Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 446 |
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01 | verschmähender Geist bekennen kan. Dann wolte ich | ||||||
02 | auch (durch ein Buch, in der Kunstsprache verfaßt, mich gewissermaßen | ||||||
03 | legitimiren zur Herausgabe eines andern, das dieselben Wahrheiten, | ||||||
04 | verständlich für Iedermann, wer nur irgend über seinen animalischen | ||||||
05 | Lebenskreis sich zu erheben vermag, enthalten soll mit der | ||||||
06 | sorgfältigsten Vermeidung aller Kunstsprache. Eine leichte | ||||||
07 | Guirlande von Blumen der Phantasie soll dies Werkchen umgeben. | ||||||
08 | Systematische Vollständigkeit würde da ein Fehler seyn, wo man dem | ||||||
09 | Volke das Seine geben, nicht aber mit den Gelehrten in Reihe und | ||||||
10 | Glied treten will. | ||||||
11 | Kann dies kleine Buch, welches ich Ihnen hier darzubieten wage | ||||||
12 | und, damit ich mir diese Freude gewähre, 100 Meilen mit der Post | ||||||
13 | reisen lasse, Ihnen mehr als nicht misfallen, so wird es mich wenig | ||||||
14 | kümmern, wenn ich hier und dort mit einem zweideutigen Blicke mich | ||||||
15 | fragen lassen muß, wie Saul unter die Propheten kömmt. Die | ||||||
16 | Weiland=Metaphysiker gleichen den exilirten französischen Aristokraten | ||||||
17 | von mehr als einer Seite, namentlich aber darin, daß sie auf | ||||||
18 | hindostanische Castenordnung halten und nicht dulden können, wenn ein | ||||||
19 | Bürger der Gelehrten=Republik votiren will ausser dem Range, den sie | ||||||
20 | ihm anweisen. Wie trübseelige Urtheile habe ich nicht anhören müssen | ||||||
21 | über Ihr mir so theures und werthes Buch über Vernunftreligion, wofür | ||||||
22 | ich Ihnen noch meinen herzlichsten Dank schuldig bin! So überall | ||||||
23 | aufklären, meinen diese Herren, stehe nur einem Leibniz wohl, und bedenken | ||||||
24 | nicht, daß eben die Fackel, bei deren Licht die ganze Leibnizische | ||||||
25 | Monadenwelt wie ein Dunst erscheint, ihre Strahlen unvermeidlich | ||||||
26 | nach allen Seiten wirft. Einer Ihrer wahrhaftigsten Verehrer hier | ||||||
27 | ist unser trefflicher Lichtenberg. | ||||||
28 | Unwerth der Sache, die mir am Herzen liegt, würde ich seyn, | ||||||
29 | wenn ich mich bey Ihnen entschuldigen wolte wegen der Anmerkungen | ||||||
30 | zu meinem kleinen Buche, besonders denen zum zweiten Theile. Vielleicht | ||||||
31 | seh' ich mich genöthigt, sie künftig zurükzunehmen oder anders zu | ||||||
32 | modificiren. Aber wen auch die ehrwürdigste Autorität bindet, den | ||||||
33 | werden Sie sich, das weiß ich, nicht zum Mitarbeiter an der Sache | ||||||
34 | der Wahrheit wünschen. | ||||||
35 | Leben Sie nur noch lange, verehrungswürdiger Mann, um Alles | ||||||
36 | sagen zu können, was die Ihren bedürfen, und namentlich | ||||||
37 | Göttingen, den 25 Aug. 93. | F Bouterwek. | |||||
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