Kant: AA XII, Briefwechsel undatiert , Seite 351 |
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01 | Gespräch eines Heydnischen Printzen | ||||||
02 | von der Christlichen und seiner Heydnischen Religion. | ||||||
03 | Unlängst meldete sich bey mir ein ansehnlicher frembder Herr! als | ||||||
04 | ich ihn nun nöthigte einzutreten, sprach er: Mein Herr da ich von | ||||||
05 | Deßen Redlichkeit vieles gehöret habe, so habe mir die Freyheit genommen | ||||||
06 | Sie zu besuchen, hoffend Sie werden mir diese Kühnheit nicht übel | ||||||
07 | deuten etc. Nach gewechselten Complimenten bate ich ihn Nieder zu | ||||||
08 | sitzen, und zugleich mir zu erklären mit wem ich spreche. Er antwortete: | ||||||
09 | ich reise incognito und habe mir zwar vorgenommen weder meinen | ||||||
10 | Stand noch meinen Nahmen jemanden zu offenbahren, welches auch | ||||||
11 | bißhero gehalten habe, da ich aber von Dero Verschwiegenheit und | ||||||
12 | Redlichkeit versichert bin, so will ich ihnen aufrichtig so wohl meinen | ||||||
13 | Stand als meinen Nahmen entdecken. Ich bin ein eintziger Sohn eines | ||||||
14 | großen Fürsten in der Cathayschen Tartarey, und mein Nahme ist | ||||||
15 | Jurgulan. Ich fragte ihn hierauf was ihn denn zu so einer fernen | ||||||
16 | Reise bewogen hätte? Er antwortete: Ich war Zehn Iahr alt als mein | ||||||
17 | Vater einen Christlichen Sclaven überkam, welcher ein gelehrter Mann | ||||||
18 | war, und der Teutschen, Frantzösischen Italienischen, Portugesischen und | ||||||
19 | Lateinischen Sprache kundig. Mein Vater gewan ihn Lieb, und weil | ||||||
20 | er in seiner Iugend das Chinesische Japanische und andre Indianische | ||||||
21 | Reiche durchreiset hatte, und meine Zuneigung zu Wißenschafften kante, | ||||||
22 | so setzte er mir diesen Mann welcher sich Engelbert nannte zu meinem | ||||||
23 | Lehrer vor. Ich wurde ihm sehr gewogen, und bezeugte große Lust | ||||||
24 | am ersten die Lateinische Sprache zu lernen, mit welcher ich auch in | ||||||
25 | zwey Iahren nicht allein fertig war, sondren er hat mir dabey auch | ||||||
26 | in Nebenstunden zugleich die Italienische und Frantzösische Sprache beygebracht, | ||||||
27 | mit der Deutschen Sprache hielte es etwas schwärer, dennoch | ||||||
28 | hatte ich es in folgenden drey Iahren so weit gebracht daß ich fertig | ||||||
29 | mit ihm sprechen könte, bey dieser Sprach=lnformation erzählte mir | ||||||
30 | auch oft etwas von der Christlichen Religion auf welches ich sehr genau | ||||||
31 | aufmerckte, und große Lust empfande die Christenheit selbst zu sehen, | ||||||
32 | und diese Religion zu untersuchen, Indeßen unterwiese mich mein | ||||||
33 | Engelbert in der Geographie und andren Mathematischen und Philosophischen | ||||||
34 | Wißenschafften, vergaß auch nicht immer was Theologisches | ||||||
35 | zu untermischen, und meine Begierde die Christenheit zu sehen wurde | ||||||
36 | immer größer. Ich offenbarte dieses meinem Lehrer, und sagte ihm | ||||||
37 | zugleich, daß ich meinen Vater bitten wolte, damit er mich einige Iahre | ||||||
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