Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 109 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Urtheile: die Seele des Menschen mag unsterblich sein; oder ob man | ||||||
02 | darüber etwas bestimmt, wie in dem assertorischen Urtheile: die menschliche | ||||||
03 | Seele ist unsterblich; oder endlich, ob man die Wahrheit eines Urtheils sogar | ||||||
04 | mit der Dignität der Nothwendigkeit ausdrückt, wie in dem apodiktischen Urtheile: | ||||||
05 | die Seele des Menschen muß unsterblich sein. Diese Bestimmung der | ||||||
06 | bloß möglichen oder wirklichen oder nothwendigen Wahrheit betrifft also nur | ||||||
07 | das Urtheil selbst, keineswegs die Sache, worüber geurtheilt wird. | ||||||
08 | 2. In problematischen Urtheilen, die man auch für solche erklären kann, deren | ||||||
09 | Materie gegeben ist mit dem möglichen Verhältniß zwischen Prädicat und Subject, | ||||||
10 | muß das Subject jederzeit eine kleinere Sphäre haben als das Prädicat. | ||||||
11 | 3. Auf dem Unterschiede zwischen problematischem und assertorischem Urtheilen | ||||||
12 | beruht der wahre Unterschied zwischen Urtheilen und Sätzen, den man sonst | ||||||
13 | fälschlich in den bloßen Ausdruck durch Worte, ohne die man ja überall nicht | ||||||
14 | urtheilen könnte, zu setzen pflegt. Im Urtheile wird das Verhältniß verschiedener | ||||||
15 | Vorstellungen zur Einheit des Bewußtseins bloß als problematisch | ||||||
16 | gedacht, in einem Satze hingegen als assertorisch. Ein problematischer Satz | ||||||
17 | ist eine contradictio in adjecto . Ehe ich einen Satz habe, muß ich doch erst | ||||||
18 | urtheilen; und ich urtheile über vieles, was ich nicht ausmache, welches ich aber | ||||||
19 | thun muß, sobald ich ein Urtheil als Satz bestimme. Es ist übrigens gut, | ||||||
20 | erst problematisch zu urtheilen, ehe man das Urtheil als assertorisch annimmt, | ||||||
21 | um es auf diese Art zu prüfen. Auch ist es nicht allemal zu unsrer Absicht | ||||||
22 | nöthig, assertorische Urtheile zu haben. | ||||||
23 | §. 31. |
||||||
24 | Exponible Urtheile. |
||||||
25 | Urtheile, in denen eine Bejahung und Verneinung zugleich, aber versteckter | ||||||
26 | Weise, enthalten ist, so daß die Bejahung zwar deutlich, die Verneinung | ||||||
27 | aber versteckt geschieht, sind exponible Sätze. | ||||||
28 | Anmerkung. In dem exponiblen Urtheile, z. B. wenige Menschen sind gelehrt, | ||||||
29 | liegt 1), aber auf eine versteckte Weise, das negative Urtheil: viele Menschen | ||||||
30 | sind nicht gelehrt, und 2) das affirmative: einige Menschen sind gelehrt. Da | ||||||
31 | die Natur der exponiblen Sätze lediglich von Bedingungen der Sprache abhängt, | ||||||
32 | nach welchen man zwei Urtheile auf einmal in der Kürze ausdrücken | ||||||
33 | kann: so gehört die Bemerkung, daß es in unsrer Sprache Urtheile geben | ||||||
34 | könne, die exponirt werden müssen, nicht in die Logik, sondern in die Grammatik. | ||||||
[ Seite 108 ] [ Seite 110 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |