Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 386 |
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01 | überlassen will. Mit der Moral im ersteren Sinne (als Ethik) ist die Politik | ||||||
02 | leicht einverstanden, um das Recht der Menschen ihren Oberen preis | ||||||
03 | zu geben: aber mit der in der zweiten Bedeutung (als Rechtslehre), vor | ||||||
04 | der sie ihre Kniee beugen müßte, findet sie es rathsam, sich gar nicht auf | ||||||
05 | Vertrag einzulassen, ihr lieber alle Realität abzustreiten und alle Pflichten | ||||||
06 | auf lauter Wohlwollen auszudeuten; welche Hinterlist einer lichtscheuen | ||||||
07 | Politik doch von der Philosophie durch die Publicität jener ihrer | ||||||
08 | Maximen leicht vereitelt werden würde, wenn jene es nur wagen wollte, | ||||||
09 | dem Philosophen die Publicität der seinigen angedeihen zu lassen. | ||||||
10 | In dieser Absicht schlage ich ein anderes, transscendentales und bejahendes | ||||||
11 | Princip des öffentlichen Rechts vor, dessen Formel diese sein würde: | ||||||
12 | "Alle Maximen, die der Publicität bedürfen (um ihren Zweck nicht | ||||||
13 | zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen." | ||||||
14 | Denn wenn sie nur durch die Publicität ihren Zweck erreichen können, | ||||||
15 | so müssen sie dem allgemeinen Zweck des Publicums (der Glückseligkeit) | ||||||
16 | gemäß sein, womit zusammen zu stimmen (es mit seinem Zustande zufrieden | ||||||
17 | zu machen), die eigentliche Aufgabe der Politik ist. Wenn aber | ||||||
18 | dieser Zweck nur durch die Publicität, d. i. durch die Entfernung alles | ||||||
19 | Mißtrauens gegen die Maximen derselben, erreichbar sein soll, so müssen | ||||||
20 | diese auch mit dem Recht des Publicums in Eintracht stehen; denn in | ||||||
21 | diesem allein ist die Vereinigung der Zwecke Aller möglich. - Die weitere | ||||||
22 | Ausführung und Erörterung dieses Princips muß ich für eine andere | ||||||
23 | Gelegenheit aussetzen; nur daß es eine transscendentale Formel sei, ist | ||||||
24 | aus der Entfernung aller empirischen Bedingungen (der Glückseligkeitslehre), | ||||||
25 | als der Materie des Gesetzes, und der bloßen Rücksicht auf die | ||||||
26 | Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit zu ersehen. | ||||||
27 | Wenn es Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoffnung da ist, den Zustand | ||||||
28 | eines öffentlichen Rechts, obgleich nur in einer ins Unendliche fortschreitenden | ||||||
29 | Annäherung wirklich zu machen, so ist der ewige Friede, | ||||||
30 | der auf die bisher fälschlich so genannte Friedensschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) | ||||||
31 | folgt, keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach und | ||||||
32 | nach aufgelöst, ihrem Ziele (weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte | ||||||
33 | geschehen, hoffentlich immer kürzer werden) beständig näher kommt. | ||||||
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