Kant: AA X, Briefwechsel 1759 , Seite 030 |
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01 | Dingen Nahmen zu geben, wie Sie wollen - - Nicht Ihre Sprache, | ||||||
02 | nicht meine, nicht Ihre Vernunft, nicht meine: hier ist Uhr gegen Uhr. | ||||||
03 | Die Sonne aber geht allein recht; und wenn sie auch nicht recht geht, | ||||||
04 | so ist es doch ihr Mittagsschatten allein, der die Zeit über allen Streit | ||||||
05 | eintheilt. | ||||||
06 | Wenn Sie ein gelehrter Eroberer wie Bacchus seyn wollen; so | ||||||
07 | ist es gut, daß Sie einen Silen zu Ihrem Begleiter wählen. Ich | ||||||
08 | liebe nicht den Wein des Weins wegen, sondern weil er mir eine Zunge | ||||||
09 | giebt Ihnen in einem Taumel auf meinem Esel die Wahrheit zu sagen. | ||||||
10 | Weil ich Sie hochschätze und liebe, bin ich ihr Zoilus, und Diogen | ||||||
11 | gefiel einem Mann, der gleiche Neigungen mit ihm hatte; so ungl[eich] | ||||||
12 | die Rollen waren, die jeder spielte. | ||||||
13 | Wer eine beste Welt vorgiebt, wie Rousseau, und eine individuelle, | ||||||
14 | atomistische und momentanen Vorsehung leugnet; der wiederspricht sich | ||||||
15 | selbst. Giebt es ein Zufall in Kleinigkeiten; so kann die Welt nicht | ||||||
16 | mehr gut seyn, noch bestehen. Flüßen Kleinigkeiten aus ewigen | ||||||
17 | Gesetzen; und wie ein Saecul . aus unendl. Tagen von selbst besteht; | ||||||
18 | so ist es eigentl. die Vorsehung in den kleinsten Theilen, die das | ||||||
19 | Gantze gut macht. | ||||||
20 | Ein solches Wesen ist der Urheber und Regierer der Welt. Er | ||||||
21 | gefällt sich selbst in seinem Plan; und ist für unsere Urtheile unbesorgt. | ||||||
22 | Wenn ihm der Pöbel über die Güte der Welt mit klatschenden Händen | ||||||
23 | und scharrenden Füßen Höflichkeiten sagt und Beyfall zujauchzt, wird | ||||||
24 | er wie Phocion beschämt, und frägt den Kreys seiner wenigen Freunde, | ||||||
25 | die um seinen Thron mit bedeckten Augen und Füßen stehen; ob er | ||||||
26 | eine Thorheit gesagt, da er gesprochen: Es werde Licht! weil er sich | ||||||
27 | vom gemeinen Haufen über seine Werke bewundert sieht. | ||||||
28 | Nicht der Beyfall des gegenwärtigen Iahrhunderts, das wir sehen, | ||||||
29 | sondern des künftigen, das uns unsichtbar ist, soll uns begeistern. | ||||||
30 | Wir wollen nicht nur unsere Vorgänger beschämen, sondern ein Muster | ||||||
31 | für die Nachwelt werden. | ||||||
32 | Wie unser Buch für alle Klaßen der Iugend geschrieben seyn soll; | ||||||
33 | so wollen wir solche Autors zu werden suchen, daß uns unsere Urenkel | ||||||
34 | nicht für kindische Schriftsteller aus den Händen werfen sollen. | ||||||
35 | Ein eitles Wesen schafft deswegen, weil es gefallen will; ein | ||||||
36 | stoltzer Gott denkt daran nicht. Wenn es gut ist, mag aussehen wie | ||||||
37 | es will; je weniger es gefällt, desto beßer ist es. Die Schöpfung ist | ||||||
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