Kant: AA XI, Briefwechsel 1791 , Seite 296 |
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01 | frommer Mensch gewesen!" - diese große Begebenheit geschah | ||||||
02 | nicht im Winkel, sondern vor den hunderttausend Augen Ierusalems, | ||||||
03 | im Angesicht der gantzen Nation - wurde nicht (so wie ebenfalls alle | ||||||
04 | andere erstaunenswürdigen Begebenheiten mit Iesu) Hundert Iahr | ||||||
05 | nach seinem Tode, sondern sogleich u: öffentlich von Augenzeugen | ||||||
06 | u: Vertrauten Iesu aufgeschrieben - sie wurden vor Gericht verhört | ||||||
07 | u: niemand konnte ihnen wiedersprechen - keiner von den Hunderttausenden, | ||||||
08 | welche die Thaten Iesu gesehen hatten, trat auf u: zeugte | ||||||
09 | wieder sie - selbst sein Verräther erklärte ihn für unschuldig, verz[w]eifelte | ||||||
10 | u: hing sich - seine Religion wurde von denen, die Zeugen | ||||||
11 | seiner Thaten gewesen waren meistentheils angenommen - angenommen | ||||||
12 | von einem Volk, welches so unduldsam gegen jede andere Religion als | ||||||
13 | die seinige war - eine Religion, welche die Mosaische, an der dies | ||||||
14 | Volk so sehr hing, gradezu über den Hauffen warf - eine Religion, | ||||||
15 | die nichts weniger, als zeitliche Vortheile u: Glükseligkeit, vielmehr das | ||||||
16 | elendeste Leben u: den schmerzhaftesten, schmachvollesten Tod versprach. | ||||||
17 | Ihre Bekenner - (welche sämmtlich für Idioten, Phantasten u: Thoren | ||||||
18 | zu erklären doch etwas viel gewagt wäre) - bewiesen eine so unerschütterliche | ||||||
19 | Ueberzeugung von der Wahrheit u: Göttlichkeit derselben, | ||||||
20 | daß sie nichts von ihr abwendig machen konnte, sie blieben unter den | ||||||
21 | grausamsten Quaalen, die Menschen erdulden u: teuflische Boßheit erfinden | ||||||
22 | kann, dennoch standhaft u: ihrem Glauben, auf glühendem Rost | ||||||
23 | u: - wer bebt nicht zurük mehrere dieser verschiedenen Arten von | ||||||
24 | Unmenschlichkeiten zu nennen! - getreu. - Ich nehme die Schriften | ||||||
25 | der ersten Bekenner dieser Religion zur Hand. Ihre Schreibart ist | ||||||
26 | nichts weniger, als gekünstelt, überspannt u: declamatorisch, sondern | ||||||
27 | überall herscht ein gewißer zuversichtlicher Ton, der der Ueberzeugung | ||||||
28 | von der Wahrheit u: Rechtmäßigkeit seiner Sache eigen zu seyn pflegt; | ||||||
29 | eine liebenswürdige Einfalt in ihren Vorträgen. Iedes Buch, fast | ||||||
30 | jedes Capittel athmet den Geist wahrer Tugend u: der uneigennützigsten | ||||||
31 | Menschenliebe. Von ihrem Helden sprechen sie mit Wärme u: voll | ||||||
32 | Gefühl seiner erhabenen Würde u: Bestimmung, aber ohne allen | ||||||
33 | Schwall von Worten u: Lobeserhebungen. Selbst wenn sie seine außerordentlichsten | ||||||
34 | Thaten erzählen u: rühmen, thun sie dieß mit solcher | ||||||
35 | Bescheidenheit u: Mäßigung, als man wohl von wenig profanen Geschichtschreibern | ||||||
36 | bei der Erzählung der Begebenheiten u: Thaten ihrer | ||||||
37 | ungleich kleinern Helden alter u: neuer Zeit rühmen kann. - Kann | ||||||
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