Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 172 |
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01 | nach Süden oder Norden als ein anderer liegen kann. Doch | ||||||
02 | müssen in jedem Meridian selbst wieder zwei Theile unterschieden | ||||||
03 | werden, in so fern er nämlich der Meridian unsers Ortes und | ||||||
04 | demnächst auch der Meridian unserer Antipoden ist. Wenn die | ||||||
05 | Sonne bei uns den Mittag macht: so befindet sie sich in unserm Meridian. | ||||||
06 | Zur Mitternachtsstunde hingegen steht sie in dem Meridian | ||||||
07 | unserer Antipoden. | ||||||
08 | Es giebt also so viele Meridiane, als sich verschiedene Standpunkte | ||||||
09 | um die Erde von Osten nach Westen denken lassen. | ||||||
10 | 3. Durch die Umdrehung der Erde um ihre Axe wird noch eine Linie | ||||||
11 | bestimmt, und diese ist der Äquator, der von beiden Polen gleich | ||||||
12 | weit entfernt, in dem aber die Bewegung der Erde am stärksten | ||||||
13 | ist. Denn je näher den Polen, um so kleiner werden die Cirkel, | ||||||
14 | also auch die Bewegung. Die Linie, die gleich weit von beiden | ||||||
15 | Polen absteht, theilt ebenfalls die Erde in zwei gleiche Theile, nämlich | ||||||
16 | in die südliche und nördliche Halbkugel. Der Meridian konnte | ||||||
17 | vielfach sein, aber es giebt nur eine einzige gleich weit von beiden | ||||||
18 | Polen abstehende Kreislinie, die dadurch also determinirt ist. Die | ||||||
19 | durch diese Linie entstandenen beiden Hälften der Erde werden Hemisphären | ||||||
20 | genannt. Zwar theilt, wie schon gesagt, auch jeder Meridian | ||||||
21 | die Erde in zwei Hemisphären, nur daß diese freilich nicht | ||||||
22 | durch die Natur bestimmt sind. Örter unter einem Meridian sind | ||||||
23 | nach Süden und Norden, aber nicht nach Osten und Westen unterschieden. | ||||||
24 | dagegen sind unter dem Äquator die Örter nach Osten | ||||||
25 | und Westen, nicht aber nach Süden und Norden verschieden. Wie | ||||||
26 | also der Meridian zum Unterschiede von Osten nach Westen dient: | ||||||
27 | so dient der Äquator zum Unterschiede von Norden und Süden. | ||||||
28 | Nun hat jeder Cirkel 360 Grade, also auch der Äquator. Dieser | ||||||
29 | giebt die Bestimmung, um wie viele Grade ein Ort von Osten | ||||||
30 | nach Westen absteht. Da nun aber die Frage entsteht, von wo | ||||||
31 | aus man dabei eigentlich anfangen soll die Grade zu zählen, indem | ||||||
32 | der Äquator eine Kreislinie ist, die keinen festen Anfangspunkt | ||||||
33 | hat, an der man also nach Belieben wählen kann: so hat man | ||||||
34 | nun auch wirklich nach Belieben einen ersten Punkt auf dem Äquator | ||||||
35 | angenommen, von dem man anfängt die Grade des Äquators | ||||||
36 | zu zählen. Dieser erste Punkt ist vermittelst der Ziehung eines | ||||||
37 | Meridians durch die Insel Ferro angenommen, von wo aus man | ||||||
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