Kant: AA XIX, Erläuterungen zu A. G. Baumgartens ... , Seite 281 |
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01 | ist es verstekte Reflexion über die Schädlichkeit, ist es Furcht vor | ||||||
02 | einem unsichtbaren Richter? denn Gewonheit kan es nicht seyn, weil sie | ||||||
03 | sonst nicht allgemein und unbezwinglich seyn würde. | ||||||
04 | Da die Frage ist, ob meine Freyheit in diesem Puncte durch nichts | ||||||
05 | eingeschränkt sey, so finde vermuthe ich einen Grund der Auflösung derselben, | ||||||
06 | der nicht blos auf diesen fall, sondern überhaupt auf freyheit geht. | ||||||
07 | Freyheit ist an sich selbst ein Vermögen, unabhängig von empirischen | ||||||
08 | Gründen zu thun und zu lassen. Also kan es keine Gründe geben, welche | ||||||
09 | uns in allen dergleichen Fällen empirisch zu bestimmen das Gewicht hätten. | ||||||
10 | Die Frage ist also: wie darf ich mich meiner freyheit überhaupt bedienen? | ||||||
11 | Ich bin frey aber nur vom Zwange der Sinnlichkeit und nicht, kan aber | ||||||
12 | nicht zugleich von einschränkenden Gesetzen der Vernunft frey seyn; denn | ||||||
13 | eben darum, weil ich von ienem frey bin, muß ich unter diesen stehen, weil | ||||||
14 | ich sonst von meinem eigenen Willen nicht sagen kan. Nun muß mir dieienige | ||||||
15 | Ungebundenheit, dadurch ich wollen kan, was meinem Willen selbst | ||||||
16 | zuwieder ist, und ich keinen sicheren Grund habe, auf mich selbst zu rechnen, | ||||||
17 | im höchsten Grade misfällig seyn, und es wird a priori ein Gesetz als | ||||||
18 | nothwendig erkannt werden müssen, nach welchem die freyheit auf die Bedingungen | ||||||
19 | restringirt wird, unter denen sie (g der Wille ) mit sich selbst | ||||||
20 | zusammen stimmt. Diesem Gesetze kan ich nicht entsagen, ohne meiner | ||||||
21 | Vernunft zu wiederstreiten, welche allein practische Einheit des Willens | ||||||
22 | nach principien festsetzen kan. Diese Gesetze bestimmen einen Willen, den | ||||||
23 | man den reinen Willen nennen kan, der vor allem empirischen vorausgeht, | ||||||
24 | und bestimmen ein reines practisches Gut, welches das hochste obgleich | ||||||
25 | nur formale Gut ist, weil es von uns selbst geschaffen mithin in unserer | ||||||
26 | Gewalt ist und auch alles empirische, so fern es in unserer Gewalt ist, | ||||||
27 | der Einheit nach in Ansehung des vollständigen Guts, nämlich einer reinen | ||||||
28 | Glückseeligkeit, moglich macht. Wieder diese Regel muß keine Handlung | ||||||
29 | streiten; denn alsdenn streitet sie mit dem Princip der Selbstzufriedenheit, | ||||||
30 | welche die Bedingung aller Glückseeligkeit ist, sie mag nun a posteriori | ||||||
31 | verschaft werden oder auch a priori in unserer Denkungsart beruhen, auf | ||||||
32 | andere oder auf uns selbst gehen. Diese Beschaffenheit der freyen Willkühr | ||||||
33 | bestimmt des Menschen persönlichen und absoluten Werth. Das übrige, | ||||||
34 | was ihm innerlich ist, nur seinen bedingten, sofern er nämlich sich seiner | ||||||
35 | Talente wohl bedient. Auch ist er nur sofern der Mittel zur Glückseeligkeit | ||||||
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