Pflichten ausser Unruhe zu      
  setzen und dennoch vielleicht etwas auszufinden, was jene Anstalt im      
  Fortgange erhalten könte.      
           
  Ich werde meine andre Arbeit eine Zeitlang zur Seite legen, um      
  etwas vor Ihre Unterhandlungen abzufassen und nächstens zuzuschicken,      
  ob ich zwar nicht weiß, wie fern mir die pädagogische Schreibart gelingen      
  möchte. Mit unveränderlicher Hochachtung u. Freundschaft bin      
  ich iederzeit      
           
  Koenigsberg Ihr      
  d. 31 Oct: 1777. treuer Diener      
    I Kant      
           
           
           
           
     

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