Kant: AA XII, Briefwechsel 1795 , Seite 011 |
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01 | und zu cultiviren kann mir nicht anders als sehr erwünscht seyn. | ||||||
02 | Ihr im vorigen Sommer mitgetheilter Plan zu einer Zeitschrifft ist | ||||||
03 | mir, wie auch nur kürzlich die zwey erste Monatsstücke, richtig zu | ||||||
04 | Handen gekommen. - Die Briefe über die ästhetische Menschenerziehung | ||||||
05 | finde ich vortrefflich und werde sie studiren, um Ihnen meine Gedanken | ||||||
06 | hierüber dereinst mittheilen zu können. - Die im zweyten M. Stück | ||||||
07 | enthaltene Abhandlung, über den Geschlechtsunterschied in der Organischen | ||||||
08 | Natur kann ich mir, so ein guter Kopf mir auch der Verfasser | ||||||
09 | zu seyn scheint, doch nicht enträtzeln. Einmal hatte die A. L. Z. sich | ||||||
10 | über einen Gedanken in den Briefen des Hrn. Hube aus Thorn (die | ||||||
11 | Naturlehre betreffend), von einer ähnlichen durch die ganze Natur | ||||||
12 | gehenden Verwandtschaft, mit scharfem Tadel (als über Schwärmerey) | ||||||
13 | aufgehalten. Etwas dergleichen läuft einem zwar bisweilen durch den | ||||||
14 | Kopf; aber man weiß nichts daraus zu machen. So ist mir nämlich | ||||||
15 | die Natureinrichtung: daß alle Besaamung in beyden organischen | ||||||
16 | Reichen zwey Geschlechter bedarf, um ihre Art fortzupflanzen, jederzeit | ||||||
17 | als erstaunlich und wie ein Abgrund des Denkens für die menschliche | ||||||
18 | Vernunft aufgefallen, weil man doch die Vorsehung hiebey nicht, als | ||||||
19 | ob sie diese Ordnung gleichsam spielend, der Abwechselung halber, beliebt | ||||||
20 | habe, annehmen wird, sondern Ursache hat zu glauben, daß sie | ||||||
21 | nicht anders möglich sey; welches eine Aussicht ins Unabsehliche | ||||||
22 | eröfnet, woraus man aber schlechterdings nichts machen kann, so wenig | ||||||
23 | wie aus dem, was Miltons Engel dem Adam von der Schöpfung | ||||||
24 | erzählt: "Männliches Licht entferneter Sonnen vermischt sich mit weiblichem, | ||||||
25 | zu unbekannten Endzwecken" - Ich besorge daß es Ihrer | ||||||
26 | M[onats] S[chrift] Abbruch thun dürfte, daß die Verfasser darinn ihre | ||||||
27 | Nahmen nicht unterzeichnen, und sich dadurch für ihre gewagte Meynungen | ||||||
28 | verandtwortlich machen; denn dieser Umstand interessirt das lesende | ||||||
29 | Publikum gar sehr. | ||||||
30 | Für dies Geschenck sage ich also meinen ergebensten Danck; was | ||||||
31 | aber meinen Gringen Beytrag zu diesem Ihren Geschenk fürs Publikum | ||||||
32 | betrifft, so muß ich mir einen etwas langen Aufschub bitten; weil, | ||||||
33 | da Staats= und Religionsmaterien jetzt einer gewissen Handelssperre | ||||||
34 | unterworfen sind, es aber ausser diesen kaum noch, wenigstens in diesem | ||||||
35 | Zeitpunkt, andere die große Lesewelt interessirende Artikel giebt, man | ||||||
36 | diesen Wetterwechsel noch eine Zeitlang beobachten muß, um sich klüglich | ||||||
37 | in die Zeit zu schicken. | ||||||
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