Kant: AA XV, Reflexionen zur Anthropologie. , Seite 162 |
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01 | davon den Grund enthalten: so erkennet man die Vollkommenheit. Dieses | |||||||
02 | heißt beurtheilen. Ein Vogel, der sich eine Stelle zum Nest aussucht, | |||||||
03 | nimmt wohl wahr, ob alles zusammenstimt, ihm seine Wohnung verborgen, | |||||||
04 | trocken und fest zu erhalten. Ein Hund, der einem Wilde nachsetzt, beurtheilt | |||||||
05 | die beste Wege, ihm beyzukommen. Diese Beurtheilung ist durch | |||||||
06 | die untere Erkentnißkraft Gantz wohl möglich. Allein damit man warnehmen | |||||||
07 | könne, was denn der Grund von einem in sich enthalte, so muß | |||||||
08 | neben gewißen Empfindungen schon ofters eine gewiße Empfindung zugleich | |||||||
09 | wargenommen worden seyn; alsdenn wird man die erstere als den | |||||||
10 | Grund der andern und zu dieser Zusammenstimmend ansehen. Wenn ein | |||||||
11 | Thier ein Beurtheilungsvermögen zeigt, auch wo es keine vorhergegangene | |||||||
12 | Erfahrungen gehabt hat. Als ein junger Vogel in Erbauung eines Nestes: | |||||||
13 | so zeigt dieses eingepflantzte Triebe an. | |||||||
14 | Wenn jemand abnehmen kan, wie das Gegenwärtige zu dem vermutheten | |||||||
15 | Künftigen Zusammenstimme, so hat er ein practisches judicium. | |||||||
16 | e. g. Wer den zusammenhang der Handlungen einsieht, die zu Ansehen | |||||||
17 | S. IV: und Glücksgütern führen. Mancher kan die Zusammenhangstimmung | |||||||
18 | der verschiedenen Erkentniße zu den Regeln der logischen | |||||||
19 | Vollkommenheit richtig einsehen, aber dieses hilft seiner Vermuthung des | |||||||
20 | Künftigen nichts. Also hat er alsdenn ein bloß theoretisches judicium. | |||||||
21 | Ein Staatskundiger kan alle Regeln der Staatskunst gut inne haben; | |||||||
22 | wenn er aber nicht wohl einsieht, wie es auf künftige Begebenheiten führe, | |||||||
23 | so ist er ein blos theoretischer Staatskundiger. Denn weil er alsdenn | |||||||
24 | gantz was anders vermuthen wird, als was sich hernach wirklich zuträgt, | |||||||
25 | so zeigt er in der Ausübung keine pracktische Wißenschaft. | |||||||
26 | Eine durchdringende Urtheilskraft sieht bald ein, wohin Dinge zusammenstimmen: | |||||||
27 | Was die Maasregeln eines Menschen vor Absichten | |||||||
28 | haben; ob eine Lebens Art werde zu einem Guten oder Bösen Ausgange | |||||||
29 | führen, wenn gleich die Gründe, die diese zusammenstimmung veranlaßen, | |||||||
30 | nicht sehr leicht wargenommen werden. | |||||||
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32 | Die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit eines Dinges warzunehmen, | |||||||
33 | muß eines vorgestellt werden als dasjenige, welches aus gewißen | |||||||
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