Kant: AA XII, Briefwechsel 1798 , Seite 272 |
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01 | Glocke der Luftpumpe athmen und singen sollen. Das können doch höchstens | ||||||
02 | nur Frösche -. Nun will ich es gar nicht leugnen daß es von | ||||||
03 | jeher viel theologische Frösche gegeben hat und auch noch giebt, die in | ||||||
04 | finstern Sümpfen qvacken. Aber sind und sollen denn alle Theologen | ||||||
05 | Frösche seyn? Gab es und giebt es nicht auch unter ihnen Schwäne, die | ||||||
06 | den Genuß des Wassers und der Luft verbinden? und sollte nicht selbst | ||||||
07 | Ihre Philosophie auch diesen Schwänen die Luft gereiniget haben? Ich | ||||||
08 | will lieber gestehen daß ich mir überall von der orthodoxen Offenbahrung | ||||||
09 | gar keinen Begrif machen kann, und wenn ich auch auf die höchste Fichte | ||||||
10 | steige - als daß ich auf dem weiten Ocean moralischer Wahrheiten | ||||||
11 | ohne den Pharus der Vernunft und ohne ihr Steuer mich einem Sturm | ||||||
12 | überlaßen sollte, von dem ich nicht weiß, von wannen er komt und wohin | ||||||
13 | er fähret. Ich denke die Höchste Güte wird ihr edelstes Geschenk | ||||||
14 | einem so großen Theil seiner Geschöpfe, als die Theologen Race ist und | ||||||
15 | zwar bey Besorgung der wichtigsten Angelegenheit des Menschen nicht | ||||||
16 | zum verbothenen Baum gemacht haben. Wenigstens habe ich bis jetzt | ||||||
17 | noch keinen Fluch dafür empfunden daß ich die Religion die ich lehre, | ||||||
18 | wenigstens nach meiner Vernunft suche vernünftig zu lehren. Zu | ||||||
19 | diesem vernünftigen Lehren rechne ich freilich nicht jedem alten Mütterchen | ||||||
20 | ihren alten Trost weg zu syllogisiren -. Volk bleibt immer Kind | ||||||
21 | und es ist ja die erste pädagogische Regel sich an die Ideen der Unmündigen | ||||||
22 | anschmiegen und ihnen unmerklich sicherere Richtung geben -. | ||||||
23 | Doch was ermüde ich Sie mit meinem Geschwätze. Ich denke | ||||||
24 | aber so: Wäre ich in Königsberg, so könnte mich doch nichts abhalten | ||||||
25 | oft zu Ihnen zu komen und das wäre für Sie doch noch ärger als solch | ||||||
26 | klein Octav Briefchen. | ||||||
27 | Nun empfehle ich mich Ihnen von ganzer Seele und wünsche Ihnen, | ||||||
28 | nicht aus nichtiger Mode, in der vollesten Bedeutung, ein recht fröhliches, | ||||||
29 | neues Iahr, und in diesen unveränderlichen, es sey dann in | ||||||
30 | Rüksicht des Wachsens veränderlichen Gesinnungen bin ich so ganz | ||||||
31 | Ihr | ||||||
32 | Ihnen ergebenster | ||||||
33 | Verehrer, Schüler | ||||||
34 | Berlin | Berlin und Freund | |||||
35 | am 19ten Dec. | Lüdeke | |||||
36 | 1798. | ||||||
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