Kant: AA X, Briefwechsel 1768 , Seite 075

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
    41.      
  02 Von Iohann Gottfried Herder.      
           
  03 [Nov. 1768]      
           
  04 HochEdelgebohrner Herr Magister      
           
  05 Hochgeschätzter Lehrer und Freund,      
           
  06 Sie haben, ich weiß u. hoffe es, einen zu gütigen Begrif von      
  07 meiner Denkart, als daß Sie mein bisheriges Stillschweigen für      
  08 Saumseligkeit oder etwas noch Ärgers halten sollten. Blos meine      
  09 Geschäfte, die wegen ihrer Incommensurabilität insonderheit lästig      
  10 fallen, eine Menge Zerstreuungen, u. denn insonderheit jene uneasiness      
  11 der Seele, die Locke für die Mutter so vieler Unternehmungen hält,      
  12 ist bei mir eine Zeitlang die Mutter einer gelähmten Ruhe gewesen,      
  13 aus der ich jetzt kaum wieder erwache.      
           
  14 Ich kann nicht sagen, wie sehr mich Ihr Brief erfreuet hat.      
  15 Das Andenken meines Lehrers, der so freundschaftliche Ton, der      
  16 darinn herrschet, der Inhalt selbst - alles machte mir denselben so sehr      
  17 zum Geschenke, als mir keiner von denen Briefen wird, die mich oft aus      
  18 Deutschland u. von den würdigsten Leuten daselbst, bis von der      
  19 Schweiz aus aufsuchen. Um so mehr war er mir theuer, da ich Ihre      
  20 Ungeneigtheit zum Briefschreiben, von der ich auch was geerbet,      
  21 kenne - - doch was heißts, ein Vergnügen demonstrativisch aufzälen      
  22 wollen.      
           
  23 Sie sind so gütig, meiner Autorschaft in einem Tone zu erwähnen,      
  24 in dem ich an sie nicht denke. Ich nenne dieselbe wenig      
  25 mehr als einen leichten Schritt der Iugend, der mir freilich nicht      
  26 zum Schaden, oder im Ganzen zur Unehre gereicht hat, den ich aber      
  27 in manchem Betracht zurückwünsche. Nicht, als wenn ich so viel Unverantwortliches      
  28 geschrieben; sondern vornehmlich weil mein Name      
  29 dabei so bekannt, u. auf manchen Lippen so sehr abusirt worden, da      
  30 Ihr guter Wirth, u. mein guter Freund HE. Kanter mir ohne seinen      
  31 Willen dabei den übelsten Streich u. das auf Reihen von Vorfällen      
  32 hinaus, gespielt hat, indem er die erste Ursache dieser Bekanntmachung      
  33 geworden. Mein vester Vorsatz, u. ich schreibe dies kaltblütig hin,      
  34 war, völlig ohne Namen zu schreiben, bis ich die Welt mit einem      
  35 Buch überraschen könnte, das meines Namens nicht unwürdig wäre.      
  36 Hiezu, u. aus keiner andern Ursache wars, daß ich hinter einer      
  37 Blumendecke eines verflochtnen Styls schrieb, der mir nicht eigen      
           
     

[ Seite 074 ] [ Seite 076 ] [ Inhaltsverzeichnis ]