Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 369 |
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01 | mich meiner Vernunft erfreuen u. wurde, was ich seitdem geblieben | ||||||
02 | bin u. ewig bleiben werde, Ihr dankbarer Schüler. Wer Ihr System | ||||||
03 | in seiner ganzen majestätischen Einfalt umfaßt hat oder umfaßt zu | ||||||
04 | haben glaubt, der kan unmöglich auf den betrübten Einfall gerathen, | ||||||
05 | es zu zerstückeln, um die Fragmente mit diesem oder jenem andern | ||||||
06 | System zusammenzupfuschen. Solte er auch hier u. da eine abweichende | ||||||
07 | Meinung für sich haben, so wird er diese um so ruhiger für sich behalten, | ||||||
08 | wenn er jedem Andern ein gleiches Recht gönnt. Mag, wer | ||||||
09 | es nicht ändern kann, sein Wohnzimmer im Gebäude der Wahrheit | ||||||
10 | mit Tapeten bekleiden; mag ein Andrer die weißgetünchten Wände | ||||||
11 | vorziehen; genug, daß das Gebäude in seinen Fugen auf einer unerschütterlichen | ||||||
12 | Grundfeste steht. Wer aber Andern den Grundriß erklären | ||||||
13 | will, der ist es der Wahrheit schuldig, seine Grillen bei Seite zu sezen, | ||||||
14 | u. nichts zu lehren als was der ehrwürdige Baumeister lehrt. Dies | ||||||
15 | wird aber demjenigen am besten gelingen, dessen productive Geisteskräfte, | ||||||
16 | so gering sie auch seyn mögen, eine andre Richtung genommen | ||||||
17 | haben, als die metaphysische, u. der sich doch zugleich des Gedankens | ||||||
18 | erfreut, die ganze Vernunftkritik vollkommen verstanden zu haben. So | ||||||
19 | habe ich mir meine Befugniß deducirt, die Kritik der reinen speculativen | ||||||
20 | u. praktischen Vernunft strenge nach Ihren Grundsäzen vorzutragen. | ||||||
21 | Die Anordnung des Plans, so wie ich ihn aufgestellt habe, gründet | ||||||
22 | sich auf meine Ueberzeugung von der Geneigtheit des ungeübten Verstandes, | ||||||
23 | in der Erweiterung seiner Begriffe am liebsten diesen Gang | ||||||
24 | zu gehen. Ob die Erfahrung mich künftig anders belehren wird, muß | ||||||
25 | sich im Kurzen zeigen. | ||||||
26 | Was ich zum Beschluß gesagt habe, ist nicht so gemeint, daß ich | ||||||
27 | nicht gern auf die Ehre in dieser Rüksicht der dreizehnte unter den | ||||||
28 | kleinen Propheten zu seyn, Verzicht tun möchte. Was aber vorher | ||||||
29 | zur Erläuterung oder, besser gesprochen, zur Andeutung des Begriffs | ||||||
30 | von einem synthetischen Grundsaze a priori dasteht, ist mit Flei | ||||||
31 | κατ' ανθρωπον stümperhaft und halbwahr ausgedrükt. Daß der Begriff | ||||||
32 | einer Figur nicht in dem Begriffe von drei Linien stekt, davon | ||||||
33 | überzeugt man sich im Augenblik. Das aber der Begriff von 9 nicht | ||||||
34 | in 7+2 stekt, leuchtet nicht so geschwind ein. Deswegen erwähnte | ||||||
35 | ich der Arithmetik gar nicht u. nahm das Exempel aus der Geometrie | ||||||
36 | allein. Fast aber gereut es mich denn doch, mich so ausgedrükt | ||||||
37 | zu haben, als wenn nicht die ganze reine Mathematik auf | ||||||
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