Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 358

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wärtig an der Erfüllung einer Pflicht verhindert, die in der That      
  02 aber doch so an mein Herz gebunden war, daß ich keinen Tag ohne      
  03 Unruhe hinbringen konnte sie bis gegenwärtig noch nicht erfüllt zu      
  04 haben.      
           
  05 O mein Wohlthäter! mein großmütiger Freund! Halten Sie      
  06 mich doch nicht des Undanks fähig! Dieser zweifelnde Gedanke störet      
  07 die Ruhe, in die ich mich gegenwärtig versezt fühle. Zürnen Sie nicht      
  08 auf mich. - Wie soll ich Ihnen den hohen Begrif ausdrükken, der      
  09 sich von Ihnen in meine Seele eingedrükt hatt? Nur Sinn und Gefühl      
  10 habe ich dafür, aber keine Worte - - - Meine ewige Verehrung,      
  11 meine ewige Liebe, meine ewige Dankbarkeit ist Ihnen, edler      
  12 verehrungswürdiger Mann gewidmet! Der Tag würde der glüklichste      
  13 meines Lebens seyn, an dem ich ganz den Bedürfnißen meines Herzens,      
  14 gegen den Mann von so großer Tugend, Gnüge thun könnte, der sich      
  15 mir in derselben unvergeßlich gemacht hat. - Wie viel bin ich Ihnen      
  16 schuldig, verehrungswürdiger Menschenfreund? Sie haben mich aus      
  17 dem Strudel gerißen, der mich zu verschlingen begann. Alles was      
  18 ich gegenwärtig bin, habe ich nur Ihnen zu verdanken. - O wie      
  19 wohl muß einem Manne von Ihrer moralischen Vollkommenheit seyn,      
  20 der sich solcher Thaten bewußt ist? Möchte mich mein Schiksaal so      
  21 glüklich machen, meinen Wunsch zu erfüllen, der mich nach einem diesem      
  22 ähnlichen Bewußtseyn ringen läßet! Nur dies sind die höchsten und      
  23 süßesten Freuden des Lebens, die aus einem solchen Bewußtseyn unserer      
  24 Tugend fließen. - Sie sind der Urheber aller Ruhe und des Wohlseyns,      
  25 welches ich gegenwärtig genüße, da ich vorhin viele Iahre meines      
  26 Lebens, in dem traurigsten Seelen=Zustande hingebracht; aber auch in      
  27 jeder Stunde, in jedem Augenblik, in welchem ich mich gegen die vorigen      
  28 Zeiten beßer fühle, wird Ihr theures Bild mir gegenwärtig, indem      
  29 ich täglich meinen Freund, meinen Erretter, meinen Wohlthäter verehre.      
  30 - Vollenden Sie nun noch Ihre Güte dadurch, daß Sie mir      
  31 bisweilen einige Augenblikke des Iahrs hindurch widmen, mir zu sagen,      
  32 daß Sie noch leben, wohl sind - und sich meiner erinnern; und von      
  33 Ihnen hoffe ich die Erlaubniß zu haben, hin und wieder an Sie      
  34 schreiben zu dürfen, und mich Ihrem Andenken und Ihrer Gewogenheit      
  35 zu emphelen. - Sobald ich nur etwas mehr in beßere Umstände      
  36 (:mag es auf eine Art seyn, die es will:) versezt bin, wird mein erster      
  37 Wille seyn, Ihnen die Summe wiederzuerstatten, die Sie mir so      
           
     

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