Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 026 |
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01 | darum bitt ich inständig, lieben Sie in mir Ihren Schüler, Ihren | ||||||
02 | Verehrer, der angefangen hat, sich mit dem Beyfalle seines Herzens | ||||||
03 | sagen zu können, daß er mit Ueberzeugung viele Ihrer Verdienste um | ||||||
04 | die Philosophie schäze, der - Sie erlauben mir diese Sprache | ||||||
05 | Ihnen so manche seelige Augenblike zu verdanken hat, welche auch ein | ||||||
06 | dunkler Ueberblik der Kette von Wahrheiten, und besonders der Anblik | ||||||
07 | der Reize wahrer liebenswürdiger Tugend oder Geistesschönheit gewährt. | ||||||
08 | Der öftere Genuß dieser Reize, die immer reglichen Nachgefühle | ||||||
09 | deßelben sind mir Bürge, daß ich dem Siege Ihrer Philosophie alle | ||||||
10 | meine Kräfte weihen werde; und wenn das Publicum mich einiges | ||||||
11 | Zutrauens werth halten wird, lebe ich der angenehmsten Hoffnung, | ||||||
12 | daß es mit Ueberzeugung des Herzens Sie, Verehrungswürdiger! als | ||||||
13 | seinen grösten Wohlthäter mit der Zeit verehre. Das angenehme | ||||||
14 | enthusiastische Gefühl macht auf eine Zeitlang nur so kühn, werden | ||||||
15 | Sie sagen; - ja ich würde mich vor mir selbst fürchten, wenn dieser | ||||||
16 | Enthusiasmus etwa nur auf Neuheit, auf geahndete Folgen von eignem | ||||||
17 | Wohlseyn oder eitelm Ruhme, oder auf blinden Glauben gegründet | ||||||
18 | wäre, dann würde ich ebenso mißtrauisch gegen meine geliebten Hoffnungen | ||||||
19 | seyn, wie ehemals gegen meine - aus Verzweiflung umfaßten | ||||||
20 | Ueberzeugungen. Vielleicht aber bestätigen Sie es selbst, daß ich einen | ||||||
21 | sicherern Grund des Zutrauens auf meine Beständigkeit in mir suchen | ||||||
22 | und voraussezen darf, als jene seyn mögen, wenn Sie bey einiger | ||||||
23 | Muße die hier beygelegten kleinen Geistesprodukte zu prüfen würdigen | ||||||
24 | wollen; vielleicht um so mehr, wenn Sie finden, daß ich, aber in der | ||||||
25 | That nur auf Anrathen Ihres eignen Systems, in der Critik der praktischen | ||||||
26 | Vernunft Sie auf eine kleine Weile verlaße, um nach meinen | ||||||
27 | Gründen ein Glied noch einzuketten, welches Sie verwerfen wollten, | ||||||
28 | das aber gewiß zu Ungunsten mancher Wahrheit - würde vermißt | ||||||
29 | worden seyn. Das System ist ohnstreitig für die wenigsten in den | ||||||
30 | Resultaten der sogenannten theoretischen Philosophie anzüglich, diese | ||||||
31 | allein würden ihm vielleicht, wenn ich den Geist der Speculation nicht | ||||||
32 | ganz verkenne ein unverdientes Prognosticon stellen laßen, wenn die | ||||||
33 | Resultate der praktischen Philosophie nicht aller Aufmerksamkeit auf | ||||||
34 | sich ziehen; und werden sie dieß eher, als wenn sie, auch noch nicht | ||||||
35 | nach allen ihren tiefgelegnen Gründen eingesehen, dennoch die Stimme | ||||||
36 | der Natur, die in einem jeden wiederhallt, für sich haben? Dieß ist | ||||||
37 | Ihr eigner Grundsaz, er ist so wahr, und zugleich dem schlichten | ||||||
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