Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 219 |
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01 | so viel derer nehmlich übrig geblieben waren, uns entgegen. Das | ||||||
02 | ganze Regiment war geschlagen und schreklich zugerichtet und mußte | ||||||
03 | jetzt aus Nancy flüchtig werden. Es hatte sehr viel Verwundete bey | ||||||
04 | sich und oft wurden 4-5 Pferde von einem Manne geführt, weil die | ||||||
05 | übrige getödtet waren. Man kann sich keine mehr kriegerische Scene | ||||||
06 | denken. Beym ersten Anblick derselben war uns eben nicht sehr wohl | ||||||
07 | zu Muthe, weil wir von ihnen als geschlagenen Rebellen alles zu befürchten | ||||||
08 | hatten. Sie ließen uns aber ruhig vorbeypassiren, und wir | ||||||
09 | sie auch. Ietzt wollten meine furchtsame Herren Reisegesellschafter | ||||||
10 | es durchaus nicht wagen sich mehr dem unruhigen Nancy zu nähern | ||||||
11 | sondern einen andern Weg über Metz nehmen. Ich aber als ein guter | ||||||
12 | Preusse hatte solche Furcht nicht, und vermochte endlich über sie noch | ||||||
13 | eine Station weiter zu gehen, welche die letzte vor Nancy war, wo | ||||||
14 | wir dann gewisse Nachrichten über den Zustand in der Stadt einziehen | ||||||
15 | und uns darnach bestimmen konnten. Hier hatten meine Herren Collegen | ||||||
16 | dem Postknecht schon Befehle erteilt auf die erste Station nach | ||||||
17 | Metz zu fahren, wenn ich noch zuletzt einen Husaren fand, der unter | ||||||
18 | Boulli bey Nancy gefochten hatte, und uns versicherte, daß jetzt alles | ||||||
19 | so ruhig sey, daß wir ohne Gefahr dahin fahren könnten. Wenn wir | ||||||
20 | bey den Thoren der Stadt anlangten wurden wir zwar ziemlich scharf | ||||||
21 | examinirt und unsere Pässe ziemlich genau nachgesehen, aber übrigens | ||||||
22 | ruhig in die Stadt eingelassen, welche ganz das Gepräge einer eroberten | ||||||
23 | Vestung hatte. Es war mit einer entsetzlich großen Anzahl Soldaten, | ||||||
24 | die Sieger gewesen waren, angefüllt. Die mehresten Häuser waren | ||||||
25 | zugeschlossen, sehr viele Fenster zerbrochen, und in einigen Häusern | ||||||
26 | steckten noch die Flintenkugeln in den Mauren. Man sahe ausser den | ||||||
27 | Soldaten sehr wenige Mannspersonen in den Straßen, aber sehr viel | ||||||
28 | Weibsvolk. Alles sah betrübt und melankolisch aus. Wir hielten uns | ||||||
29 | ein paar Stunden hier auf, um Nachrichten über die Anzahl der | ||||||
30 | Todten etc. einzuziehen und der commandirende Officier bestimmte | ||||||
31 | die Anzahl auf wenigstens 700, befürchtete aber deren noch mehr. | ||||||
32 | Bald hinter Nancy begegneten wir das Regiment Carabinier aus | ||||||
33 | Luneville, das seine Cameraden, die gemeinschaftliche Sache mit den | ||||||
34 | Truppen in Nancy gemacht hatten, als Gefangene in Ketten geworfen, | ||||||
35 | dahin ablieferte. Auf unserem ganzen Wege zwischen Nancy und Strasburg, | ||||||
36 | waren wir die Nachrichtsboten, weil wir die ersten waren, die | ||||||
37 | nach dem engagement durch die Städte durchkamen. Bey unserem | ||||||
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