Kant: AA XII, Briefwechsel 1799 , Seite 286

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Lehren in dem Studium des Faches wovon ich Profession mache, mir die      
  02 sicherste Leitung gewähren; der aber außer dem Verdienste um meine      
  03 Ausbildung, mir auch behülflich war, auf einen Standpunkt zu gelangen,      
  04 von welchem aus ich auf einen größern Kreis für die Menschheit      
  05 wirksam seyn kann.      
           
  06 Sehr oft habe ich Gelegenheit, mich zu erinnern und mich glücklich      
  07 zu schätzen, daß ich Ihre Lehren aus Ihrem Munde hörte. Zwar      
  08 gibt es der Freunde der Weisheit hier, wie überall nicht viele; indessen      
  09 habe ich doch an dem hiesigen Professor der Wohlredenheit HErrn      
  10 Sahlfeldt einen fleißigen, denkenden und tiefeindringenden Leser Ihrer      
  11 Werke gefunden. Er hat vorzüglich versucht, die Grundsätze der kritischen      
  12 Philosophie auf die Erfindung einer allgemeinen Theorie der Sprache      
  13 anzuwenden und äußert zuweilen den Wunsch seine Versuche, wenn er      
  14 dieselben sorgfältig geordnet und noch reiflicher durchdacht haben wird,      
  15 Ihrem Urtheil zu unterwerfen, ehe er dieselben dem großen Publikum      
  16 mittheilt. Ihre Humanität hat mich bewegt, HErrn Sahlfeldt hoffen      
  17 zu lassen, daß Sie diesen Beweis seines Zutrauens nicht für Zudringlichkeit,      
  18 sondern für das, was es wirklich ist, bescheidenes Mistrauen      
  19 in seine Kräfte ansehen werden und diese Aussicht stärkt und ermuntert      
  20 ihn bey der Fortsetzung seiner angefangenen Arbeit. Ob ich zuviel      
  21 habe hoffen lassen, darüber erwarte ich Ihre Entscheidung.      
           
  22 HErrn S's und einiger meiner andern Mitarbeiter Fleiß hat unser      
  23 Gymnasium, welches sonst kaum 10 Zöglinge zählte zu einer neuen      
  24 Blüte gebracht. Wir haben itzt deren 40 und darunter einige geist      
  25 und talenvolle Köpfe, welche großentheils das Verbot des Studierens      
  26 auf auswärtigen Universitäten sehr ungern ertragen und bey uns einigen      
  27 Ersatz suchen. Es thut mir wehe diese treflichen Iünglinge theils durch      
  28 den Mangel an litterärischen Hülfsmitteln, theils durch die zu geringe      
  29 Anzahl der Lehrer zurükgehalten zu sehen. Mit der neuen Universität      
  30 zu Dorpat ist die Sache noch ziemlich weit aussehend - Zwar kommt      
  31 in diesen Tagen die Einrichtungs Commission der 3 Ritterschaften zusammen,      
  32 allein es ist leichter eine Armee von 10000 Mann anzuwerben,      
  33 als eine gute Universität zu Stande zu bringen, zumal wenn      
  34 diese die Stelle mehrerer vortreflichen ersetzen soll. Man glaubte Anfangs,      
  35 unser Gymnasium würde aufgehoben werden, und den Professoren      
  36 wolle man Stellen in Dorpat anweisen, allein itzt ist es gewis,      
  37 daß es in seiner bisherigen Verfassung als Provincial Seminarium      
           
     

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