Kant: AA XI, Briefwechsel 1794 , Seite 529 |
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| 01 | angeführt wird), bezogen wird, weil, sage ich dieser Werth der | ||||||
| 02 | Vernunftreligion deutlich zu machen Pflicht war. Es hätte meinem | ||||||
| 03 | Ankläger obgelegen, einen Fall anzuführen, wo ich mich durch Abwürdigung | ||||||
| 04 | des Christenthums vergangen habe, entweder die Annahme | ||||||
| 05 | desselben als Offenbarung zu bestreiten, oder diese auch als unnöthig | ||||||
| 06 | zu erklären; denn daß diese Offenbarungslehre in Ansehung des praktischen | ||||||
| 07 | Gebrauchs (als welcher das Wesentliche aller Religion ausmacht) | ||||||
| 08 | nach den Grundsätzen des reinen Vernunftglaubens müsse ausgelegt | ||||||
| 09 | und öffentlich ans Herz gelegt werden, nehme ich für keine Abwürdigung, | ||||||
| 10 | sondern vielmehr für Anerkennung ihres moralisch fruchtbaren | ||||||
| 11 | Gehalts an, der durch die vermeinte innere vorzügliche Wichtigkeit | ||||||
| 12 | blos theoretischer Glaubenssätze verunstaltet werden würde. | ||||||
| 13 | 4. Daß ich vielmehr eine wahre Hochachtung für das Christenthum | ||||||
| 14 | bewiesen habe durch die Erklärung die Bibel als das beste vorhandene | ||||||
| 15 | zu Gründung und Erhaltung einer wahrhaftig moralischen | ||||||
| 16 | Landesreligion auf unabsehliche Zeiten taugliche Leitmittel der öffentlichen | ||||||
| 17 | Religionsunterweisung anzupreisen, und daher in dieser sich selbst | ||||||
| 18 | auf blos theoretische Glaubenslehren keine Angriffe und Einwürfe zu | ||||||
| 19 | erlauben (obgleich die letzteren vor den Facultäten erlaubt seyn müssen); | ||||||
| 20 | sondern auf ihren heiligen praktischen Inhalt zu dringen, der bei allem | ||||||
| 21 | Wechsel der theoretischen Glaubens=Meinungen, welcher in Ansehung | ||||||
| 22 | der bloßen Offenbarungslehren wegen ihrer Zufälligkeit nicht ausbleiben | ||||||
| 23 | wird, das Innere und Wesentliche der Religion immer erhalten und | ||||||
| 24 | das manche Zeit hindurch, wie in den dunkeln Iahrhunderten des | ||||||
| 25 | Pfaffenthums, entartete Christenthum in seiner Reinigkeit immer wieder | ||||||
| 26 | herstellen kann. | ||||||
| 27 | 5. Daß endlich so wie ich allerwärts auf Gewissenhaftigkeit der | ||||||
| 28 | Bekenner eines Offenbarungsglaubens, nämlich nicht mehr davon vorzugeben, | ||||||
| 29 | als sie wirklich wissen, oder andern dasjenige zu glauben | ||||||
| 30 | aufzudringen, was sie doch selbst nicht mit völliger Gewißheit zu erkennen | ||||||
| 31 | sich bewußt sind, gedrungen habe, ich auch an mir selbst das | ||||||
| 32 | Gewissen, gleichsam als den göttlichen Richter in mir bei Abfassung | ||||||
| 33 | meiner die Religion betreffenden Schriften nie aus den Augen verloren | ||||||
| 34 | habe, vielmehr jeden, ich will nicht sagen seelenverderblichen Irrthum, | ||||||
| 35 | sondern auch nur mir etwa anstößigen Ausdruck, durch freiwilligen | ||||||
| 36 | Widerruf nicht würde gesäumt haben zu tilgen, vornehmlich | ||||||
| 37 | in meinem 71sten Lebensjahre, wo der Gedanke sich vonselbst aufdringt, | ||||||
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