Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 407 |
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01 | Korper zurückläßt, so wird auch diese Krankheit, keinen Nachtheil in | ||||||
02 | der Seele zurücklassen wenn es mir gelingen sollte sie zu curiren. | ||||||
03 | Dle Mittel die ich gebrauchen will sind folgende 1) Schmiegung unter | ||||||
04 | Convenienz, wenn es mir nicht mein Gewissen verbietet, 2) Arbeit | ||||||
05 | nach Vorsatz nicht bloß nach meinen Hang, ich will daher mir eine | ||||||
06 | medicinische Praxin zu erwerben suchen, und mich in das hiesige Collegium | ||||||
07 | aufnehmen lassen. 3) Mich manchmal zwingen seichten Gesprächen | ||||||
08 | zuzuhören. Sollten dieße Mittel gut seyn so brauche ich keine | ||||||
09 | weitere Antwort, wo nicht so bitte ich Sie mir bessere zu rathen. | ||||||
10 | Hier erlauben Sie mir eine Gewissensfrage an Sie deren Beantwortung | ||||||
11 | mich trösten könnte. Hat es Ihnen nicht sehr viel Mühe gekostet, | ||||||
12 | nichts als Prof[essor] in Königsberg zu werden? das heißt wie ich es verstehe, | ||||||
13 | Ihre Talente für die Welt allein, und nicht auch für sich selbst | ||||||
14 | zu gebrauchen? Mir kostet es viele Anstrengung in der Welt mein | ||||||
15 | Glück nicht zu machen, das heißt die Schwächen die ich an den | ||||||
16 | Menschen bemerke nicht zu benützen. Nun wieder zu Ihrem Brief. | ||||||
17 | Ich freue mich daß ich bald die Metaphysik der Sitten werde zu | ||||||
18 | sehen bekommen. Sie werden hoffe ich die Vollendung Ihrer Arbeiten | ||||||
19 | noch erleben, und dann mit Freuden sterben. Ich für meinen | ||||||
20 | Theil sehe gerade in meinen heitersten Stunden den Tod als ein | ||||||
21 | Glück an, das ich mir wünschen würde, wenn ich nur schon so | ||||||
22 | viel nach meinen Kräften gethan hätte, daß ich mit guten Gewißen | ||||||
23 | verlangen könnte schon wieder vom Schauplatz abtretten zu dürfen. | ||||||
24 | Dieses Gefühl des Verlangens nach den Tode, finde ich wesentlich | ||||||
25 | von der Stimmung zum Selbstmord, der ich öftrer ausgesetzt war, | ||||||
26 | unterschieden. Auffallend ist es mir daß unter den neuern Schriftstellern | ||||||
27 | dieses moralische Sehnen nach den Tode, fast ganz | ||||||
28 | unberührt geblieben ist. Der einzige Schwift in seinen vermischten | ||||||
29 | Gedanken hat unter den mir bekannten Schriftstellern folgenden Gedanken | ||||||
30 | "Niemand, der seyn innres Bewußtseyn aufrichtig fragt, wird | ||||||
31 | seine Rolle auf der Welt wiederholen mögen." Am ersten fand ich | ||||||
32 | diesen Gedanken bey Ihnen und er hatte sogleich volle Evidenz für | ||||||
33 | mich. Für Ihre Erinnerung über meine Gedanken bin ich Ihnen | ||||||
34 | herzlich verbunden. | ||||||
35 | Von Fräulein Herbert kan ich wenig sagen. Ich hatte in Wien | ||||||
36 | bey einigen ihrer Freunde meine Meynung über einige mir erzählte | ||||||
37 | Schritte von ihr, freymüthig gesagt, und es dadurch mit ihr so verdorben, | ||||||
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