Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 324 |
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01 | nie wankete, noch in voller Lebenskraft, wünsche, noch etwa 15 bis | ||||||
02 | 20 Iahre zu leben, damit die Meinigen bey meinem Tode, nicht ganz | ||||||
03 | leer ausgehen mögen. Im vorigen Iahre endigte ich die Bezahlung | ||||||
04 | meiner Schulden, die ich als Rector in dem theuern - theuern Mitau | ||||||
05 | machen mußte - und nun soll der Ueberschuß der Einkünfte meines | ||||||
06 | Amtes, das mich nähret, Weib und Kindern aufgespart werden. | ||||||
07 | Meine Lage war nie so gut, daß ich etwas für meine armen | ||||||
08 | Schwestern thun konnte, um desto lebhafter danke ich dir mein Bruder, | ||||||
09 | daß du alles für sie gethan hast. Du willst mein Bruder - und das | ||||||
10 | ist sehr liebreich von dir - meine FamilienGeschichte wissen - Hier | ||||||
11 | ist sie. Seit 1775 mit einem guten Mädchen ohne Vermögen verheirathet, | ||||||
12 | habe ich 5 lieben Kinder gezeuget - mein guter Sohn Eduard, | ||||||
13 | ward nur 1 Iahr alt. 4 leben noch, und versprechen mir lange zu | ||||||
14 | leben, und herzlich gute Menschen zu werden. Meine älteste Tochter | ||||||
15 | Amalia Charlotte, seit dem 15 Januar 16 Iahre alt: ein lebhaftes | ||||||
16 | aber wißbegieriges Mädchen, und emsige Buchleserin Minna wird | ||||||
17 | den 24ten Aug: 13 Iahre haben - sie verbindet mit einem stillen | ||||||
18 | Character gute Naturgaben, und eine unverdroßene Emsigkeit. | ||||||
19 | Friedrich Willhelm - den 27 Novebr 11 Iahre - bieder | ||||||
20 | und gutartig - ein Israelite in dem kein Falsch ist - er wird gewis | ||||||
21 | nie eine andere Lienie betreten als die gerade von einem Punckte zum | ||||||
22 | andern. | ||||||
23 | Henriette den 5 Aug: 9 Iahre. voller Feuer bey dem besten | ||||||
24 | Herzen. | ||||||
25 | Diese guten Kinder unterrichte ich jzt selbst; Denn der Versuch | ||||||
26 | adeliche Kostgänger, und mit ihnen 2 Hauslehrer hinter einander zu | ||||||
27 | halten, mislang mir gänzlich - Leyder sieth nichts in Curland so | ||||||
28 | schlecht aus als die Erziehung der Iugend - Die Leute - die sich | ||||||
29 | als Hauslehrer durch Empfhelung einschleichen - sind oft wahre | ||||||
30 | Adepten - sie versprechen goldene Berge und zeigen sich am Ende | ||||||
31 | als unwißende Betrüger So gings mir auch. | ||||||
32 | Lebe ich, und schenkt mir Gott die Mittel dazu, so wird mein | ||||||
33 | Iunge ein Wundarzt - aber studieren soll er die Chirurgie, und nicht | ||||||
34 | in einer tonstrina Handwercksmäßig erlernen - dieses Fach kann ihm | ||||||
35 | noch in seinem Vaterlande Brod geben, denn mit der Theologie wäre | ||||||
36 | es zu mislich für ihn, da hier so viele auf der expectanten=Bank | ||||||
37 | sitzen - davon über 1/3 im Schulstaube verschmachtet: Oncle und | ||||||
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