Kant: AA XI, Briefwechsel 1791 , Seite 277 |
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01 | Ich stellte mich Ihnen dar. Erst später bedachte ich, dass es Vermessenheit | ||||||
02 | sei, auf die Bekanntschaft eines solchen Mannes Anspruch | ||||||
03 | zu machen, ohne die geringste Befugniss dazu aufzuweisen zu haben. | ||||||
04 | Ich hätte Empfehlungsschreiben haben können. Ich mag nur diejenigen, | ||||||
05 | die ich mir selbst mache. Hier ist das meinige. | ||||||
06 | Es ist mir schmerzhaft, es Ihnen nicht mit dem frohen Bewustsein | ||||||
07 | übergeben zu können, mit dem ich mir's dachte. Es kann dem | ||||||
08 | Manne, der in Seinem Fache alles tief unter Sich erbliken muss, was | ||||||
09 | ist, und was war, nichts neues sein, zu lesen, was Ihn nicht befriedigt; | ||||||
10 | und wir andern alle werden uns Ihm, wie der reinen Vernunft | ||||||
11 | selbst in einem Menschenkörper, nur mit bescheidner Erwartung Seines | ||||||
12 | Ausspruchs nahen dürfen. Es würde vielleicht mir, dessen Geist in | ||||||
13 | mancherlei Labyrinthen herumirrte, ehe ich ein Schüler der Critik wurde, | ||||||
14 | der ich dies erst seit sehr kurzer Zeit bin, und dem seine Lage nur | ||||||
15 | einen kleinen Theil dieser kurzen Zeit diesem Geschäfte zu widmen erlaubt | ||||||
16 | hat, von einem solchen Manne, und von meinem Gewissen verziehen | ||||||
17 | werden, wenn meine Arbeit auch noch unter dem Grade der | ||||||
18 | Erträglichkeit wäre, auf welchem der Meister das Beste erblikt. Aber | ||||||
19 | kann es mir verziehen werden, dass ich sie Ihnen übergebe, da sie | ||||||
20 | nach meinem eignen Bewustsein schlecht ist? Werden die derselben | ||||||
21 | angehängten Entschuldigungen mich wirklich entschuldigen? Der grosse | ||||||
22 | Geist würde mich zurükgeschrekt haben, aber das edle Herz, das mit | ||||||
23 | jenem vereint allein fähig war, der Menschheit Tugend und Pflicht | ||||||
24 | zurükzugeben, zog mich an. Ueber den Werth meines Aufsatzes habe | ||||||
25 | ich das Urtheil selbst gesprochen: ob ich jemals etwas besseres liefern | ||||||
26 | werde, darüber sprechen Sie es. Betrachten Sie es als das Empfehlungsschreiben | ||||||
27 | eines Freundes, oder eines blossen Bekannten, oder | ||||||
28 | eines gänzlich Unbekannten, oder als gar kein's. Ihr Urtheil wird | ||||||
29 | immer gerecht sein. Ihre Grösse, vortreflicher Mann, hat vor aller | ||||||
30 | gedenkbaren menschlichen Grösse das Auszeichnende, das Gottähnliche, | ||||||
31 | dass man sich ihr mit Zutrauen nähert. | ||||||
32 | Sobald ich glauben kann, dass Dieselben diesen Aufsatz gelesen | ||||||
33 | haben, werde ich Ihnen persönlich aufwarten, um zu erfahren, ob ich | ||||||
34 | mich ferner nennen darf | ||||||
35 | Euer Wohlgebohren | ||||||
36 | innigsten Verehrer | ||||||
37 | Johann Gottlieb Fichte. | ||||||
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