Kant: AA XII, Briefwechsel 1797 , Seite 186

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 aufgestellt, dasjenige vollendet habe, was durch Ihre Kritik unvollendet      
  02 gelassen werden mußte, und nur in der Darstellungsart seiner Principien      
  03 unnöthig dunkel gewesen sey. Iüngst höre ich dagegen von      
  04 Ihnen, daß Sie blos den sehr verdienten, und mir ungemein schätzbaren      
  05 Herrn Schulz unter denen nennen, welche für Ihre rechten Nachfolger      
  06 zu halten seyen. Daneben weiß ich, daß Sie auch des Professor      
  07 Reinhold Verdienste, welche er sich durch seine Theorie des Vorstellungsvermögens      
  08 gemacht hatte, und welche er doch jetzt selbst für      
  09 nichtig (in gewisser Rücksicht) erklärt, anerkannt und gerühmt haben.      
  10 Ich werde durch dies alles in meinen Uiberzeugungen irre.      
           
  11 Sie sehen, würdiger Mann, ich frage nicht, um mir das Nachdenken      
  12 zu ersparen. Ich habe mit aller Anstrengung geforscht, und      
  13 bis jetzt soviel gefunden:      
           
  14 "Sie kamen zu Ihrem Systeme auf anderm Wege, als Fichte      
  15 "zu dem seinigen; daher stellten Sie es auch nach einer andern      
  16 "(und bessern) Methode dar, als Er. - Der Grund aber von      
  17 "Ihrer ganzen Philosophie kann, wenn die Frage ist nach dem      
  18 "vollständigen und höchsten Grunde der Einheit, kein anderer      
  19 "seyn, als die transscendentale Einheit des menschlichen      
  20 "Geistes. Diese ausführlich darzulegen, ist der Zweck der Wissenschaftslehre;      
  21 die Kritik der reinen Vernunft konnte, ihrer Natur      
  22 "nach, dieselbe nur stillschweigend voraussetzen und auf sie hindeuten.      
  23 Aber auf jene Einheit, welche nur durch Abstraction      
  24 "(analytisch) gefunden, und nur durch ein inneres, unvertilgbares      
  25 Gefühl, welches man reine innere Anschauung nennt,      
  26 "(synthetisch) erwiesen werden kann, gründet sich alle Wahrheit.      
  27 Iede Uiberzeugung, und namentlich die von dem Daseyn      
  28 eines Realen im Raume, erhält den Charakter der Nothwendigkeit      
  29 und Unabänderlichkeit allein durch die transscendentale      
  30 Uibertragung der absoluten (nicht mehr erweislichen      
  31 "oder vermittelten,) Realität des Ich auf alles, was dasselbe      
  32 "sich, als vorstellendem Verstande, real entgegensetzen, und worauf      
  33 "es wirken soll. Aus jener Einheit, (der absol. Thesis,) und      
  34 "der mit ihr nothwendig verbundenen Antithesis und Synthesis,      
  35 müssen auch eigentlich die Kategorien mit ihren      
  36 "Dichotomien und Trichotomien deducirt werden u.s.w. Kurz,      
  37 "wer (als Philosoph) nicht an sich selbst glaubt, nicht vor allem      
           
           
     

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