Kant: AA X, Briefwechsel 1766 , Seite 066

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 und so gut als unmöglich zu confundiren, wenn      
  02 man von den Graden abstrahirt, und nur auf das Quale      
  03 sieht. Und in so fern glaube ich, daß in der Sprache kein      
  04 einiger unbenennt geblieben.      
           
  05 Nach diesen Sätzen trage ich kein Bedenken zu sagen, daß Locke      
  06 auf der wahren Spur gewesen, das einfache in unserer Erkenntnis      
  07 aufzusuchen. Man muß nur weglassen, was der Sprachgebrauch mit      
  08 einmengt. So z. E. ist in dem Begriffe Ausdehnung unstreitig      
  09 etwas indiuiduelles einfaches, welches sich in keinem andern Begriffe      
  10 findet. Der Begriff Dauer, und eben so die Begriffe Existenz,      
  11 Bewegung, Einheit, Soliditaet &c. haben etwas einfaches, das      
  12 denselben eigen ist, und welches sich von den vilen dabey mit vorkommenden      
  13 Verhältnisbegriffen sehr wohl abgesöndert gedenken läßt.      
  14 Sie geben auch für sich Axiomata und Postulata an, die zur wissenschaftlichen      
  15 Erkenntnis den Grund legen, und durchaus von gleicher      
  16 Art sind, wie die Euclidischen.      
           
  17 Die andere Anmerkung, die ich zu machen Anlaß hatte, betrift      
  18 die Vergleichung der philosophischen Erkentnis mit der Mathematischen.      
  19 Ich sahe nemlich, daß wo es den Mathematickern gelungen ist, ein      
  20 neues Feld zu eröfnen, das die Philosophen biß dahin ganz angebaut      
  21 zu haben glaubten, erstere nicht nur alles wieder umkehren mußten,      
  22 sondern es so aufs einfache und gleichsam aufs einfältige brachten,      
  23 daß das Philosophische darüber ganz unnütz und gleichsam verächtlich      
  24 wurde. Die einige Bedingung, daß nur homogenea können addirt      
  25 werden, schleußt bey dem Mathematicker alle philosophischen Sätze      
  26 aus, deren Praedicat sich nicht gleichförmig über das ganze Subiect      
  27 verbreitet, und solcher Sätze gibt es in der Weltweisheit noch gar zu      
  28 viele. Man nennt eine Uhr gülden, wenn kaum das Gehäuse von      
  29 Gold ist. Euclid leitet seine Elemente weder aus der Definition des      
  30 Raumes noch aus der von der Geometrie her, sondern er fängt bey      
  31 Linien, Winkeln &c. als dem einfachen in den Dimensionen des      
  32 Raumes an. In der mechanic macht man aus der Definition der      
  33 Bewegung nicht viel Wesens, sondern man schaut sogleich, was      
  34 dabey vorkömmt, nemlich ein Körper, die Direction, Geschwindigkeit,      
  35 Zeit Kraft und Raum, und diese Stücke vergleicht man unter      
  36 einander, um Grundsätze zu finden. Ich bin überhaupt auf den      
  37 Satz geleitet worden, daß so lange ein Philosoph in denen obiecten,      
           
     

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