Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 457 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | lebenden Thiere gerinnt sehr bald, wenn man etwas Säure hinzuthut, | ||||||
02 | z. E. Weinsäure, Citronensäure, oder besonders die Säure im Kälbermagen, | ||||||
03 | die man Lab oder Laff nennt. Menschenmilch gerinnt aber gar | ||||||
04 | nicht. Wenn aber die Mütter oder Ammen einige Tage hindurch nur | ||||||
05 | vegetabilische Kost genießen: so gerinnt ihre Milch so gut wie die Kuhmilch | ||||||
06 | etc.; wenn sie dann aber nur einige Zeit hindurch wieder Fleisch essen: | ||||||
07 | so ist die Milch auch wieder eben so gut, wie vorhin. Man hat hieraus | ||||||
08 | geschlossen, daß es am besten und dem Kinde am zuträglichsten sei, wenn | ||||||
09 | Mütter oder Ammen unter der Zeit, daß sie säugen, Fleisch äßen. Denn | ||||||
10 | wenn Kinder die Milch wieder von sich geben, so sieht man, daß sie geronnen | ||||||
11 | ist. Die Säure im Kindermagen muß also noch mehr als alle | ||||||
12 | andere Säuren das Gerinnen der Milch befördern, weil Menschenmilch | ||||||
13 | sonst auf keine Weise zum Gerinnen gebracht werden kann. Wie viel | ||||||
14 | schlimmer wäre es also, wenn man dem Kinde Milch gäbe, die schon von | ||||||
15 | selbst gerinnt! Daß es aber auch nicht blos hierauf ankomme, sieht man | ||||||
16 | an andern Nationen. Die Waldtongusen z. E. essen fast nichts als Fleisch | ||||||
17 | und sind starke und gesunde Leute. Alle solche Völker leben aber auch | ||||||
18 | nicht lang, und man kann einen großen, erwachsenen Jungen, dem man | ||||||
19 | es nicht ansehen sollte, daß er leicht sei, mit geringer Mühe aufheben. | ||||||
20 | Die Schweden hingegen, vorzüglich aber die Nationen in Indien essen | ||||||
21 | fast gar kein Fleisch, und doch werden die Menschen bei ihnen ganz wohl | ||||||
22 | aufgezogen. Es scheint also, daß es blos auf das Gedeihen der Amme | ||||||
23 | ankomme, und daß die Kost die beste sei, bei der sie sich am besten befindet. | ||||||
25 | Es fragt sich hier, was man nachher habe, um das Kind zu ernähren, | ||||||
26 | wenn die Muttermilch nun aufhört. Man hat es seit einiger Zeit mit | ||||||
27 | allerlei Mehlbreien versucht. Aber von Anfang an das Kind mit solchen | ||||||
28 | Speisen zu ernähren, ist nicht gut. Besonders muß man merken, daß man | ||||||
29 | den Kindern nichts Piquantes gebe, als Wein, Gewürz, Salz etc. Es ist | ||||||
30 | aber doch sonderbar, daß Kinder eine so große Begierde nach dergleichen | ||||||
31 | Allem haben! Die Ursache ist, weil es ihren noch stumpfen Empfindungen | ||||||
32 | einen Reiz und eine Belebung verschafft, die ihnen angenehm sind. Die | ||||||
33 | Kinder in Rußland erhalten freilich von ihren Müttern, die selbst fleißig | ||||||
34 | Branntwein trinken, auch dergleichen, und man bemerkt dabei, daß die | ||||||
35 | Russen gesunde, starke Leute sind. Freilich müssen diejenigen, die das | ||||||
36 | aushalten, von guter Leibesconstitution sein; aber es sterben auch viele | ||||||
37 | daran, die doch hätten erhalten werden können. Denn ein solcher früher | ||||||
[ Seite 456 ] [ Seite 458 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |