Kant: AA XIX, Erläuterungen zu A. G. Baumgartens ... , Seite 312 |
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01 | als ein Betrüger nichtswürdig oder als ein Dieb hängenswerth | ||||||
02 | seyest, ob du gleich, weil es keiner gewahr wird, nicht verachtet, nicht | ||||||
03 | von Menschen gemieden und nicht gehangen wurdest, so sehr du es auch | ||||||
04 | verdientest. | ||||||
05 | 5) Wie nennt man den Zustand, da alle Wünsche eines Menschen | ||||||
06 | (g auch allenfalls ohne sein Zuthun ) befriedigt werden? -- --- Ich weiß | ||||||
07 | nicht --- --- Glükseelichkeit; weil alles solches von Glück herrührt. | ||||||
08 | 6) Also könntest du im hochsten Grade glücklich aber doch mit dir | ||||||
09 | Selbst im hochsten Grad unzufrieden seyn und warum das? Weil du dir | ||||||
10 | bewust bist und selbst sagest, daß du dieser Glückseeligkeit nicht würdig. | ||||||
11 | 7) Kan wohl ein Anderer, der nämlich dich glücklich macht, dich auch | ||||||
12 | der Glückseeligkeit würdig machen, oder mußt du es selbst seyn, der sich | ||||||
13 | so verhält, daß er ihrer würdig wird? --- --- Ich muß es selbst seyn. | ||||||
14 | 8) Was würde also wohl der erste aller deiner Wünsche seyn müßen, | ||||||
15 | glücklich oder der Glückseeligkeit würdig zu seyn? Das Letztere Würdig | ||||||
16 | zu seyn, d. i. so zu handeln, daß ich wenigstens ihrer nicht unwürdig | ||||||
17 | sey. --- --- Weil du es selbst thun mußt, so bist du frey. | ||||||
18 | 9) Also ist es ein Gesetz in dir und deiner Vernunft, welches alle | ||||||
19 | deine Wünsche an die Forderung bindet, so zu handeln, daß etc. und das, | ||||||
20 | was du dazu thun mußt, heißt Pflicht, S. V: welches Wort bedeutet, daß | ||||||
21 | du, was dieses Gesetz sagt, thun mußt ohne vorher nach dem Vortheil zu | ||||||
22 | fragen, den du davon haben mögtest, und selbst wenn du dabey deine | ||||||
23 | größte Vortheile aufopfern solltest, überhaupt auch die Handlung höchst | ||||||
24 | beschwerlich und unangenehm wäre; --- --- denn nach einem solchen Gesetz | ||||||
25 | heißt es: du sollst nicht lügen! -- --- Kanst du nun noch wohl fragen, | ||||||
26 | was würde es mir für Schaden bringen, wenn man löge, oder ist nicht | ||||||
27 | bisweilen durch einen Mund voll lügen ein Ansehnlicher Gewinn zu | ||||||
28 | machen? Denn wenn du nicht sofort, als du deine Absicht nur durch Lügen | ||||||
29 | erreichen kannst, so diese ohne Bedenken lieber aufgiebst, sondern nur | ||||||
30 | noch bey dir berathschlagst, ob du dich nicht zur Lüge entschließen sollst, | ||||||
31 | bist du ein Nichtswürdiger. | ||||||
32 | Von nun an siehe höre mein Kind nicht mehr nach der Syrenenstimme | ||||||
33 | der Glückseeligkeit, wenn sich die Stimme der Pflicht hören läßet. | ||||||
34 | Diese ist ein Heiligthum. | ||||||
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