Kant: AA XI, Briefwechsel 1791 , Seite 265 |
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01 | weiß ich noch nicht; auch werde ich nach Wöllners Willen, Logik unentgeldlich | ||||||
02 | lesen. | ||||||
03 | Daß ihre Moral diese Messe nicht erschienen ist, hat viel Aufsehen | ||||||
04 | gemacht, weil man sie sicher erwartete. Man erzählte hier allgemein | ||||||
05 | (die Sache ist freilich nur Erdichtung und kann nur Erdichtung | ||||||
06 | sein), der neue O[ber] C[onsistorial] R[ath] Woltersdorf habe es beim | ||||||
07 | Könige dahinzubringen gewußt, daß man Ihnen das fernere Schreiben | ||||||
08 | untersagt habe, und ich bin selbst bei Hofe dieser Erzählung halber befragt | ||||||
09 | worden. - Mit Wöllner habe ich neulich gesprochen, er machte mich durch | ||||||
10 | Lobeserhebungen schamroth und stellte sich, als wäre er mir sehr gewogen, | ||||||
11 | aber ich traue ihm gar nicht. Man ist jetzt beinahe überzeugt, | ||||||
12 | daß er selbst als Instrument von andren gebraucht wird, die ihn | ||||||
13 | zwingen, Dinge zu thun, die er sonst nicht thun würde. | ||||||
14 | Dem Könige ist der Herr Iesus schon einigemal erschienen, und | ||||||
15 | man sagt, er werde ihm in Potsdam eine eigene Kirche bauen laßen. | ||||||
16 | Schwach ist er jetzt an Leib und Seele, er sitzt ganze Stunden und | ||||||
17 | weint. Die Dehnhof ist in Ungnade gefallen und zu ihre Schwägerin | ||||||
18 | gereist, allein der König hat schon wieder an sie geschrieben und sie | ||||||
19 | wird wahrscheinlich bald zurückkommen. Die Rietz ist noch nicht ohne | ||||||
20 | allen Einfluß. Bischofswerder, Wöllner und Rietz sind diejenigen, die | ||||||
21 | den König tyrannisiren. Man erwartet ein neues Religionsedict und | ||||||
22 | der Pöbel murrt, daß man ihn zwingen will in die Kirche und zum | ||||||
23 | Abendmal zu gehen; er fühlt hierbei zum erstenmale, das es Dinge | ||||||
24 | giebt, die kein Fürst gebieten kann, und man hat sich zu hüten, da | ||||||
25 | der Funke nicht zündet. Die Soldaten sind ebenfalls sehr unzufrieden. | ||||||
26 | Im vergangenen Iahr haben sie keine neue Kleidung erhalten, denn | ||||||
27 | die Rietz erhielt das Geld um nach Pyrmont zu gehen; ferner erhielten | ||||||
28 | sie vom verstorbenen Könige gleich nach jeder Revue 3 gl. als ein don | ||||||
29 | gratuit, jetzt haben sie nur 8 Pfd. erhalten. | ||||||
30 | Wir bauen hier Modelle zu schwimmenden Batterien, setzen alles | ||||||
31 | in marschfertigen Stand, allein ganz sicher wird man auch dismal | ||||||
32 | blos mit unserer Schatzkammer Krieg führen. Der türkische Gesandte, | ||||||
33 | einer der unbedeutendsten Menschen, den ich je gesehen habe, ist immer | ||||||
34 | noch hier, zu seiner und aller Eunuye. Man spricht viel von einer | ||||||
35 | Vermählung des Herzogs von York mit der Prinzessin Friederike, | ||||||
36 | allein die Nebenumstände, die man miterzählt, machen die Sache unwahrscheinlich; | ||||||
37 | man sagt nämlich, der König wolle 2 Millionen zur | ||||||
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