Kant: AA X, Briefwechsel 1784 , Seite 379

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Arznei-kundigen zu sprechen, so wird er ihm unter andern Nahmen disen      
  02 ganz seltsamen Fall - der zu ganz neuen Theorien Anlaß geben könnte      
  03 erzählen, und seine Meinung darüber einhohlen:), aus moralischen und      
  04 physischen Gründen, sich nicht gewiß überzeugen kann, so will er sich      
  05 dadurch nicht von den äußern Pflichten lossprechen, die ihm der äußere      
  06 Anschein der Sache, der wider ihn ist, auflegen: sondern er achtet sich      
  07 zu ihrer Erfüllung verbunden. Und da jeder rechtschaffene Mann auch      
  08 dem äußeren Anschein der Dinge sich gemäß bezeigen, und seine Pflichten      
  09 nach denselben bestimmen muß (:indem er genöthigt ist, sehr oft von      
  10 seiner innern Überzeugung abzugehen, wenn er dadurch, daß er ihr      
  11 Folge leistete, Übel stiften könnte:), so wird der Ungenannte, da dieser      
  12 äußere Anschein noch mehr redend gegen ihn geworden ist, auch hierauf      
  13 Rüksicht nehmen, und das ausgesezte IahrGeld verdoppeln, so daß die      
  14 Person von nun an Monathlich 1 rthl. zur Verpflegung des Kindes      
  15 erhalten soll. Mehr kann der Ungenannte in seiner gegenwärtigen      
  16 dringenden Lage nicht verwilligen, wenn er nicht noch weit höhere      
  17 Pflichten verlezzen will; Unterdeßen wird der Ungenannte, wenn er in      
  18 günstigere Umstände kommt, alsdann noch ein Mehreres thun, was ihm      
  19 gegenwärtig die Ohnmöglichkeit nicht zu thun verstattet. Alle diese      
  20 äußern Pflichten wird der Ungenannte erfüllen; allein man wird doch      
  21 nicht so grausam seyn, und seinen Glauben, seine innere Überzeugung      
  22 (:die nun einmahl durch gewiße Gründe in ihm entstanden ist, die er      
  23 sich nicht mit Gewalt aus seinem Kopf wegdenken kann:) zwingen      
  24 wollen. -      
           
  25 Im übrigen fühlet der Ungenannte mit der bittersten Empfindung      
  26 diesen ganzen Vorfall, indem es ihm unendlich wehe thut, daß er durch      
  27 seine Schwachheit, gewißermaßen ein Ärgerniß gegeben, und dieser      
  28 Person so viele Veranlaßung dadurch gegeben, zu einer gewißen That      
  29 ihn als den alleinigen Urheber, mit so viel äußerer Warscheinlichkeit      
  30 anzugeben; alle die daraus entstehenden Folgen, wirft sich der Ungenannte      
  31 aufs bitterste vor: sie machen das Maaß seines Leidens voll:      
  32 sein ganzes Leben fast war eine Kette von Übeln; der Pfad seines      
  33 Lebens ging stets über Dornen. Wüsten Ew. Wohlgeb. die wahre,      
  34 die ganze Geschichte von dem Leben des Ungenannten, so würden Sie      
  35 ihm einen Antheil von Ihrer Achtung und Ihrem Mitleiden nicht      
  36 versagen können. Dieser Ungenannte hat nicht immer blos durch sich      
  37 selbst gelitten, sondern er hat auch fremde Leiden theilen müßen; und      
           
     

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