Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 028 |
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01 | Wenn und wo aber unter den Griechen der philosophische Geist zuerst | ||||||
02 | entsprungen sei, das kann man eigentlich nicht bestimmen. | ||||||
03 | Der erste, welcher den Gebrauch der speculativen Vernunft einführte, | ||||||
04 | und von dem man auch die ersten Schritte des menschlichen Verstandes | ||||||
05 | zur wissenschaftlichen Cultur herleitete, ist Thales, der Urheber der ionischen | ||||||
06 | Secte. Er führte den Beinamen Physiker, wiewohl er auch | ||||||
07 | Mathematiker war; so wie überhaupt Mathematik der Philosophie | ||||||
08 | immer vorangegangen ist. | ||||||
09 | Übrigens kleideten die ersten Philosophen alles in Bilder ein. Denn | ||||||
10 | Poesie, die nichts anderes ist als eine Einkleidung der Gedanken in Bilder, | ||||||
11 | ist älter als die Prose. Man mußte sich daher anfangs selbst bei Dingen, | ||||||
12 | die lediglich Objecte der reinen Vernunft sind, der Bildersprache und | ||||||
13 | poetischen Schreibart bedienen. Pherekydes soll der erste prosaische | ||||||
14 | Schriftsteller gewesen sein. | ||||||
15 | Auf die Jonier folgten die Eleatiker. Der Grundsatz der eleatischen | ||||||
16 | Philosophie und ihres Stifters Xenophanes war: in den Sinnen | ||||||
17 | ist Täuschung und Schein, nur im Verstande allein liegt | ||||||
18 | die Quelle der Wahrheit. | ||||||
19 | Unter den Philosophen dieser Schule zeichnete sich Zeno als ein | ||||||
20 | Mann von großem Verstande und Scharfsinne und als ein subtiler Dialektiker | ||||||
21 | aus. | ||||||
22 | Die Dialektik bedeutete anfangs die Kunst des reinen Verstandesgebrauchs | ||||||
23 | in Ansehung abstracter, von aller Sinnlichkeit abgesonderter | ||||||
24 | Begriffe. Daher die vielen Lobeserhebungen dieser Kunst bei den Alten. | ||||||
25 | In der Folge, als diejenigen Philosophen, welche gänzlich das Zeugni | ||||||
26 | der Sinne verwarfen, bei dieser Behauptung nothwendig auf viele Subtilitäten | ||||||
27 | verfallen mußten, artete Dialektik in die Kunst aus, jeden Satz zu | ||||||
28 | behaupten und zu bestreiten. Und so ward sie eine bloße Übung für die | ||||||
29 | Sophisten, die über alles raisonniren wollten und sich darauf legten, | ||||||
30 | dem Scheine den Anstrich des Wahren zu geben und schwarz weiß zu | ||||||
31 | machen. Deswegen wurde auch der Name Sophist, unter dem man sich | ||||||
32 | sonst einen Mann dachte, der über alle Sachen vernünftig und einsichtsvoll | ||||||
33 | reden konnte, jetzt so verhaßt und verächtlich und statt desselben der Name | ||||||
34 | Philosoph eingeführt. | ||||||
35 | Um die Zeit der ionischen Schule stand in Groß=Griechenland ein | ||||||
36 | Mann von seltsamem Genie auf, welcher nicht nur auch eine Schule errichtete, | ||||||
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