Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 319

     
           
 

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  01 Ihnen zu dediciren so frei gewesen bin, empfangen u. gütig aufgenommen      
  02 haben. Zu dem letzteren berechtiget mich meine Absicht, die      
  03 keine andere ist und seyn kann, als Ihnen meine innigste Verehrung      
  04 auch offentlich zu bezeugen.      
           
  05 Bei allem Anscheine von Enthusiasmus für die Philosophie finde      
  06 ich doch, daß der Indifferentismus bei weitem größer ist, als man glauben      
  07 sollte. Es ist ausserordentlich schwer Männer von sonst sehr guten      
  08 Einsichten zu überzeugen, daß für die allgemeinen und nothwendigen      
  09 Grundsätze eine neue Deduktion a priori nöthig sey. Fast jeder hat      
  10 seine eignen freilich oft die seltsamsten Beweise und beruhiget sich dabei      
  11 so gut als er kann. Die Mathematiker sind hiervon nicht ausgenommen      
  12 und sind gerade am allerersten dazu aufgelegt die Ideen der Critik      
  13 miszuverstehen oder sie gar für entbehrlich zu halten. Herr Klügel über      
  14 die Critik u. besonders über die reine N[atur] W[issenschaft] sprechen zu      
  15 hören, ist kaum auszuhalten, u. Chymikern u. Physikern scheint es      
  16 vollends ganz unbegreiflich zu seyn, wie man sich bei Beweisen aus der      
  17 Induktion u. Analogie nicht beruhigen könne. Herr Selle hat abermals      
  18 einen Versuch gemacht die Hauptsätze der Critik zu zerstören, und darzuthun,      
  19 daß alle Erkenntniß aus der Erfahrung entspringen Seine Schrift      
  20 ist eine Abh[andlung] die er in der Akademie der Wissensch. vorgelesen      
  21 hat. Ich habe dem HE. Kosmann eine Rec[ension] davon in sein Magazin      
  22 zugesandt. Die Begriffe sind wieder erbärmlich verdreht, und es wird      
  23 etwas das kein Mensch behauptet hat, ganz vortrefflich widerlegt. Es      
  24 scheint mir fast kein anderes Mittel übrig zu seyn, welches nur      
  25 erst die Nothwendigkeit einer Vernunftcritik einsehen lehrt, als ein      
  26 fleißigeres Studium der Humischen Schriften. Freilich bildet man sich      
  27 auch ein, diesen, den Hr. E[berhard] geradezu den seichtesten Kopf nennt,      
  28 leicht wiederlegen zu können. Aber ich denke doch, uneingenommen      
  29 muß er zuerst auf den rechten Weg bringen. Ich würde mich sehr      
  30 freuen, wenn Ew. Wohlgeb. in dieser Rücksicht mir einiges Verdienst      
  31 zugeständen.      
           
  32 Hie u. da scheint sich auch die Theologie gegen Ihre Philosophie      
  33 zu ereifern. Das neu errichtete Religionstribunal ist lange unschlüssig      
  34 gewesen, ob es nicht Feuer und Schwerdt gegen dieselbe gebrauchen      
  35 soll und Herr Woltersdorf soll schon eine Schrift fertig haben, in      
  36 welcher die Schädlichkeit der Kantischen Philosophie auf das evidentste      
  37 dargethan ist. Indessen hoft man noch, daß einige den rechten Mittelweg      
           
     

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