Kant: AA X, Briefwechsel 1782 , Seite 297 |
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01 | Ich übernehme mit Freüden, die mir zugeschickte Ankündigungen | ||||||
02 | des HEn Prof: Mangelsdorff in meinem Vaterlande und denen ihm | ||||||
03 | angrenzenden Ländern, besonders in Litthauen, wo der barbarismus | ||||||
04 | nach dem moralischen Barometre noch ein wenig höher gestiegen ist, | ||||||
05 | als in Curland, bekannt zu machen, dahero ich wohl wünschte noch | ||||||
06 | dergleichen sechß Ankündigungen zu haben, um sie unter meine Verwandte | ||||||
07 | in Litthauen zu vertheilen. Wie sehr wünsche ich, daß meine | ||||||
08 | bemittelte LandsLeüte, die schöne Gelegenheit nutzen mögte, die ihnen | ||||||
09 | der HE Prof: Mangelsdorff darbietet ihre Kinder zu bilden und zu | ||||||
10 | nützliche Glieder der Menschlichen Gesellschafft zu machen. Bißhero | ||||||
11 | kan man bey der Geburt eines jeden Curlandischen und Litthauischen Edelmannes | ||||||
12 | in concreto behaupten, daß die biß zum äußersten Greüel | ||||||
13 | angewachsene Menge der adelichen Müßiggänger vermehret worden. | ||||||
14 | Der Größte Haufen des Curländischen und Litthauischen Adels ist | ||||||
15 | arm und dahero so unglücklich daß er nicht im Stande ist seinen | ||||||
16 | Kindern einen solchen Unterricht zu geben, der sie vorbereite, den | ||||||
17 | Unterricht nutzen zu können, den der HE: Prof Mangelsdorff darbietet. | ||||||
18 | Die 40 oder 50 Edelleüte, die in denen beyden Provintzen bemittelt | ||||||
19 | gnug sind, um ihren Kindern eine gute Erziehung zu geben, | ||||||
20 | bekümmern sich wenig um die Erziehung ihrer Kinder, theils weil sie | ||||||
21 | auch so von ihren Eltern, erzogen worden, theils weil sie sich mit | ||||||
22 | ihrer Wirtschafft, oder mit Vergnügungen beschäfftigen, welche ihnen | ||||||
23 | die lange Weile vertreibt. Sie glauben also die Elterliche Pflicht im | ||||||
24 | höchsten Grad erfüllt zu haben wann sie ihren Kindern einen HoffM[ei]st[e]r | ||||||
25 | halten, oder selbige bey einem LandPriester, der für einen sehr wohlfeilen | ||||||
26 | Preiß sich den Nahmen eines Grundgelehrten Mannes erworben | ||||||
27 | hat, in pension geben, wo der hoffnungsvolle Iüngling bloß durch den Umgang | ||||||
28 | mit dem HEn Pastor ein Gelehrter werden soll. Wie viel sich ein | ||||||
29 | Mann der eine Gemeinde von 1500 biß 2000 Seelen hat, der alle Sonn | ||||||
30 | und Feyer Tage predigen soll und gar öffters eine oder zwey Meilen zu | ||||||
31 | Kranken fahren muß, überdem eine ordentliche LandWirtschafft, wie | ||||||
32 | ein Gutsbesitzer, hat, sich mit seinen jungen Zöglingen abgeben kan, | ||||||
33 | überlaße ich einem jeden zu beurtheilen. Inzwischen wächßt der junge | ||||||
34 | Herr heran und der Vater beurtheilet nicht nach denen Fähigkeiten | ||||||
35 | und erlangten Kenntnißen seines Sohnes, sondern nach deßen Iahren | ||||||
36 | oder Wuchß, die Frage ob er ihn nunmehro auf eine hohe Schule | ||||||
37 | schicken soll, wobey er, den Einschnitt des Jahres oder die Preise des | ||||||
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