Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 360 |
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01 | Studium und die dadurch erhaltene Aufklärung hat mich vermocht die | ||||||
02 | ganze Arbeit umzuwerfen und von Neuem den Aufsatz zu machen. | ||||||
03 | Aber um eine Unart muß ich um Verzeihung bitten. Ich habe zwar | ||||||
04 | das Manuscript so leserlich als ich konnte geschrieben, aber es war mir | ||||||
05 | unmöglich es abschreiben zu lassen, weil die Leute die man hier dazu | ||||||
06 | braucht, Soldaten sind, und diese sich jetzt in Frankreich befinden. | ||||||
07 | Und nun, Lieber, Theurer Lehrer, darf ich freylich nicht wähnen, | ||||||
08 | daß Sie mein ganzes Geschreibe selbst durchgehen werden. Nur um | ||||||
09 | die Gefälligkeit muß ich Sie wirklich ersuchen, die einige Blätter von | ||||||
10 | der Deduction der Categorien und den Grundsätzen durchzugehen, woran | ||||||
11 | mir am meisten gelegen ist und mir zu zeigen, was ich wohl gar | ||||||
12 | falsch dürfte gefaßt, oder Ihrem Wunsche nicht gemäß dargestellt haben. | ||||||
13 | Der Buchdrucker verlangt aber das Manuscript in einer Zeit von | ||||||
14 | acht Wochen und ich bin daher genöthigt es mir gegen Ende des | ||||||
15 | Novembers zurück zu erbitten. | ||||||
16 | Noch eine Privatfrage möchte ich gern thun, wozu mir Ihre Critick | ||||||
17 | durch die mir ausserordentlich einleuchtende Bemerkung, daß man einen | ||||||
18 | Raum durchweg erfüllt mit Materie sich denken und gleichwohl das | ||||||
19 | Reale desselben durch unendlich viele Grade verschieden setzen könne. | ||||||
20 | Ich habe mich niemals in die Vorstellungsart Kästners, Karstens etc. | ||||||
21 | daß man die Materie aus gleichförmigen Moleculis von einerley | ||||||
22 | Schwere bestehend sich denken müsse, um die verschiedenen Gewichte | ||||||
23 | gleicher Volumina sich zu erklären, finden können. Die critische Philosophie | ||||||
24 | hat bis zum Ergötzen mich hierüber belehrt. Um nun jene Erscheinung | ||||||
25 | mir zu erklären, stelle ich mir die Sache so vor. Die Erde | ||||||
26 | zieht jeden Körper auf ihrer Oberfläche an, sowie sie auch von ihm | ||||||
27 | angezogen wird. Aber die Wirkung des Körpers gegen *) die Erde ist | ||||||
28 | unendlich klein gegen die welche die Erde auf ihn hat und daher | ||||||
29 | kommt es daß die Fallhöhe im luftleeren Raum aller Körper ganz | ||||||
30 | gleich ist. Hänge ich aber zwey Körper von gleichem Volumen in | ||||||
31 | denen kein Theil leer seyn mag an die Wage, so wird die Wirkung | ||||||
32 | welche die Erde auf beyde äussert gegen einander aufgehoben, aber | ||||||
33 | die Kräfte womit beyde Körper die Erde anziehen, bleiben und sind | ||||||
*)Anmerkung Kant's: einen gleichen Theil der Erde aber auf der ganzen Erde ist sie gleich nur nicht der Geschwindigkeit nach, die sie der Erde giebt | |||||||
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