Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 008

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Vorsehung zu glauben; wie sehr ich mich also bey dem schrecklichen      
  02 philosophischen Wirwarr und Unsinn, Pro und Contra Gerässonir,      
  03 genöthigt sahe, an das Neue Testament zu halten, wenn ich nicht in      
  04 einen Grund= und Bodenlosen Abgrund versincken wollte. und doch      
  05 runge meine Vernunft unaufhörlich nach apodiktischer Gewisheit, die      
  06 mir weder Bibel, noch Wolf, noch Mysticker noch Hume, noch Loke,      
  07 noch Schwedenburg, noch Helvetius geben konnte, unbedingtes banges      
  08 ängstliches Glauben war also mein Looß; indessen drung der Determinismus      
  09 mit aller seiner HeeresMacht auf mein Herz, auf Verstand      
  10 und Vernunft an, um mich ganz einzuschliesen und allmälig zu erobern.      
  11 Kein Feind war mir von jeher fürchterlicher als eben der      
  12 Determinismus, er ist der gröste Despote der Menschheit, er erstickt      
  13 jeden Keim zum Guten, und jedes fromme Vertrauen auf Gott, und      
  14 doch ist er so zuverläsig und so gewiß wahr, so entscheidend für jeden      
  15 denckenden Kopf, daß die Welt ohne Rettung verlohren, Religion und      
  16 Sitten hin sind, so bald wir unsre SinnenWelt isoliren, und glauben,      
  17 sie sey an sich selbst gerad so wie wir sie uns vorstellen und dencken.      
  18 Wer in aller Welt läst sich aber träumen, daß es einen Kantischen      
  19 transcendentalen Idealismus giebt? - hätten Sie dies Geheimnis      
  20 nicht aus den Tiefen der menschlichen Seele hervorgearbeitet und offenbart      
  21 was wär dann aus der Sache geworden? Alles was die Grosen      
  22 unserer Zeit von feinerem Determinismus träumen, sind Seifenblaßen,      
  23 die sich alle am Ende in Fatalismus auflößen, da ist keine Rettung,      
  24 kein anderer Ausweg.      
           
  25 In dieser Angst kamen mir verwichenen Herbst einige Abhandlungen      
  26 im teutschen Museum zu Gesicht, die vom SittenGesetz handelten,      
  27 auf einmal wurde mir warm; die allgemein verschriene Dunckelheit      
  28 Ihrer Schriften, und das Geschwäz Ihrer Gegner, als wenn Sie      
  29 der Religion gefährlich wären hatten mich abgeschreckt, jezt aber gab      
  30 ich mich ans Werck, laße erst Schulzens Erläuterung der Critik der      
  31 reinen Vernunft, und so wie ich laße, alles faste, alles begrif, so      
  32 fiel mir die Hülle von den Augen, mein Hertz wurde erweitert, und      
  33 es durchdrung mich ein Gefühl von Beruhigung das ich nie empfunden      
  34 hatte. Ich laß also nun die Critick der reinen, und dann auch der      
  35 praktischen Vernunft, und bey mehrmaliger Wiederholung verstehe und      
  36 begreif ich alles, und finde nun apodiktische Wahrheit und Gewisheit      
  37 allenthalben. Gott seegne Sie! - Sie sind ein groses sehr groses      
           
     

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