Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 443 |
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01 | das Nachdenken zu erleichtern, sondern dem Willen auch einen, obwohl | ||||||
02 | der practischen Vernunft sehr heterogenen Sporn zu geben, als synthetisch | ||||||
03 | ansehen gelernt. Die eigentliche Ursache aber, warum so viele | ||||||
04 | sonst sehr berühmte Männer, ihren Beyfall der critischen Philosophie | ||||||
05 | immerfort versagen, liegt meiner Meynung nach wohl darin, daß sie | ||||||
06 | sich nicht aufmerksam wollen machen lassen, auf den mächtigen Unterschied | ||||||
07 | zwischen denken und erkennen. In ihrer Sprache sind alle | ||||||
08 | diese Ausdrücke entweder gleichgeltend, oder sie legen ihnen nach ihrer | ||||||
09 | Art einen Sinn unter, welches ihnen auch wohl immer, wenn der | ||||||
10 | Sprachgebrauch es leidet, freystehen mag, wenn dabey nur die Sache | ||||||
11 | selbst, die wichtigste für einen Mann, dem es um reeller Wahrheit, | ||||||
12 | und nicht um ein Gedankenspiel zu thun ist, verlohren gienge. Ich | ||||||
13 | habe auch gemerkt, daß auch viele von den Freunden der Critick, den | ||||||
14 | ganzen Gehalt einer Transcendentalphilosophie, und insbesondere einer | ||||||
15 | transcendentalen Logick nicht gut in Ueberlegung nehmen, indem sie | ||||||
16 | die allgemeine Logick von ihr, bloß durch den Ausdruck: sie abstrahire | ||||||
17 | von den Gegenständen, unterscheiden, welcher Begriff aber doch die | ||||||
18 | nähere Bestimmung, daß die allgemeine Logick eigentlich die objective | ||||||
19 | Gültigkeit der Vorstellungen bey Seite setze, und diese Untersuchung | ||||||
20 | der transcendentalen Logick überlasse, verlangt. | ||||||
21 | Seit einiger Zeit habe ich auch Ihre metaphysische Anfangsgründe | ||||||
22 | der Naturwissenschaft wieder durchzudenken angefangen. In der Phoronomie | ||||||
23 | und Dynamick habe ich keinen Anstoß genommen. Aber in der | ||||||
24 | Mechanick stoße ich an etwas, welches ich nicht mir wegzuräumen wei | ||||||
25 | und auf die folgende Theorie mir ein unangenehmes Dunkel wirft. | ||||||
26 | Es ist der Begriff der Quantität der Materie. Ihre Definition lautet: | ||||||
27 | (S. 107) Die Quantität der Materie ist die Menge des Beweglichen | ||||||
28 | in einem bestimmten Raum. Ich weiß eigentlich nicht, wie Sie dieses | ||||||
29 | Bewegliche verstehen, ob dynamisch oder mechanisch. Mechanisch kann | ||||||
30 | es nicht verstanden seyn, weil die Materie mechanisch betrachtet, bloß | ||||||
31 | als Maaß der Quantität der Materie (nach dem ersten Lehrsatz) gesetzt | ||||||
32 | wird, diese letzte demnach doch eben sowohl von der Materie, sofern | ||||||
33 | sie bewegende Kraft hat, verschieden seyn muß, als ein Winkel von dem | ||||||
34 | Cirkelbogen, der ihn mißt. Dynamisch kann ich diesen Begriff auch | ||||||
35 | nicht nehmen, weil die Quantität der Materie als unveränderlich | ||||||
36 | soll gedacht werden, wenn gleich die Ausdehnungskraft verschieden gesetzt | ||||||
37 | würde. In der nämlichen Definition sagen Sie: die Größe der | ||||||
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