Kant: AA XII, Briefwechsel 1795 , Seite 017 |
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01 | Studium Ihrer vortreflischen Werke vollkommen überzeugt, da | ||||||
02 | die Theologie durchaus keine sichere Haltung hat, wenn sie nicht auf | ||||||
03 | einen moralischen Grund gestüzt wird. Ist mein Glaube an einen | ||||||
04 | höchsten Weltregenten durch die unbedingte Sanction des Sittengesetzes | ||||||
05 | zur Gewißheit gleichsam eingeweihet worden, so mag die forschende | ||||||
06 | Vernunft theils durch die Nothwendigkeit eines absoluten Ideales | ||||||
07 | (ontologisch), theils kosmologisch und teleologisch, in soferne aus der | ||||||
08 | sinnlichen Natur eine Reihe von Zwecken erkennbar ist, das ihrige zur | ||||||
09 | weiteren Befestigung dieses Glaubens beitragen; nur müsse sie es nie | ||||||
10 | unternehmen, die sittliche Vernunft ihren Speculationen unteriochen, | ||||||
11 | und den menschlichen Geist auf ihren eigenen Fittichen in das Luftgebiete | ||||||
12 | einer metaphysischen Theologie tragen zu wollen, wo er, ohne | ||||||
13 | auf moralische Postulate zu fußen, keine Haltung finden wird. Gehen | ||||||
14 | wir hingegen von dem, durch unsere sittliche Natur einzig und allein | ||||||
15 | geheiligten, Glauben an einen moralischen Weltregenten aus, so kan | ||||||
16 | es kaum fehlen, daß uns das Sittengesez nicht zur Religion, und | ||||||
17 | diese zur Theologie hinleite, wodurch wir dann allmählig zur Kentni | ||||||
18 | einer unmittelbar göttlichen Gesezgebung gelangen, nach welcher alle | ||||||
19 | uns in dem Laufe der Geschichte zu handen gekommene statutarische | ||||||
20 | Offenbarungsvorschriften zu beurtheilen und zu würdigen sind. Hieran | ||||||
21 | muß sich der Schriftausleger halten, wenn es ihm am Herzen liegt, | ||||||
22 | die heiligen Urkunden mit dem Systeme einer unveränderlichen | ||||||
23 | moralischen Religionslehre in Harmonie zu bringen. Ist er diesem | ||||||
24 | Geschäfte gewachsen, so bleibt die heilige Geschichte für ihn ein vortrefliches | ||||||
25 | Hülfsmittel, diese Wahrheiten zu erläutern und dem sinnlichen | ||||||
26 | Menschen, bei dem sich moralischreligiöse Kentniße aus historischen | ||||||
27 | entwickeln, anschaulich zu machen; aber aus ihr und aus einzelnen | ||||||
28 | Thatsachen allgemeine Religionssätze hervorgehen zu lassen, ist ein mißliches | ||||||
29 | Unternehmen, welches leicht zu unnützen Speculationen leitet | ||||||
30 | und der wahren Religion selbst nicht selten entgegen wirkt. | ||||||
31 | Es ist traurig genug, daß man hie und da - denn hier in | ||||||
32 | Göttingen haben wir freie Hand - nicht einsehen will, daß nur auf | ||||||
33 | diesem Wege eine feststehende Religionslehre gefunden und den PseudoTheologen | ||||||
34 | unserer Zeit entgegen gearbeitet werden kan, die durch ihre | ||||||
35 | einseitigen Aufklärungen es auf nichts Geringeres, als auf den Ruin | ||||||
36 | aller systematischen Theologie angetragen haben. Schon sind Ihre | ||||||
37 | Grundsätze, großer Lehrer, unter unseren besseren Theologen zu allgemein, | ||||||
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