Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 053 |
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Text (Kant):
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| 01 | des Urtheils, in welchem der Begrif einer Linie das | ||||||
| 02 | ausmacht und bedeutet nur so viel, als eine jede Linie, nicht | ||||||
| 03 | All der Linien, die auf einer Ebene aus einem gegebenen Punct | ||||||
| 04 | werden können; denn sonst [würde] jede Linie mit eben demselben | ||||||
| 05 | eine Verstandesidee seyn, weil sie alle Linien als Theile | ||||||
| 06 | die zwischen zweyen in ihr nur denkbaren Puncten, deren | ||||||
| 07 | gleichfals in Unendliche geht, gedacht werden können. Da | ||||||
| 08 | diese Linie ins unendliche theilen lasse ist auch noch keine Idee | ||||||
| 09 | es bedeutet nur einen Fortgang der Theilung, der durch die | ||||||
| 10 | der Linie garnicht beschränkt wird, aber diese Unendliche Theilung | ||||||
| 11 | ihrer Totalität und sie mithin als vollendet anzusehen, ist | ||||||
| 12 | eine Vernunftidee von einer Absoluten Totalität der Bedingungen (der | ||||||
| 13 | welche an einem Gegenstande der Sinne gefodert | ||||||
| 14 | welches unmöglich ist, weil an Erscheinungen das Unbedingte | ||||||
| 15 | nicht angetroffen werden kan. | ||||||
| 16 | ist die Möglichkeit eines Cirkels nicht etwa vor dem practischen | ||||||
| 17 | einen Cirkel durch die Bewegung einer geraden Linie | ||||||
| 18 | einen festen Punct zu beschreiben, blos problematisch, sondern | ||||||
| 19 | ist in der Definition des Cirkels gegeben, dadurch, daß dieser | ||||||
| 20 | die Definition selbst construirt wird, d. i. in der Anschauung | ||||||
| 21 | nicht auf dem Papier (der empirischen) sondern in der Einbildungskraft | ||||||
| 22 | ( a priori ) dargestellt wird. Denn ich mag immer aus | ||||||
| 23 | freyer Faust mit Kreide einen Cirkel an der Tafel ziehen und einen | ||||||
| 24 | darinn setzen, so kan ich an ihm eben so gut alle Eigenschaften | ||||||
| 25 | Zirkels, unter Voraussetzung jener (so genannten) Nominaldefinition, | ||||||
| 26 | in der That real ist, demonstriren, wenn er gleich mit der | ||||||
| 27 | die Herumtragung einer Geraden an einem Puncte bevestigten | ||||||
| 28 | Linie beschriebenen, gar nicht zusammenträfe. Ich nehme an: daß sie, | ||||||
| 29 | Puncte des Umkreises, gleich weit vom Mittelpuncte abstehen. | ||||||
| 30 | Satz: einen Cirkel zu beschreiben ist ein practisches Corollarium | ||||||
| 31 | der Definition (oder so genanntes Postulat), welches gar nicht gefodert | ||||||
| 32 | könnte, wäre die Möglichkeit, ja gar die Art der Möglichkeit | ||||||
| 33 | Figur, nicht schon in der Definition gegeben. | ||||||
| 34 | die Erklärung einer geraden Linie betrift, so kan diese nicht | ||||||
| 35 | durch die Identität der Richtung aller Theile derselben geschehen; | ||||||
| 36 | der Begrif der Richtung (als einer Geraden Linie, durch | ||||||
| 37 | die Bewegung, ohne Rücksicht auf ihre Größe, unterschieden | ||||||
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