Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 479

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Lebensart zu gezogen hatte. Nun wurde ich wieder ganz Cörper, und      
  02 die Liebe zum sinnlichen Leben war so lebhaft in mir, daß mich bey      
  03 dem geringsten Anfall eine entsetzliche Furcht für dem Tode quälte.      
  04 O wie oft habe ich geweint und Gott kann es nur allein wißen wie      
  05 viel ich gelitten habe, (izt ehre ich die Wege der Vorsehung), Vernunft      
  06 und Sinnlichkeit waren ein Chaos bey mir, In der wirklichen Welt      
  07 entdeckte ich nichts als Unsinn, Inconsequenz und Vorurtheil, die      
  08 idealische war mir ein Gespenst wofür ich zurük bebte, und doch wurde      
  09 ich immer von der einen zur andern geworfen, ich hatte nichts woran      
  10 ich mich halten konnte, da ich gar keine Empfänglichkeit für Freude      
  11 hatte, so hielt ich sie selbst für Wahn Vorurtheil und Betrug. Ich      
  12 haßte nicht, ich liebte nicht, ich konnte mich niemanden mittheilen, weil      
  13 mich niemand verstehen konnte. Einen eigentlichen Freund hatte ich      
  14 auch nicht, kurz ich war sehr unglücklich. Nun entstand ein gewißer      
  15 Stolz bey mir, ich bot alle Entschloßenheit auf um über den Wiederspruch      
  16 meiner selbst zu siegen, ich nahm alle meine psychologischen      
  17 Regeln zu Hülfe um einen Mittelweg zu finden ich strengte mich an,      
  18 an manchen Dingen etwas Vergnügen zu finden, welches freilich sehr      
  19 langsam zu ging. Bey alledem aber wurde es doch mit mir immer      
  20 beßer, eine mir eigene Laune erwachte wieder, und fing an mich selbst      
  21 zu studiren um nicht wieder in den vorigen Zustand zu verfallen.      
           
  22 Endlich kam ich auf ihre Wercke, und da ich durch das Hörensagen      
  23 mancher ihrer Sätze mir bewust wurde, daß ich auch wohl so etwas,      
  24 nur dunkel gedacht hatte, so bekam ich Lust und studirte in abgebrochnen      
  25 Zeiten zwar nicht lange aber doch mit großer Anstrengung.      
  26 Ununterbrochen wolte ich deswegen mein Studium nicht fortsetzen, weil      
  27 ich Schaden für meine Gesundheit davon befürchtete. Da fand ich      
  28 aber wieder meine Beruhigung nicht bey, den ich fühlte es daß ich      
  29 aus dem Zusammenhang gerißene Sätze zum Vernünfteln nur bloß      
  30 mißbrauchte, dabey wurde ich aber durch die Critik Ihrer praktischen      
  31 Vernunft veranlaßt meine eigenen Handlungen scharf zu critisiren,      
  32 gegen Irrthum und Vorurtheil unerbittlich zu seyn und gewißermaßen      
  33 den Versuch zu machen ob eine eigentliche Tugend denn wohl möglich      
  34 sey. Was war wohl natürlicher, als daß die Critik meiner Handlungen      
  35 meistens zu meiner eusersten Beschämung ausschlagen muste. Nun      
  36 erwachte wieder der Ehrgeiz in mir, ich wolte schreiben, und das solte      
  37 was recht vollkommnes seyn. Deutsch mochte ich nicht schreiben,      
           
     

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